Alle Ausgaben / 2004 Material von Hubertus Halbfas

Bittgebet

Von Hubertus Halbfas

 

Schüler: Wir sprachen bisher nur von Lob- und Dankgebeten. Beides empfinde ich eher als Ausnahmen, während Bitten uns ständig auf der Zunge liegen. Was meinst du?
Lehrer: Es ist schwerer zu bitten als zu danken.
Schüler: Das wundert mich. Sagt man nicht „Not lehrt beten“?
Lehrer: Sorgen und Wünsche äußern ist noch kein Bittgebet.
Schüler: Aber so haben wir es doch gelernt: „Im Bittgebet tragen wir
unsere Nöte vor Gott.“

Lehrer: Was aber bedeutet, unsere Nöte vor Gott zu tragen? Wer Gott nicht außen sucht, wird auch seine Bedrängnisse nicht einfach loswerden wollen.
Schüler: Sollen wir denn nicht mit unseren Nöten zu Gott gehen?
Lehrer: Doch. Aber die eigene Not vor Gott bringen heißt, sich besinnen, welcher Teil der Not bekämpft und welcher angenommen werden muss, damit wir in beidem reifen.
Schüler: Warum die Not einmal bekämpfen und einmal annehmen?
Lehrer: Es gibt Notlagen, die sind unannehmbar; man muss alles, was man ist und hat, gegen sie einsetzen. Andere Notlagen sind unabänderlich. Zuletzt für jeden der Tod. Wollten wir das Unabänderliche verdrängen, würden wir uns selbst verfehlen.
Schüler: Gott bitten müsste dann bedeuten, die eigene Verantwortung in dieser Sache zu suchen?
Lehrer: Jedes Bittgebet ist ein Suchen und ein Sich-Besinnen.
Schüler: Aber warum soll dieses Suchen und Besinnen Beten sein?
Lehrer: Weil es im Bemühen um letzte Ehrlichkeit geschieht.
Schüler: Dann ist das Bittgebet erschreckend anspruchsvoll. … Das ist etwas völlig anderes, als seine Not an Gott loszuwerden. Es ist wohl eher gefährlich.
Lehrer: Wer Gott außen denkt, ist geneigt, mit seinem Bittgebet die Not abzuwälzen, die Verantwortung dafür zu übertragen oder zu verdrängen. Wer Gott aber innen sucht und mit Gott zu sich selbst findet, überträgt seine Not nicht auf einen Übermächtigen, sondern stellt sich der Not.
Schüler: Was heißt hier: sich stellen?
Lehrer: Bedenken, was die Notlage fordert, und der Forderung nicht ausweichen.
Schüler: Belastet ein solches Gebet nicht mehr, als dass es befreit?
Lehrer: Wer sich einer Not zu stellen vermag, ist schon befreit. Er ist ja auch nie allein angesichts dieser Not; in ihm und durch ihn selbst wirkt Gott mit.

aus: Der Sprung in den Brunnen. Eine Gebetsschule
© Patmos Verlag, Düsseldorf 1995

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