Alle Ausgaben / 2008 Material von Katrin Keita

Buchstabensalat im Internet

Von Katrin Keita


Wie lesen wir eigentlich? Mit dieser Frage setzt sich eine angebliche linguistische Studie auseinander, die seit 2003 im Internet kursiert. Englische Forscher sollen herausgefunden haben, dass es unwichtig ist, in welcher Reihenfolge die Buchstaben eines Wortes stehen, wenn nur die Buchstaben am Anfang und am Ende stimmen. Dies habe damit zu tun, dass wir Wörter als Ganzes erfassen. Als Beispieltext wird genannt:

Afugrnud enier Stidue an der elingshcen Cmabrdige Unvirestiät ist es eagl, in wlehcer Rienhnelfoge die Bcuhtsbaen in eniem Wrot sethen, das enizg wcihitge dbaei ist, dsas der estre und lzete Bcuhtsbae am rcihgiten Paltz snid. Der Rset knan ttolaer Bölsdinn sien, und man knan es torztedm onhe Porbelme lseen. Das ghet dseahlb, wiel das mneschilche Geihrn nciht jdeen Bchustbaen liset, sodnern das Wrot als Gnaezs.

Auch wenn dieser Text für die meisten Menschen lesbar ist und die Theorie damit bestätigt scheint, ist sie falsch. Der Text kann nur gelesen werden, weil sein Inhalt bereits bekannt ist. Wer als Gegenprobe einen unbekannten Text liest, stellt fest, dass dies schwierig ist: Was heißt z.B. „Fsreisnerhee“ oder „Reeefnnorrtm“ (Lösung unten)?

Bisher konnte keine Quelle dieser Internet-Ente ausfindig gemacht werden. Trotzdem ist sie von vielen Web-Seiten unhinterfragt übernommen worden. Recherchen der Frankfurter Allgemeinen Zeitung brachten ans Licht, dass tatsächlich 1976 ein britischer Forscher namens Graham Rawlinson über die Reihenfolge der Buchstaben bei der Worterkennung geforscht hat, ohne allerdings zu den in der erfundenen Studie genannten Ergebnissen zu kommen.

Die Meldung über die Studie ist aber sehr aufschlussreich, was die Verbreitung von Nachrichten über das Internet betrifft. Die Web-Autorin Katja Schmid hat enthüllt, dass die Buchstaben-Nachricht von dem amerikanischen Physiker David Harris weitergegeben worden ist. Harris hat den Wortlaut der Nachricht leicht verändert, um ihre Verbreitung und Umlaufgeschwindigkeit zu testen. Zehntausende von Internet-NutzerInnen wurden so zu Versuchskaninchen. Wie lesen wir also? Oft erschreckend unkritisch.


Lösung: Fernsehserie, Rentenreform


Katrin Keita
(c) bei der Autorin

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