Alle Ausgaben / 1997 Frauen in Bewegung von Beate Schröder

Brigitte Csaki

Die Bekennende Kirche als Kompaß

Von Beate Schröder

Eigentlich wollte Brigitte Csaki Architektur studieren. In „normalen“ Zeiten hätte sie das sicher auch getan. Doch für sie war der Nationalsozialismus so abstoßend und beängstigend, dass sie spürte: „Ich brauche eine Kompass, um mich zurecht zu finden. Dieser Kompass war zunächst die Theologie Karl Barths und die Bekennende Kirche, später die Kirchlich-theologische Sozietät in Württemberg.“(1)

Brigitte Csaki wurde 1918 in Hermannstadt in Siebenbürgen geboren. Anfang 1934, als sie 16 Jahre alt war, kam sie mit ihren Eltern nach Deutschland. Ihr ater wurde Leiter des deutschen Auslandsinstituts in Stuttgart. Brigitte Csaki hielt es nur drei Monate im nationalsozialistischen Deutschland aus: „Was ich in diesen drei Monaten, eben 16 Jahre alt, empfunden habe, ist schwer zu beschreiben: diese marschierenden Kolonnen, dieses Geschrei, diese Hitlerreden und diese schrecklichen Uniformen …
Sicher hatte ich auch Heimweh, und das hat sich mit dem anderen vermischt. Jedenfalls dacht ich zum ersten Mal: Eigentlich bin ich kein Kind mehr. Bloß weil meine Eltern hier sein wollen, muss ich das nicht auch.“

Als sie in den Sommerferien ihre Großeltern in Hermannstadt besuchte, fragte sie dort ihre frühere Schuldirektorin, ob es möglich sei, an die Schule zurückzukehren. Die Direktorin war sehr verständnisvoll. Auch die Eltern zeigten Verständnis für den eigenen Weg ihrer Tochter. So verbrachte Brigitte Csaki die letzten beiden Schuljahre wieder in Siebenbürgen.

Sie wusste jedoch: Der Wunsch, Architektur zu studieren, würde sie wieder nach Deutschland führen. Um dort leben zu können, brauchte sie Menschen, mit denen sie reden konnte und die nicht mit dem Nationalsozialismus sympathisierten. In der Schule hatte sie einen guten Religionslehrer, ein Anhänger Karl Barths, der seinen Schülerinnen viel über die Bekennende Kirche und die Theologie Karl Barths vermittelte. Durch ihn kam sie auf den Gedanken, in Deutschland zunächst Theologie zu studieren, um die Menschen zu finden, die ihr den notwendigen Halt geben konnten: „Die theologischen Semester habe ich gemacht, um diesen Kompass zu finden und mit diesen Gruppen und Kreisen in Kontakt zu kommen, ein ausdrücklich politisches Interesse. Ich wollte mit dieser NS-Sache zurechtkommen. Noch in Siebenbürgen habe ich viel Literatur der Bekennenden Kirche gelesen, und in dieser Sache viel nachgedacht. So war ich gerüstet und wusste, wenn ich nach Deutschland zurückkommen dann weiß ich, es gibt Menschen, bei denen ich diesen Kompass finde, mit dessen Hilfe ich mich zurecht finden kann, wenn man schon da sein muss.“

Das Theologiestudium begann Brigitte Csaki in Tübingen. An der Kirchlichen Hochschule in Bethel, auf die sie wechselte, konnte sie nur ein Semester bleiben. Dan bekam sie wie alle anderen Studierenden einen Brief: „Die Hochschule ist verboten. Holt Euch Euren Koffer ab. Dies hier geht nicht weiter.“ (2) Da wurde den Studierenden schon bewusst, welchen Weg sie eingeschlagen hatten. Zum Wintersemester 1939 ging Brigitte Csaki nach Berlin. Pro forma immatrikulierte sie sich an der theologischen Fakultät der Universität, studierte jedoch an der Kirchlichen Hochschule der Bekennenden Kirche, die im Untergrund in Dahlemer Privathäusern am Leben erhalten wurde. Hier lehrte u.a. Helmut Gollwitzer. Die Kirchliche Hochschule war 1937 gegründet und noch im selben Jahr verboten worden.

Die „lex Csaki“ – eine Ausnahmeregel

Brigitte Csaki war die erste Frau unter den Theologiestudierenden der Evangelischen Landeskirche in Rumänien. Als sie in die Liste der Theologiestudierenden aufgenommen wurde, sagte der Bischof lachend zu ihr: „Wir haben heute ein lex Csaki gemacht.“

Als erste Frau legte sie 1941 in ihrer Heimatkirche das erste theologische Examen ab. Nach dem Examen arbeitete Brigitte Csaki zwei Jahre als Religionslehrerin am deutschsprachigen evangelischen Mädchengymnasium in Kronstadt.

Der Nationalsozialismus war jetzt auch in Siebenbürgen angekommen. Es gab so gut wie keinen Widerstand: „Ich hatte das Gefühl, die sind hier alle nicht mehr ganz bei Trost. Mit ein paar wenigen Pfarrern konnte ich offen sprechen, aber sonst war es ganz schwierig.“ Sie spürte, dass sie erneut auf den Halt der Bekennenden Kirche und der Kirchlich-theologischen Sozietät in Württemberg, die sie im Studium kennen gelernt hatte, angewiesen war. „Nach zweijähriger Unterrichtstätigkeit wollte ich noch einmal für ein Jahr nach Deutschland zurückgehen, um mich durch den Anschluss an die Sozietät erneut zu rüsten und zu stärken, und dem Nationalsozialismus in meiner Heimat besser gewachsen zu sein. Ich war ja erst 25 Jahre alt und hatte das Bedürfnis, weiter zu lernen.“

Nach dem einen Jahr in Deutschland konnte sie nicht mehr in ihre Heimat zurückkehren. „1944 hätte ich zurückgehen wollen. Da hatte aber die russische Armee Rumänien schon besetzt. Man konnte nicht mehr zurück. Ich bin dann nie wieder zurückgegangen.“

Vikarin in Wankheim

Es widerstrebte Brigitt Csaki, sich für das eine Jahr wegen einer Vikarstelle an den württembergischen Oberkirchenrat zu wenden. „Dann wäre ich ja irgendwo hingeschickt worden.“ Ihr war es jedoch wichtig, zur Sozietät Kontakt zu haben. Nur deshalb war sie ja nach Deutschland zurückgekehrt. So ging sie „ganz auf eigene Faust“ zu Richard Gölz nach Wankheim und fragte, ob sie bei ihm lernen und arbeiten dürfe.“ (3) „Ich war Gast im Pfarrhaus und habe dort mitgewohnt, gegessen und gearbeitet. Mein Taschengeld bekam ich von zu Hause. Gölz hat das auch als Vikariat aufgefasst. Er hat jeden Morgen nach dem Frühstück mit mir so richtig gearbeitet, wie man das mit einem Vikar tut: Exegese, Griechisch übersetzten usw.“

Die Wankeimer hatten scheinbar kein Problem damit, dass eine Frau neben dem „Herrn Pfarrer“ agierte und dann sogar an seine Stelle trat. „Die Wankheimer waren eh schon an Gölzsche Sonderwege gewöhnt. Seine Person war so überzeugend, dass sie alles mögliche hingenommen haben.“

Im Dezember 1944 wurde Gölz verhaftet und ins Konzentrationslager Welzheim gebracht. Es war bekannt geworden, dass ein Jude im Wankheimer Pfarrhaus versteckt gehalten worden war, einer der Berliner Jüdinnen und Juden, die in dieser Zeit heimliche Aufnahme in mehreren württembergischen Gemeinden mit Sozietätpfarrern gefunden hatten. Brigitte Csaki wurde ins Dekanat Tübingen gerufen und zur offiziellen Vertreterin für Richard Gölz benannt, aber mit Einschränkungen: „Der Dekan Stockmaier konnte sich nicht vorstellen, dass ich auch den Sonntagsgottesdienst vertrete. Das war ihm ein zu merkwürdiger Gedanke. Deswegen hat er versucht, das zu umgehen. Um mich zu ,entlasten', hat er einen Emeritus in Tübingen beauftragt, die Sonntagsgottesdienste zu übernehmen. Aber es war Winter. Da musste also ein Wankheimer mit einem Pferdefuhrwerk am Sonntagmorgen nach Tübingen, um diesen alten Herren die vereiste Straße herauf zu bringen, damit er hier auf die Kanzel steigt. Das ist wohl einmal gelungen. Nachher ist der Wagen steckengeblieben. Es war nicht möglich. Dann hat man es aufgegeben.“ Offiziell war den Theologinnen zu dieser Zeit die öffentliche Predigt von der Kanzel untersagt. Ihr Dienstauftrag beschränkte sich auf die „Verkündigung vor Frauen und Mädchen.“ (4)

Nach 1945

Gut erinnert sich Brigitte Csaki, wie Gölz im April 1945 aus dem KZ Welzheim zurückkam. „Er hat nichts erzählt, zog sich still in sein Arbeitszimmer zurück und stürzte sich an die Arbeit.“
Jeden Sonntag stieg er auf die Kanzel und organisierte zudem noch zwei „Kirchliche Wochen“ vom 23. Juli bis 6. August 1945 in der ehemaligen Zisterzienserabtei Bebenhausen. Als Gölz nach Wankheim zurückkam, war Brigitte Csaki schon nicht mehr da. Sie ging im Sommer 1945 mit ihrer Mutter nach Stuttgart.

Wieder wollte sich Brigitte Csaki nicht vom Oberkirchenrat irgendwo hinschicken lassen. Noch war sie innerlich damit beschäftigt, dass sie nicht nach Siebenbürgen zurückkonnte. Sie arbeitete in Stuttgart beim Hilfswerk, dem heutigen Diakonischen Werk. Es wurden Hilfskomitees für die verschiedenen Flüchtlingsgruppen gebildet. Sie übernahm die leitende Stelle in Württemberg für die Flüchtlinge aus Siebenbürgen.

Erst 1948, nach der Währungsreform, meldete sie sich beim württembergischen Oberkirchenrat. Sie arbeitete in einer Stillenbucher Gemeinde und hielt in Ludwigsburg Religionsunterricht. 1953 wurde ihr vom Oberkirchenrat zugesagt, dass sie für die nächste freiwerdende ständige Pfarrstelle vorgesehen sei. Dazu kam es jedoch nicht mehr. Brigitt Csaki heiratete und schied damit zwangsläufig aus dem württembergischen Kirchendienst aus. (5)

Mit ihrem Mann, der ebenfalls aus Siebenbürgen kam und Pfarrer war, ging sie für neun Jahre nach Athen. 1961 kehrten sie mit inzwischen drei Kindern nach Deutschland zurück. 1976 wurde sie Pfarrerin am Berliner Frauengefängnis. Hier war sie fünf Jahre tätig, bis sie 1981 mit 63 Jahren in den Ruhestand ging.

 

Anmerkungen
1
Zur „Kirchlich-theologischen Sozietät“ schlossen sich Anfang der dreißiger Jahre junge württembergische Theologen  zusammen, die gemeinsam im Evangelischen Stift in Tübingen studierten (Paul Schempp, richard Widmann, Hermann Diem, Heinrich Frausel, Wolfgang Metzger u.a.). Sie waren geprägt von der Theologie Martin Luthers und später Karl Barths. In der sog. „intakten“ Landeskirche Württemberg wussten sie sich den Beschlüssen und Bekenntnissynoden von Barmen und Dahlem 1934 verpflichtet. Gegen den lavierenden Kurs von Landesbischof Wurm klagten sie die Veröffentlichung und Befolgung dieser Beschlüsse ein.
2 Die kirchlichen Hochschulen wurden von der Bekennenden Kirche gegründet, um einen Freiraum zu bieten, in dem ungestört von nationalsozialistischer Ideologie Theologie studiert werden konnte.
3 Richard Gölz (1887-1975) war älter als die meisten anderen Gründungsmitglieder der Sozietät. Als die Theologiestudenten sich 1930 zusammenschlossen, war er schon seit zwei Jahren Kirchenmusikdirektor des Evangelischen Stiftes in Tübingen. Er suchte nach einem neuen Verhältnis von Wort und Sakrament. 1933 begründete er die Kirchliche Arbeit Alpirsbach. In regelmäßig stattfindenden Singwochen wurde versucht, neue Wege des Gottesdienstes zu gehen. Das Stundengebet bestimmte den Tagesablauf. Dazwischen gab es Singübungen, und es wurde theologisch gearbeitet. Am 3. Oktober 1935 wurde Richard Gölz zum Pfarrer von Wankheim bei Tübingen ernannt.
4 So das „Kirchliche Gesetz über den Dienst der Theologinnen“ von 1948. 1968 wurden die Theologinnen in Württemberg den Theologen gleichgestellt.
5 Das „Kirchliche Gesetzt über den Dienst der Theologinnen“ legte fest: „Mit der Eheschließung endet das Dienstverhältnis der Theologin.“

 

Literatur
Das Porträt ist in Auszügen entnommen dem Buch „Im Dunstkreis der rauchenden Brüder. Frauen im württembergischen Kirchenkampf“, hrsg. von der Tübingern Projektgruppe „Frauen im Kirchenkampf“ (ISBN 3-929128-07-1)

 

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