Ausgabe 1 / 2008 Artikel von Hanne Finke und Simone Kluge

Beziehungsfeld

Gemeinschaft in kleinen und großen Küchen

Von Hanne Finke und Simone Kluge


„Küche: nüchtern gesagt: Arbeitsraum zur Herstellung von Mahlzeiten“, definiert ein deutsches Jugendlexikon von 1969. Ist das so? Anders gefragt: Ist nicht das, was Küche ausmacht, etwas ganz anderes – auch wenn das Zubereiten der Mahlzeiten, mit mehr oder weniger Aufwand, geblieben ist? Ist die Küche nicht vielmehr der Raum im Haus oder in der Wohnung, der uns Lebendigkeit spüren lässt? Der Ort, wo Hunger und Durst von Leib und Seele gestillt werden?

Hanne Finke, Jahrgang 1952. In der großen Küche meiner Familie gab es einen Herd, in dem Feuer gemacht wurde zum Wärmen und Kochen. Hier fand reichhaltiges Familienleben statt. Kinderspiele, Körperpflege, Kochen und Backen, Klönen mit Nachbarn, die Vorbereitungen für die Hausschlachtung mit Leuten aus dem Dorf, Marmelade kochen oder Pflaumen trocknen. In der Küche wurde der Adventskranz gebunden, und Pfingsten gab es Spargelessen mit Verwandten. Da wurden Schularbeiten gemacht, die Zeitung gelesen und Briefe geschrieben. Nur selten war jemand allein in der Küche. Beim Kuchenbacken wurde von der Schule erzählt, daneben schnippelte die Großmutter Bohnen, erzählte von den Sorgen der Nachbarin, und die Erwachsenen beratschlagten, wie geholfen werden könnte. Reden, sich zusammen über etwas freuen oder Ärger und Kummer teilen: Vieles von dem, was ich heute im Alltag brauche, habe ich als Kind in unserer Küche gelernt. In Erinnerung ist mir unsere Küche als Ort der gegenseitigen Anteilnahme, der Geborgenheit an Winterabenden, des Miteinanders bei Geburtstagen und der Arbeiten, die mehrere Generationen gemeinsam verrichteten. Und natürlich fanden auch die familiären Auseinandersetzungen meistens in der Küche statt, und erörterten Eltern und Großeltern finanzielle Probleme oder gesundheitliche Sorgen.

Simone Kluge, Jahrgang 1972. Die Küche in unserem Mehrfamilienhaus war ein enger Schlauch mit Fenster nach Norden. Eine Arbeitsplatte rechts, eine links. Unser Esstisch stand im Wohnzimmer. Ich kann mich nicht erinnern, mich länger in der Küche aufgehalten zu haben. Die Einrichtung war rein funktional, der Boden kalt und ungemütlich, eine Sitzgelegenheit gab es nicht. Küche als Lebensmittelpunkt habe ich während meines Studiums in einer Wohngemeinschaft erlebt. Der Gemeinschaftsraum unserer 4er-WG war eine bunt zusammen gewürfelte Küche. Hier wurde gemeinsam musiziert, gelesen, über Gott und die Welt diskutiert, immer fand sich jemand zum Klönen. Hier entstanden die verwegensten Kochkreationen, jede und jeder hatte etwas beizusteuern. Angelockt vom betörenden Duft der Speisen, füllte die Küche sich dann mit hungrigen Mäulern. Kein Fernseher, kein Radio störte die intimen Momente bei den Gesprächen bis tief in die Nacht. Gäste waren stets herzlich willkommen. Die ganze Welt schien in unserer kleinen Küche Platz zu haben.


Essen und mehr

Für „Gemeinschaft“ kennt das AT zwei hebräische Worte: kahal und eda. Sie bedeuten menschliche Gemeinschaften, Ansammlungen und Versammlungen aller Art oder – wie bei Hiob 30,28 – die Gemeinde als Öffentlichkeit.(1) In Römer 16 lesen wir von Priscilla und Aquila, die zur Versammlung in die Werkstatt ihres Hauses einluden; sie bildeten eine Gemeinschaft bzw. eine Gemeinde. Und wenn wir um „unser tägliches Brot“ beten, meint das nicht nur Nahrung und Kleidung, sondern auch Lebenslust und Hoffnung, Arbeit und Gemeinschaft. Gemeinschaft ist eine Kraftquelle und erzeugt Solidarität. Der/die Einzelne bleibt eigenständig, steht aber in einer dialektischen Beziehung zur Gemeinschaft. Martin Buber sagt: „Nur Du-sagend werde ich Ich.“(2) Bei Leonardo Boff finden wir den Hinweis, dass nur Personen in Gemeinschaft stehen können, und das heißt, „dass die eine in der Gegenwart der anderen ist, sich aber von ihr unterscheidet, und dass sie gleichwohl in radikaler Wechselseitigkeit offen für andere ist. Damit Gemeinschaft entstehen kann, müssen direkte und unmittelbare Beziehungen herrschen: von Auge zu Auge, von Angesicht zu Angesicht, von Herz zu Herz.“(3)

Gemeinschaft ist sozusagen ein Lebens-Mittel, leib-seelische Nahrung. Wenn wir auf unser modernes Leben sehen, wird uns jedoch schmerzlich bewusst, dass Individualisierung und damit auch Vereinsamung diese Gesellschaft prägen. Kommunikation besteht oft lediglich im Austausch von Informationen. Zeitlich und räumlich flexibel sollen wir sein, was zählt, ist Leistung. Immer mehr Menschen leben allein: 2006 bestanden bereits ca. 30 % aller Privathaushalte aus allein lebenden Menschen. Gegessen wird oft unterwegs, buchstäblich „im Vorbeigehen“. Zuhause essen geht eher so: schnell etwas aus dem Gefrierschrank nehmen, in die Mikrowelle stellen, anschließend vor dem Fernsehgerät den Magen füllen …


Kleine Küchen

Ist es verwunderlich, dass die Suche nach Formen und „Räumen“ zunimmt, in denen innige und lebendige Gemeinschaft möglich ist? Dass die Menschen sich nach „heimatlichem“ Zusammensein sehnen und nach Ritualen, die ganzheitliche und sinnliche, aber auch verlässliche Erfahrungen vermitteln? Die Küche ist dafür der ideale Ort. Denn:
– In die Küche können wir mit Familienangehörigen wie mit FreundInnen oder Fremden gehen und so verschiedenste Formen von Begegnung erleben.
– In der Küche arbeite ich mit den Händen – und kann nebenher meine Gedanken schweifen lassen, Radio hören oder singen, mich unterhalten.
– Sind Kinder da, lässt Küchenarbeit sich mit Versorgen und Erziehen verbinden.
– Viele der Arbeiten in der Küche sind einfach, jede und jeder kann mitmachen (oder mindestens so tun als ob).
– Gemeinsames Tun ist ein guter Boden für heikle Themen und hilft, auch unangenehme Dinge „nebenher“ anzusprechen.
– Frische Speisen zuzubereiten ist eine sinnliche Erfahrung: Ich berühre die Lebensmittel, spüre ihre Konsistenz, erlebe beim Abschmecken, wie sich der Geschmack der Speisen und Gewürze entfaltet.
– In der Küche ist es gemütlich, es knackt und zischt und brodelt und riecht. Die Düfte beim Backen und Kochen beleben uns, machen Appetit. Die Aussicht auf ein wohl tuendes Mahl belohnt uns für gemeinsame Mühen …


Große Küchen

Das Schöne ist: Die besondere Atmosphäre von „Küche“ entsteht und wirkt nicht nur zuhause. Damit tun sich Möglichkeiten für unsere Gemeinden auf. Wäre es nicht schön, wenn Gemeinschaft, wie in der Küche daheim, auch in der Gemeinde-Küche entsteht? Auch hier könnten alle mitmachen, könnten Kinder, Jugendliche, Erwachsene und alte Menschen gemeinsam Essen zubereiten und ein Mahl miteinander genießen, sich mitteilen, alltägliche Erlebnisse austauschen. Kleine Inseln des Miteinanders schaffen, die Wärme spüren lassen und so für Menschen, die sich allein fühlen, Lebendigkeit bedeuten.

Auf dem Tisch
Äpfel und Wein
Blumen zerbrechliche Farben

Du bist eingeladen

Ich wohne im Haus
Nummer Null

Den Duft malte Monet
Äpfel gereift bei Cezanne
Den Wein brachte die Flaschenpost

Ich wiederhole
Du bist herzlich
Eingeladen  (4)


Für die Arbeit in der Gruppe

Ziel: Die Frauen tauschen sich über ihre eigenen „Küchenbiographien“ aus und beschäftigen sich mit der Küche als Beziehungsraum – im privaten wie im öffentlichen Bereich.

Zeit: ca. 2 Stunden (inklusive Essen)

Material:
– Eddings und Moderationskarten oder Flipchart; Tücher für das Anspiel (Frauen vorher ansprechen);
– große Salatschüsseln und Salatbesteck; verschiedene Dressings für den kräftigen Salat; Zitrone und (Vanille-) Zucker für den Obstsalat, ggf. Sahne; Brot und Butter, passende Getränke
– Bitten Sie die Frauen vorher, Obst und Zutaten für einen Salat mitzubringen, außerdem ein Schneidebrettchen und ein Küchenmesser.

Einstieg
„Eine Handvoll Kinder in der kleinen Küche, // Lachen und Krakeel'n und Schwager Roberts Sprüche, / Oma in der Fensterbank, im Korb schnarcht der Hund, // Ulla deckt den Küchentisch, es geht wieder rund. // Kaffee auf'm Herd und Braten in der Röhre, // kein Platz auf der Welt, wo ich jetzt lieber wär', ich schwöre! // Die Füße unterm Tisch, die Gabel in der Hand // Bei Ilse und Willi auf'm Land.“

In diesem Refrain eines seiner Lieder beschreibt Reinhard Mey einen seiner Lieblingsorte: die Küche „bei Ilse und Willi auf'm Land“, in der, so scheint es, Platz für alle ist. Küche kann ein Ort sein, in dem mehr passiert als nur Kochen und Backen. Welche Dinge fallen Ihnen da ein?    5 Min.

Brainstorming
Ideen sammeln und auf ein Plakat in der Mitte schreiben    10 Min.

Murmelgruppen
Wie war die Küche in Ihrem Elternhaus? Was für eine Küche haben Sie heute? Wie erleben Sie Ihre eigene Küche – ist sie ein Ort der Begegnung?    10 Min.

Plenum
– Sie haben sich gerade über Ihre Küchen ausgetauscht. Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede haben Sie festgestellt?
– Impuls: Welche Art von Küche wir aus unserer Jugend kennen, hängt von vielen Faktoren ab – etwa baulichen Gegebenheiten, finanziellen Möglichkeiten, Familientradition, Zeitgeschmack. Von zwei Küchenbiographien hören wir nun: Hanne Finke ist auf dem Lande aufgewachsen, Simone Kluge in einer Stadtwohnung …
– Anspiel: zwei Frauen stellen sich als Hanne Finke bzw. Simone Kluge vor (siehe oben S. 67)
– Vertiefung: Was macht den Ort Küche so geeignet für das Zusammensein und Miteinander von Menschen? (Ideen sammeln und evtl. aus dem Text oben ergänzen)
20 Minuten

„Koch“-Aktion
– Wir möchten Sie nun einladen, dem „Beziehungsraum Küche“ nachzuspüren, indem wir gemeinsam ein Essen zubereiten. Bitte stellen Sie einen leckeren Salat zusammen. (Anzahl der Salate je nach Gruppengröße) Wichtig: Jede Frau sollte beteiligt sein. Jede entscheidet selbst, wie sie das Obst oder Gemüse schneidet. Es gibt kein Richtig oder Falsch!
– Beobachten Sie während der Aktion einmal selbst: (1) Mit wem komme ich in Kontakt? Vielleicht mit einer, mit der ich sonst nicht in Kontakt trete? (2) Worüber wird geredet? Worüber spreche ich? (3) Wie fühle ich mich? (4) Wenn Sie neu in der Gruppe sind: Fällt es Ihnen durch das gemeinsame Tun leichter, in der Gruppe anzukommen? Nach der Aktion werden die Brettchen und Messer abgeräumt, die Tische abgewischt und eingedeckt.
– Lied: Wo zwei oder drei (EG 564)
– Blitzlichtrunde (eine Frucht wird von Sprecherin zu Sprecherin weitergereicht): Wie habe ich die gemeinsame Zeit der Zubereitung erlebt?
– Tischgebet oder Lied: Lasst uns miteinander (EG 563)
– Gemeinsames Essen    45 Minuten

Überleitung
(Evtl. beim nächsten Treffen) Wir haben gemeinsam ein Mahl zubereitet und zusammen gegessen. Dabei konnten wir erleben, wie wohltuend und nährend Gemeinschaft ist. Die meisten von uns müssen sich um ihr tägliches Brot keine Sorgen machen. Wie aber sieht es mit der Gemeinschaft aus? Viele, gerade ältere Menschen, leben allein; aber auch viele junge Menschen leiden unter der Vereinzelung. Der Hildesheimer Sozialpädagoge und Liedermacher Siggi Stern (geb. 1976) will dem etwas entgegensetzen. Seit 2003 reist er mit seinem Programm „Zuhause in fremden Küchen“ durch die Lande. In fremden Küchen spielt er Küchenlieder, liest Küchengeschichten, zeigt Dias und bringt die Menschen miteinander ins Gespräch. Meistens wird vorher zusammen gekocht und gegessen, manchmal auch hinterher zusammen gesungen.

Kleingruppen
Wie können wir in unserer eigenen Küche oder in der der Gemeinde Räume für Begegnung schaffen? Wie wäre es mit einem Küchenkonzert, einer Lesung und/oder einem gemeinsamen Kochen? Sammeln Sie Ideen für eine gemeinsame Küchenaktion und überlegen auch: Wer? Wo? Wann? Was?

Plenum
Zusammentragen der Ergebnisse; evtl. Festhalten konkreter Vereinbarungen

Abschluss
Lied: Lasst uns miteinander (EG 563)

Gebet – Segen:
Gott, du lädst uns ein an deinen Tisch,
so verschieden wir auch sind.
Du suchst Gemeinschaft mit uns,
so verschieden wir auch sind.
Wir teilen das Brot, das von dir kommt,
so verschieden wir auch sind.
Aber wir sind Gast bei dir mit allem,
was uns bewegt, schmerzt
und hoffen lässt.
Wir bitten dich,
lass uns zu Menschen werden,
die nicht nur sehen, was uns trennt,
sondern was deine Menschheit verbindet:
Achtung, Menschenwürde,
Brot, das den Hunger stillt.
Wir bitten dich,
schenke jeder oder jedem von uns,
was wir brauchen:
Gemeinschaft, Hoffnung, Nähe,
Lachen und Vertrauen.
Amen. (5)



Hanne Finke
, 55 Jahre, ist Landesbeauftragte (ehrenamtlich) im Frauenwerk der Ev.-Luth. Landeskirche Hannovers. Die Diplom-Pädagogin hat neun Jahre als Erzieherin gearbeitet sowie zehn Jahre als kommunale Frauenbeauftragte. Seit April 2006 ist sie in der kommunalen Sozialarbeit tätig.

Simone Kluge, 35 Jahre, ist gelernte Gymnasiallehrerin. Sie hat Ev. Theologie und Germanistik studiert und arbeitet seit 2005 als pädagogisch-theologische Mitarbeiterin im Landesverband Braunschweig der Ev. Frauenhilfe. Beide Frauen sind Mitglied der Arbeitsgruppe ahzw.


Anmerkungen
1
Vgl. das Stichwort kahal im Glossar der Bibel in gerechter Sprache
2 Vgl. Bernhard Schellenberger, Einsamkeit, in: Spirituell leben, hg. von Hartlieb, Quarch, Schellenberger, Freiburg/Breisgau 2006
3 Leonardo Boff, Kleine Trinitätslehre, Düsseldorf 20074 Rose Ausländer: Einladung, aus: Dies., Im Aschenregen die Spur deines Namens. Gedichte und Prosa 1976. © S.Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 1984
5 Aus: Andachten für die Arbeit mit Frauen in der Gemeinde, Bd.2, hg. von M. Gerlach und A. Weigt-Blätgen, Gütersloh 1999

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