In vielen kriegerischen Auseinandersetzungen wird der weibliche Körper symbolisch und real zum Schlachtfeld. Die Nation, die Heimat, die „Muttererde“ sind nicht nur im Deutschen weibliche Begriffe. In etlichen Kulturen ist es das „Mutterland“, das von Soldaten verteidigt wird. Auch Radikalislamisten träumen davon, mit Waffengewalt eine weltumspannende umma zu errichten, eine globale islamische Gemeinde; umma leitet sich von umm für Mutter ab. Zugleich aber gibt es seit der Antike Massenvergewaltigungen in praktisch jedem Krieg – ob im Ersten oder Zweiten Weltkrieg, auf dem Balkan, im Ostkongo oder in Darfur. Frauen werden als enteignetes Eigentum des Feindes markiert, denn Vergewaltigung ist auch eine Botschaft an den unterlegenen Mann: Du schaffst es nicht, deine Frau zu schützen, du bist kein Mann mehr. Vergewaltigung macht Mütter zu Huren, „entehrt“ sie, raubt ihnen die familiäre und kulturelle Position und schließt sie aus der Gemeinschaft, womöglich sogar aus dem Leben aus. Gleichzeitig dienen Vergewaltigungen der männlichen Selbstvergewisserung und Komplizenschaft …
Krieg ist das Scheußlichste, was Männern zugemutet werden kann. Kämpfen zu müssen, die eigene Todesangst und Tötungshemmung zu überwinden – das ist die extremste Anforderung, die an die Psyche eines Mannes gestellt werden kann. Die natürliche Reaktion auf solche Zumutungen sind Kapitulation, Verweigerung, Desertation und die Sehnsucht, an Frauen- und Mutterkörpern Schutz zu suchen. Um diesem Verlangen zuvorzukommen, muss im Militär alles Weibliche und Weiche ausgemerzt werden.
Zudem gibt es einen unlösbaren Widerspruch innerhalb der militarisierten Männlichkeit: Krieger können ihre Dominanz nur durch ihre eigene Unterwerfung beweisen. Der einzelne Soldat muss sich der Befehlsgewalt der Armeeführer fügen, mit allen anderen zu einer gut funktionierenden Militärmaschine werden. Dabei wird sein Selbstbild vom autonomen Mann schwer beschädigt. Indem sie selbst Macht ausüben und dabei die erlittene Gewalt an andere weitergeben, versuchen viele Männer, ihr individuelles Selbstbild wiederaufzubauen. In den Puff zu gehen, pornografische Gewaltvideos anzusehen, es den Frauen „zu besorgen“ und Homosexuelle zu verachten, das ist eine gängige Entlastungsstrategie für Männer, die ihre eigene Männlichkeit in Gefahr sehen. Der hohe Pornokonsum von Rekruten und die notorische Präsenz von Bordellen in der Nähe von Militärbasen können damit besser erklärt werden als mit Theorien, die Männer einen unkontrollierbaren Sexualtrieb andichten. Vielleicht ist das die bittere Pointe: Das Militär ist nur deshalb eine so brutale Institution, weil Männer per se weder besonders aggressiv noch besonders kriegerisch sind, sondern ständig aggressiv werden müssen, um als Krieger zu funktionieren …
Zwar sind die Männer nach wie vor die Herren der Welt, steht zum Beispiel dem männlichen Reichtum immer noch die Feminisierung der Armut gegenüber. Doch die über Jahrtausende fest gefügten Geschlechterbilder bröckeln. Die Krise der traditionellen Männlichkeit ist allenthalben mit Händen zu greifen. Frauenemanzipation und Globalisierung haben das Geschlechtergefüge ins Wanken gebracht. Endgültig zu Fall gebracht ist es noch lange nicht – geschweige denn, dass bereits die gleichberechtigte Gesellschaft Wirklichkeit wäre. Die Situation ist gefährlich, denn, so die zentrale These der Autorin, kriegerische Konflikte werden wahrscheinlicher, wenn viele Männer sich in ihrer bisherigen männlichen Identität bedroht fühlen.
Das Buch bietet Anregung und Genuss ganz sicher auch für Männer, die an keiner Stelle naiv einseitig als „Täter“ gezeichnet werden. Ebenso übrigens, wie Frauen sich schon in der Einleitung von der uneingeschränkten Opferrolle verabschieden können. Den scharfen geschlechter-analytischen Tiefenbohrungen Ute Scheubs lesend zu folgen, ist ein Bildungs-Vergnügen, dessen Reiz ihre journalistisch geschulte Sprache noch verstärkt.
aus:
Heldendämmerung –
Die Krise der Männer
und warum sie auch
für Frauen gefährlich ist
© 2010 by
Pantheon Verlag, München
in der Verlagsgruppe
Random House GmbH
Die letzte Ausgabe der leicht&SINN zum
Thema „Bauen“ ist Mitte April 2024
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