Alle Ausgaben / 2006 Frauen in Bewegung von Anja Jungchen

Betty Williams und Mairead Corrigan

Dem Frieden verschrieben

Von Anja Jungchen


Schon lange schwelt der Konflikt zwischen Protestanten und Katholiken in Irland, bevor er Mitte der siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts in einen offenen Bürgerkrieg umschlägt. Unterschiedliche religiöse Überzeugungen und die territoriale Aufteilung der Insel, soziale Missstände, hohe Arbeitslosigkeit und damit einhergehend die Armut führen dazu, dass 1969 britische Truppen in Londonderry und Belfast stationiert werden. Gleichzeitig provoziert die IRA – die illegale Irisch Republikanische Armee – Schießereien durch gezielte Überfälle auf die Zivilbevölkerung und Attentate, die durch Heckenschützen verübt werden. Liegt die Zahl der Todesopfer durch diese Überfälle 1969 noch bei acht Personen, steigt sie innerhalb von drei Jahren auf 467 Personen an. 467 Menschen, die unschuldig ihr Leben lassen müssen, weil man sich in religiösen Fragen nicht einig werden kann. Ist das gerecht?

Am 10. August 1976 läuft das Fass über. Auf offener Straße, in einer belebten Einkaufsmeile, wird das Leben der fünfköpfigen Maguire-Familie fast vollständig ausgelöscht. Zwei neunzehnjährige Internierungshäftlinge, deren versuchtes Attentat gescheitert ist, reißen auf ihrer Flucht drei Kinder mit in den Tod. Obwohl die Mutter und das vierte ihrer Kinder überleben und diese Frau noch zwei weiteren Kindern das Leben schenken wird, kann sie die persönliche Tragödie nicht überwinden und wird 1980 den drei ersten Kindern in den Tod folgen. Dieses sinnlose Sterben veranlasst Betty Williams, 1976 eine unmittelbare Augenzeugin, die Initiative zu ergreifen.

Betty Williams wird am 22. Mai 1943 in Belfast geboren. Sie lernt Sekretärin, gründet eine Familie und fällt durch ihre Entschlossenheit und ihre resolute Erscheinung auf. Als in den Straßen Nordirlands die pure Gewalt regiert, hilft sie einem sterbenden britischen Soldaten, der in einem Kugelhagel schwer verwundet wird. Unter den Buhrufen und Verbalattacken katholischer Frauen gibt sie jedoch auf und unterlässt weitere Hilfsversuche. Als aber die Gewalt auch in ihr eigenes Leben eingreift und sie unmittelbar von Hass und Tod betroffen ist, kann die Meinung anderer sie nicht mehr aufhalten.

Am 10. August 1976 wird Betty Williams aktiv. Der Verlust der Maguirekinder trifft sie so übermächtig, dass für Trauer kein Platz ist. Sie startet einen Aufruf und schafft es, dass innerhalb von vier Tagen tausende Frauen auf die Straße gehen – Protestantinnen und Katholikinnen erstmalig zusammen. Und jetzt ist auch Platz für gemeinsame Trauer. Der Grundstein für weitere rallies, so nennen sich die Trauermärsche, ist gelegt. Diese rallies sollen als positive und konstruktive Handlungen der Gewalt gegenübergestellt werden. Der vorläufige Höhepunkt ist eine Großkundgebung, auf der auch die amerikanische Protestsängerin Joan Baez singen wird. Die Stärke dieser neuen Bewegung liegt darin, dass sie AnhängerInnen auf beiden Seiten findet. Katholiken und Protestanten engagieren sich gemeinsam gegen Gewalt. Ein gemeinsames Interesse, welches zwei verfeindete Pole miteinander vereint. Während der rallies wird immer wieder die Declaration of Peace verlesen. (1)

Unter den AnhängerInnen ist auch die eher ruhige Mairead Corrigan, geboren am 27. Januar 1944, ebenfalls in Belfast. Während Betty Williams spontan einen Aufruf startet, die Initiative ergreift und entscheidende Impulse gibt, agiert Mairead vorerst im Hintergrund. Dennoch steht auch für sie bald fest, dass sie sich dauerhaft für die Friedensbewegung einsetzen will. Sie kündigt ihren Job als Sekretärin und wird in einem kleinen Büro ihre Friedensarbeit fortsetzen, die sie als konsequente Weiterführung ihrer langjährigen Arbeit in katholischen Wohlfahrtsorganisationen sieht. Schon als junge Frau kümmerte sie sich um soziale Randgruppen, darunter Kinder aus zerrütteten Familien, Alkoholiker und Prostituierte.

Der 10. August 1976 ist auch im Leben Mairead Corrigans ein Wendepunkt. Sie tritt aus dem Hintergrund in die Öffentlichkeit und appelliert in einer bewegenden Fernsehansprache an Eltern, ihre Kinder zur Nächstenliebe zu erziehen. Sie sieht, dass der Bürgerkrieg eine Generation von Kindern heranzieht, die von Hass und Misstrauen geprägt sind, und mit dieser nachfolgenden Generation wäre ein Durchbrechen des Kreislaufs ewiger Gewalt nicht möglich.

Dem ersten Friedensmarsch im August 1976 werden noch weitere vierundzwanzig folgen. Das Ziel der zwei Frauen ist es, dass alle Armeen – die acht terroristischen und die britischen – von den Straßen Nordirlands verschwinden. Katholiken und Protestanten wollen ihre Probleme allein in die Hand nehmen. Unterstützung finden die Frauen über die Ländergrenzen Irlands hinaus, so auch von den Mitgliedern der Evangelischen Frauenhilfe in Deutschland, die durch gemeinsames Gebet und Ermutigung zum Weitermachen anspornen. Das Programm der Peace People, wie sich die Friedensbewegung nun nennt, besticht durch Einfachheit: Ende des Blutvergießens, Rückzug der britischen Soldaten!

Ich hatte Todesangst

Bereits 1971 hatte es Friedensbemühungen gegeben, die aber durch Drohungen gewaltsam unterdrückt wurden. Betty Williams und Mairead Corrigan lassen sich nicht aufhalten, obwohl die Angst ihr ständiger Begleiter ist, doch ihr Mut und ihr Vertrauen in Gott sind größer.

Im Dezember 1977 wird beiden Frauen der Friedensnobelpreis verliehen. In ihrer Rede sagt Betty Williams, dass es sie mit Stolz erfülle, mit einem persönlichen Aufruf ein massives Bedürfnis nach Frieden freigesetzt zu haben. Sie appelliert an ihre Mitmenschen, nicht nur leise zu bitten und zu flehen, sondern ihre Stimme zu erheben und sich zu ihrer Wut zu bekennen.

1978 ist ein schwieriges Jahr für die Peace People. Bettys Auftreten entspricht nicht den Erwartungen, die man an eine Friedensnobelpreisträgerin stellt. Sie wird am Grab der Maguire Kinder angepöbelt, weil sie das Geld, welches ihr durch den Friedensnobelpreis zuteil wurde, angenommen hat. Sie hält diesem ständigen Druck nicht stand, und auch innerhalb der Peace People kann kein Konsens gefunden werden über konkrete Zukunftsaufgaben und kontroverse Themen, wie z.B. die Haltung der Friedensbewegung zur Lage der Gefangenen im Block H von Long Kesh, einem Internierungslager, in dem politische Gefangene um einen Sonderstatus kämpfen. Betty Williams erscheint es unvorstellbar, dass eine Friedensbewegung sich für die Sache von Terroristen einsetzt. Beide Frauen ziehen sich aus ihren Spitzenpositionen zurück. Betty Williams emigriert mit ihrer Familie in die USA. Dort beginnt sie sich für internationale Friedensprojekte einzusetzen und gründet 1997 die Kinderrechtsorganisation World Centres of Compassion for Children International, für die sie bis jetzt den Vorsitz hat. 2004 kehrt sie nach Nordirland zurück, wo sie heute lebt.

Das Ende ist oft ein Anfang

Doch so schnell lässt sich eine Friedensbewegung dieses Ausmaßes nicht stoppen: Mairead Corrigan und ungefähr vierzig der ehemals 100.000 aktiven Mitglieder beginnen noch einmal von vorn. Peace Jam ein weiteres Projekt, in dem sich Mairead Corrigan gemeinsam mit Betty Williams und anderen TrägerInnen des Friedensnobelpreises für Erziehung junger Menschen zum Frieden einsetzt. Weiterhin voller Optimismus dem Frieden verschrieben, engagiert sich Mairead für humanitäre Initiativen und deren Aufbau, bringt auch weiterhin Politiker aus verfeindeten Lagern an einen Tisch und lädt zum gewaltfreien Dialog ein. Unermüdlich organisiert sie Jugendbegegnungscamps, um der nächsten Generation ein friedvolles Miteinander zu ermöglichen. Auch die Einrichtung interkonfessioneller Schulen in Nordirland geht auf sie zurück. Außerdem ist sie Schirmherrin des Nordirischen Rates für integrierte Ausbildung, dem Northern Ireland´s Concil for Integrated Education.

Selbst lässt Mairead Corrigan sich am Irischen Institut für Ökumene weiterbilden, denn ein besonderes Anliegen ist ihr die Arbeit für die Ökumene. Sie ist Mitglied im Internationalen Versöhnungsbund und bei Pax Christi, Ehrenpräsidentin der Initiative Hands off Cain, die sich für die Abschaffung der Todesstrafe einsetzt, und eine der InitiatorInnen von Child Right Worldwide, einer der weltweit tätigen Kinderschutzorganisationen. Derzeit ist sie aktiv beteiligt an der internationalen Koordination der Dekade der Vereinten Nationen für eine Kultur des Friedens und für die weltweite Gewaltfreiheit für Kinder. Dieses Projekt startete 2001 und läuft 2010 aus. Initiiert wurde es übrigens durch einen Appell von zwanzig FriedensnobelpreisträgerInnen – angeführt von Mairead Corrigan.

Anja Jungchen, 31 Jahre, Mutter zweier Kinder, arbeitet als Psychologische Beraterin in einem Frauenbildungs- und Beratungszentrum und studiert u. a. ev. Theologie in Greifswald.

Zum Weiterlesen
Angelika U. Reutter, Anne Rüffer: Frauen leben für den Frieden. Die Friedensnobelpreisträgerinnen von Bertha von Suttner bis Schirin Ebadi, erw. Taschenbuchausgabe München (Piper Verlag) 2004
Im Internet:
www.peacepeople.com
www.peacejam.org
www.nobelprize.org/nobel-prizes/peace

Besonders ausführliche Informationen bietet die deutschsprachige Seite des UNESCO-Servers www.dadalos-d.org (auf der Startseite zu den Informations- und Unterrichtsmaterialien gehen, dort „Vorbilder“ anklicken, um „PeacePeople“ zu finden)

Anmerkung
1
Die Declarartion of Peace („Friedendserklärung“) ist die Grundbotschaft der Peace People, die sieben Unterpunkte aufweist: Wir wollen leben und lieben und eine gerechte und friedliche Gesellschaft aufbauen. Wir wollen für unsere Kinder, ebenso wie für uns selbst, zuhause, am Arbeits- und am Spielplatz, ein Leben voller Frieden und Freude. Wir erkennen an, dass der Aufbau eines solchen Lebens uns harte Arbeit und Mut abverlangt. Wir erkennen an, dass es viele Probleme in unserer Gesellschaft gibt, die Quellen von Konflikten und Gewalt sind. Wir erkennen an, dass jede einzelne Kugel, die abgefeuert wird, und jede explodierte Bombe diese Arbeit schwieriger macht. Wir lehnen die Bombe und die Kugel und alle Techniken der Gewalt ab. Wir verpflichten uns, mit unseren Nachbarn in Nah und Fern, Tag und Nacht am Aufbau dieser friedlichen Gesellschaft zu arbeiten, in der die Tragödien, wie wir sie kannten, eine böse Erinnerung und eine stetige Warnung sein werden.

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