Ausgabe 1 / 2008 Artikel von Gudrun Kordecki

Chemielabor

Vom Pökelsalz zum Phytosterin

Von Gudrun Kordecki


Wann genau die Menschen begannen, ihre Nahrung nicht nur zu sammeln, sondern bewusst zuzubereiten, zu garen, durch Würzen zu verfeinern und zu konservieren, wissen wir nicht. Jedenfalls nutzten sie von Anfang an dazu auch Chemikalien. Warum und wie diese in Einzelnen wirkten, wurde aber erst viel später erforscht.

Klassische Chemikalien in der Küche sind Salz und Zucker. Salz ist für uns lebenswichtig und in vielen Lebensmitteln bereits enthalten. Zucker gehört zu den Kohlenhydraten und kann aus Zuckerrohr (Rohrzucker), aber auch aus Zuckerrüben hergestellt werden. Bei der Verdauung zersetzen Enzyme Zucker zu Glucose, dem Traubenzucker. Das süße Vergnügen hat leider eine Schattenseite – zu viel Zucker macht dick.

Auch Säuren spielen seit je her in der Lebensmitteltechnik eine wichtige Rolle. Natriumhydrogencarbonat, ein Salz der Kohlensäure, gibt bei Erwärmung Kohlendioxid (CO2) frei. Die Zugabe von Backpulver oder Backsoda (Natron) sorgt dafür, dass sich Gasbläschen im Teig bilden, so dass sich etwa die beliebten Muffins über dem Backförmchen hochwölben. Mikroorganismen wie Bakterien und Hefen produzieren Chemikalien, die in der Lebensmittelherstellung eine wichtige Rolle spielen. Hierzu gehören Hefen, die durch Gärung Alkohol erzeugen, und Bakterien, die Essigsäure und damit Essig produzieren, oder mit CO2-Bläschen den Brotteig „gehen“ lassen. Bakterien und Schimmelpilze sind auch für das besondere Aroma von Käsesorten und Salami verantwortlich.

Heute werden viele Hilfsstoffe, die in der Lebensmittelindustrie eingesetzt werden, von gentechnisch veränderten Mikroorganismen hergestellt. Beispiele sind Vitamine und Enzyme. Die Organismen selbst sind in den Produkten nicht mehr enthalten. Eine Kennzeichnung dieser Lebensmittel ist nicht vorgeschrieben.


Food-Design

Kühlfach – Mikrowelle – Tisch. Schnelle Mahlzeiten liegen im Trend. Durch die industrielle Herstellung gehen aber Aromastoffe, Vitamine und Farbe der Lebensmittel verloren. Dies wird durch entsprechende Zusätze ausgeglichen. Fertiggerichte entstehen meist nicht durch eine Vervielfachung des Rezepts aus der eigenen Küche, sondern es findet ein regelrechtes „Food-Design“ statt: Die Zutaten müssen lediglich die richtigen Eigenschaften aufweisen, und das Endprodukt soll in Aussehen, Geruch und Geschmack dem selbst Gekochten möglichst ähnlich sein. Entsprechend tragen Fertiggerichte häufig eine lange Liste an Zusatzstoffen in der Inhaltsangabe. Um die Liste noch auf die Packung zu bekommen, werden die so genannten „E-Nummern“ abgedruckt.(1) Alle Stoffe sind für die Lebensmittelindustrie zugelassen, die meisten werden auch nicht als bedenklich angesehen. Aber mitunter gaukeln uns die Zusatzstoffe eine „falsche“ Natürlichkeit vor. Laut Ökotest finden allein rund 2.800 Aromastoffe Anwendung, hinzu kommen Farbstoffe, Konservierungsstoffe, Verdickungsmittel, Emulgatoren, Süßstoffe, Enzyme, Trennmittel, Vitamine …; hierzu zwei Beispiele:

– In Deutschland wird viel mehr Erdbeerjoghurt gegessen, als Erdbeeren zur Verfügung stehen. Hier muss Erdbeeraroma her! „Echter“ Erdbeergeschmack besteht aus ca. 300 Verbindungen. Ein passables Erdbeeraroma lässt sich aber gut im Labor erzeugen. Das „natürliche Aroma“, das auf dem Joghurtbecher deklariert ist, kommt allerdings nicht aus Erdbeeren, sondern z.B. aus einem anderen „natürlichen“ Produkt: aus Holz.

– „Vanilleeis mit echter Bourbon-Vanille“ verspricht die Werbung. Die Zeitschrift Ökotest hat 2007 festgestellt, dass viele Eissorten falsche Versprechungen machen. Echte Vanille ist eine tropische Orchideenart, das Aroma wird aus den Samenschoten gewonnen. Der Jahresertrag beträgt etwa 20 Tonnen. Der Weltverbrauch des industriell hergestellten Vanillins wird mit 12.000 Tonnen angegeben. Da das industriell hergestellte Aroma wesentlich preiswerter ist, liegt es nahe, dieses in Vanilleeis zu verwenden. Allerdings sollte dann die Werbung darauf verzichten, uns vorzugaukeln, es seien Vanilleschoten enthalten.


Light macht auch fett

Fette erhöhen den Cholesterinspiegel und machen dick. Daher bemüht sich die Industrie um Produkte, die weniger Fett enthalten, gleichzeitig aber geschmacklich und vom Mundgefühl her den Eindruck fettiger Produkte vermitteln. Hierzu werden Eiweiße, Kohlenhydrate, Algenextrakte und Cellulose eingesetzt. Leider sind „fettfreie“, „cholesterinfreie“ Light-Produkte geschmacklich meist nicht sehr überzeugend. Auch führen sie nicht zur Gewichtsabnahme, da bei diesen „Produkten ohne Reue“ offenbar gern etwas mehr gegessen wird.

Gesunde Ernährung wollen wir alle. Die Ernährungsberatung empfiehlt eine abwechslungsreiche Kost mit viel Obst, Gemüse und Ballaststoffen und wenig tierischem Fett. Leider halten sich viele nicht daran. Daher sind wir wohl auch so empfänglich für die Werbung, die uns neue, noch gesündere Lebensmittel verspricht. „Functional Food“ heißt das Zauberwort. Diese Lebensmittel sind mit Stoffen angereichert, denen eine gesundheitsfördernde Wirkung nachgesagt wird:
– Probiotische Milchprodukte enthalten besondere Milchsäurebakterien. Ob diese Drinks und Joghurts tatsächlich viel gesünder sind als herkömmliche Produkte, erscheint aber fraglich.
– ACE-Produkte enthalten Provitamin A (Beta-Carotin), Vitamin C und Vitamin E. Alle drei sind Antioxidantien – Stoffe, die aggressive Sauerstoffradikale im Körper abfangen und hierdurch eine Schädigung durch Oxidation verhindern. Also werden Lebensmittel mit den ACE-Vitaminen angereichert, um die Wirkung der Antioxidantien zu erhöhen. Auch andere Carotinoide, die in stark gefärbtem Gemüse wie Broccoli, Auberginen oder Paprika vorkommen, werden Lebensmitteln als Antioxidantien zugesetzt.
– Omega-3-Fettsäuren sind mehrfach ungesättigte Fettsäuren, denen eine vorbeugende Wirkung gegen Herz-Kreislauf-Erkrankungen nachgesagt wird. Sie kommen in Fischölen in hoher Konzentration vor, aber auch in Lein- und Rapsöl. Das einfachste wäre, ein- bis zweimal pro Woche fetten Fisch zu essen. Was tun, wenn man aber keinen Fisch mag? Die Lösung offeriert die Industrie in Form von Omega-3-Brot und anderen, eigentlich fettarmen Produkten. ExpertInnen sagen aber eindeutig, dass bei einer ausgewogenen Ernährung der Omega-3-Fettsäurebedarf gedeckt wird.
– Phytosterine sind so genannte sekundäre Pflanzenstoffe, die dem Cholesterin chemisch ähnlich sind, jedoch den Cholesterinspiegel absenken. Damit wurden sie zu einem neuen Wundermittel gegen Herz-Kreislauferkrankungen. Margarine, Käse, Milchprodukte und Brot wurden mit Phytosterinen versetzt und mit dem Hinweis „senkt nachweislich den Cholesterinspiegel“ versehen. Also aßen selbst Gesunde und Kinder diese vermeintlich „gesünderen“ Produkte. Dabei empfehlen ExpertInnen, dass Kleinkinder, Schwangere und Stillende diese Produkte vorsorglich meiden sollten, da sie die Vitaminaufnahme einschränken können. Wer Cholesterin senkende Medikamente einnimmt, sollte diese Lebensmittel nicht ohne Absprache mit der Ärztin oder dem Arzt essen. Keinesfalls sollten Menschen, die keinen erhöhten Cholesterinspiegel besitzen, diese Produkte quasi „vorbeugend“ essen. Die EU schreibt vor, dass diese Lebensmittel einen Warnhinweis tragen müssen: Man soll nicht mehr als 3 g pro Tag an zugesetztem Phytosterin verzehren.

Eine neue EU-Verordnung soll spätestens ab August 2009 regeln, wann mit welchen Versprechen auf Lebensmittelpackungen geworben werden darf. Das Beispiel der Phytosterine macht deutlich, wie fließend die Grenze zwischen Lebensmittel und Medikament geworden ist.


Impfbananen?

Die gentechnische Forschung ist dabei, Pflanzen so zu verändern, dass sie medizinische Wirkstoffe produzieren. Die Idee ist bestechend: Medikamente werden aus Pflanzen gewonnen. Die Vision von der „Impf-Banane“, die bei Kindern in der Dritten Welt eingesetzt werden kann, wird sich wohl nicht realisieren lassen. Aber welche Folgen hätte es, wenn jemand irrtümlich eine Pharmapflanze für ein Lebensmittel hält? Sind Vermischungen von herkömmlichen und gentechnisch veränderten (gv) Pflanzen tatsächlich auf Dauer vermeidbar? Derzeit wird in Deutschland nur gv Mais angebaut, der ein Insektengift enthält, das Raupen abtötet. Über die gesundheitliche Bedeutung wird noch gestritten. Zukünftig sollen aber auch Pflanzen vermarktet werden, die „verbesserte“ Inhaltsstoffe enthalten. So soll eine gv Kartoffel verhindern, dass in Pommes frites das gesundheitsschädliche Acrylamid entsteht.

Auch die Nanotechnologie (2) hält Einzug in die Lebensmittel. Nanopartikel bestehen aus nur wenigen Atomen oder Molekülen. Sie besitzen besondere Eigenschaften, und noch ist unklar, ob sie eine Gefahr für die Gesundheit in sich bergen. Dennoch werden sie praktisch unkontrolliert von der Lebensmitteltechnologie entwickelt und vermutlich schon eingesetzt. Schokolade soll mit einer nanodünnen Schutzschicht aus Titandioxid überzogen werden, damit sie nicht eine unappetitliche weiße Schicht bildet. Und Omega-3-Fettsäuren sollen in Nanokügelchen „eingepackt“ werden, damit das Brot nicht nach Fisch schmeckt.


Ausgewogen ist gesund

Den Ideen der Lebensmitteltechnologen sind keine Grenzen gesetzt. Als Verbraucherinnen sollten wir uns allerdings fragen, welche Innovationen tatsächlich sinnvoll für unsere Ernährung sind – und welche eher eine Mogelpackung darstellen.

In Ernährungsstudien wurde immer wieder festgestellt, dass die gesundheitsfördernde Wirkung von bestimmten Inhaltsstoffen von Pflanzen sich am besten beim Verzehr der Pflanze selbst entfaltet. Der Zusatz des isolierten Stoffes zu den Mahlzeiten hatte eine geringere oder sogar schädliche Wirkung. Auch das alte Rezept „Viel hilft viel“ funktioniert bei Kochsalz genauso wenig wie bei Vitamin C. Die Botschaft ist vielmehr: Ausgewogen ist gesund! Kochen Sie ausgewogen und ballaststoffreich, fettarm, viel frisches Gemüse und Obst der Saison und aus der Region, vorzugsweise aus biologischem Anbau. Chemie in der Küche lässt sich am besten dadurch kontrollieren, dass man mit frischen Produkten häufiger selber kocht und nicht auf fertige Gerichte zurückgreift.


Für die Arbeit in der Gruppe

– Zum Einstieg bitten Sie die Teilnehmerinnen, Chemikalien in der Küche (beim Kochen) zu benennen. Schreiben Sie sie auf Moderationskarten. Klären Sie gemeinsam, was sich hinter Salz, Zucker, Backpulver, Natron, Vanillin-Zucker … verbirgt. Oder bringen sie die entsprechenden Produkte gleich mit.

– Vielleicht hat eine „kleine Helfer“ zuhause? Kefir-Pilze, Sauerteig-Ansatz und Backhefe finden sich immer noch in vielen Haushalten. Eine Rezepte-Börse und der Erfahrungsaustausch („Warum geht der Teig bei mir nicht?“) machen viel Freude!

– Kaufen Sie Fertigprodukte und analysieren Sie gemeinsam mit einer E-Nummern-Liste, was in den Produkten enthalten ist. (S. 79, Anm. 1) Vergleichen Sie dies mit einem „klassischen“ Rezept aus dem eigenen Kochbuch. Wenn eine Küche zur Verfügung steht, können Sie auch eine Tütensuppe mit einer frisch zubereiteten Suppe vergleichen (Zeit- und Zutatenaufwand, geschmackliches Ergebnis).

– Machen Sie den Geschmackstest: gekaufter Frucht-Joghurt (normal und light) und selbst gemachter Joghurt mit Früchten der Saison. Studieren Sie die Zutatenlisten und vergleichen Sie den Geschmack. (Beispiel Fruchtjoghurts: enthalten Säfte zur Farb- und Geschmacksverstärkung, zusätzlich „natürliche“ Aromen). Wiegen Sie die angegebene Menge an Zucker im Joghurt ab und stellen Sie ihn neben den Joghurt. Finden Sie heraus, welcher Zuckerersatzstoff im „Light“-Produkt steckt.

– Wie wäre es mit Nusskuchen? Kaufen Sie eine fertige Backmischung und die Zutaten für Omas guten alten Nusskuchen. Vergleichen Sie die Zutatenliste, den Aufwand für Einkauf und Zubereitung, die Garzeiten. Beurteilen Sie den Geschmack der Kuchen, am besten, ohne dass die „Test-Esserinnen“ wissen, welches die Fertigbackmischung und welches der klassische Kuchen ist. Können Sie einen Unterschied feststellen?



Dr. Gudrun Kordecki ist Chemikerin und arbeitet im Umweltreferat der Evangelischen Kirche von Westfalen. Schwerpunkte Ihrer Arbeit sind ethische Fragen der modernen Biomedizin, der Gentechnik in Landwirtschaft und Ernährung und umweltpolitische Fragestellungen. Weitere Informationen und Kontakt unter: www.kircheundgesellschaft.de / Umweltreferat


Anmerkungen
1 „E“ steht für „essbar“. Eine E-Nummernliste mit Informationen zur Gesundheitsverträglichkeit finden Sie im Sonderheft ÖKO-TEST kompakt: Zusatzstoffe (Juli 2007; 3,90 €).
2 Ein Nanometer ist ein milliardstel Meter.

Zum Weiterlesen
Volker Angres, Claus-Peter Hutter, Lutz Ribbe: ¬Futter fürs Volk. Was die Lebensmittelindustrie uns auftischt, München (Droemer Knaur) 2006 (8,95 €)

Internet:
– Zeitschrift Ökotest im Internet: Essen und Trinken (www.oekotest.de/cgi/nm/nm.cgi?doc=akt-thema-04)
– Aktuelle Tests und Berichte der Stiftung Warentest (www.stiftung-warentest.de/online/essen_trinken/special/1132610/1132610)
– Verbraucherzentrale NRW zu Ernährungsfragen (www.vz-nrw.de/UNIQ118364068217205/link222A)
– Datenbank zu Gentechnik in Lebensmitteln TRANSGEN (www.transgen.de/lebensmittel/einkauf)
– Informationen zu E-Nummern und Zusatzstoffen beim Infodienst Verbraucherschutz – Ernährung – Landwirtschaft http://www.aid.de/verbraucher/
zusatzstoffe_ kennzeichnung.php)
– Bericht zu Nanotechnologie in Lebensmitteln der Securvita Krankenversicherung (www.securvita.de/fileadmin/user_upload/PDF-Dateien/auszuege_SECURVITAL/0606-6-10.pdf)

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