Ausgabe 1 / 2004 Material von Michaela Stransky

Coming-out im Dorf

Von Michaela Stransky

Nach der Trennung von meinem Mann war für mich unmissverständlich klar, ich lebte lesbisch. Klar war es für mich, nicht aber für meine Umgebung. Aus dem Dorf wusste es zuerst natürlich niemand. Aber ich wollte nicht, dass das so blieb. Ich hatte panische Angst vor dem Versteckspielen und Angst davor, Lügen zu müssen, wenn die Leute sagen: „Wie sieht's denn aus, willst du nicht mal wieder einen Freund haben?“

Als Erstes bin ich zu meinen Vermietern gegangen, die mit im Haus wohnen und die ich also täglich sehe. Ich war ziemlich ängstlich, ich wusste ja gar nicht, wie sie reagieren würden. Ohne viel Umschweife habe ich ihnen gesagt, dass die Gudrun, die sie auch kannten, nicht nur eine Freundin, sondern meine neue Beziehung ist und dass ich lesbisch bin. Da war es raus. Ich fürchtete, jetzt kommt es gleich: „Kündigung! Pack deine Koffer, so etwas wollen wir hier nicht haben!“ – Aber der Vermieter sagte ganz ruhig: „Wenn du uns schockieren willst, musst du schon
mit etwas anderem kommen!“ Und seine Frau meinte, wenn es mir damit gut geht und die Kinder damit klarkommen, sei es doch kein Problem, überhaupt sei es doch meine Sache. – Puh! Da war ich sehr erleichtert. Der Vermieter wusste es nun, und meine Wohnung war schon mal gesichert. Zuvor habe ich mich schon unter der Brücke sitzen sehen mit dem Hund, einem Schlafsack und zwei Kindern rechts und links.

Das war also der erste Schritt. Was sollte ich als Nächstes tun?

Und da gerade das Nachbarsmädchen vorbeikam, hab ich es ihr auch gleich gesagt. Sie solle es auch ruhig ihrer Oma sagen. Wenn die ein Problem damit habe, dann solle sie michanrufen. Mit der Oma habe ich ein paar Tage später auch selbst gesprochen, und es war alles in Ordnung. Damit war also das Schlimmste geschafft.

Meinen Eltern habe ich es nie gesagt. Sie wissen bestimmt etwas – allein mein Mann wird dafür gesorgt haben, aber offen darüber gesprochen haben wir nie.

Im letzten Sommer habe ich noch einen nächsten Schritt getan. In unserem Lokalblättchen gab es einen Artikel zum Thema Homoehe und daraufhin einen ziemlich diskriminierenden Leserbrief.
Das konnte ich natürlich nicht so kommentarlos geschehen lassen. So habe ich einen Leserbrief geschrieben, der auch veröffentlicht wurde. Die Zeitung hat eine ziemlich hohe Auflage, die liest jeder hier. Das war natürlich noch ein weiterer Schritt in die Öffentlichkeit. Viele sprachen mich darauf an, gratulierten mir und fanden toll, dass ich meine Meinung so offen gesagt hatte.

Es ist natürlich ein Unterschied, ob man als Lesbe in Berlin oder Köln wohnt und dort ganz andere Möglichkeiten hat, oder ob man hier auf dem Land mit wahrscheinlich doch viel mehr Vorurteilen zu kämpfen hat. Allerdings bin ich persönlich nie diskriminiert oder gar angepöbelt worden, seitdem ich mich geoutet habe. Aber ich weiß von anderen, dass sie durchaus beschimpft werden, weil sie Händchen haltend auf der Straße entlang laufen. Und da finde ich es wichtig, dass man nicht weiterläuft und das runterschluckt, da muss man sich wehren.


aus: Michaela Stransky, Ich lebe mein
Leben für mich und nicht für die anderen,
in: Ministerium für Frauen, Jugend,
Familie und Gesundheit des Landes NRW,
Lebenswege lesbischer Frauen. Zehn
biografische Porträts, Düsseldorf 2002

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