Ausgabe 2 / 2003 Artikel von Waltraud Liekefett

Da waren’s nur noch vier

Zehn kleine Negerlein und der ganz alltägliche Rassismus

Von Waltraud Liekefett

Der Scherz-Verlag hat sich entschlossen, den Krimi von Agatha Christi „Zehn kleine Negerlein“ umzubenennen. In Anlehnung an die englische Version „And then there were none“ wird er künftig „Und dann gab es keine mehr“ heißen. Die Antidiskriminierungsstelle der Stadt Hannover war nach Protesten von Bürgern afrikanischer Herkunft aktiv geworden. Sie hatten beklagt, dass auch im Jahre 2002 die abwertende Bezeichnung „Neger“ noch vielfach üblich ist.

Diese Meldung in der 3sat-Sendung „Kulturzeit“ (6. März 02) zeigt, dass in unserem Land etwas in Bewegung gekommen ist. Was wir als Kinder und Jugendliche häufig unreflektiert hingenommen haben, wird nun eher hinterfragt. Es ist sinnvoll, noch einmal darüber nachzudenken, was da eigentlich geschehen ist, als wir das Lied von den „Zehn kleinen Negerlein“ gesungen haben, die „Mohrenköpfe“ verzehrten oder am Lagerfeuer „Negeraufstand ist in Kuba“ oder „Wir lagen vor Madagaskar“ sangen. Spaß hat es gemacht – aber haben wir uns etwas dabei gedacht?
Wie gerne steckten wir unsere Pfennige in den „Nickneger“, da wir wussten: In Afrika sind alle Kinder arm, nackt und wild, sie brauchen unsere Hilfe. Ich erinnere mich an zwei Bilder in einem Missionsblatt, die uns im Kindergottesdienst gezeigt wurden: Auf dem ersten Bild war ein kleiner schwarzer Junge zu sehen, spär-lich bekleidet, „Rotznase“. Das zweite Bild: dasselbe Kind, hübsch gekleidet, sauber im Gesicht. Dazu wurde uns erzählt, dass dies nun der Erfolg des Missionars K. wäre, für dessen Arbeit wir immer Geld in den Nickneger steckten…
Es wird kaum eine Frau in der Gruppe geben, die sich nicht an solche Bilder, Lieder oder Texte erinnert. Viele dieser Produkte, mit denen wir in der Kindheit und Jugend konfrontiert wurden, sind Ergebnisse rassistischen Denkens, das seine Wurzeln wesentlich in der Missions- und Kolonialgeschichte hat. Um die schwarzen Menschen abzuwerten, ihre Minderwertigkeit und Unzivilisiertheit gegenüber den weißen Menschen zum Ausdruck zu bringen, wurden z.B. leicht eingängige Texte konstruiert, die mit wenigen Worten, aber teils brutalen Bildern zeigten, mit wem wir es denn zu tun haben!

Vorschlag für die Gruppenarbeit

Ziel: Die Frauen sammeln rassistisches Gedankengut aus der Kindheit, tauschen sich darüber aus, was es bei ihnen bewirkt hat. Sie gestalten mit dem Material eine Informationswand im Gemeindehaus und regen damit zur Diskussion an. In einem zweiten Schritt gestalten sie eine Informationswand mit rassistischem Material aus der heutigen Zeit und setzen sich damit auseinander. Sie regen damit eine Auseinandersetzung in der Gemeinde an, die in einem Gemeindeabend zum Thema „Rassismus“ aufgenommen werden sollte. Material finden Sie dazu in diesem Heft und bei den Literaturhinweisen.

Rassismus damals

Material: Texte und Bilder, z.B. „Zehn kleine Negerlein“, Struwwelpeter, Schwarzer–Peter–Spiel, Lieder aus alten Mundorgeln…
Ablauf: Nach einer kurzen Einführung in das Thema werden die Frauen gebeten zu erzählen, an welche Lieder, Bilder, Spiele sie sich erinnern – in der ersten Runde möglichst ohne Wertung.
Texte, Bilder, Spiele werden ausgelegt, vorgelesen oder angesehen.
Austausch: Mit welchen Charaktermerkmalen werden schwarze Menschen dargestellt, was erfahren wir über sie? An was erinnere ich mich? Haben diese Texte und Bilder etwas bei mir ausgelöst, haben sie Spuren hinterlassen?
Anschließend gestalten die Frauen mit dem Material eine Informationswand; sie fordern die Gemeinde zu Kommentaren auf unter dem Satz: Woran erinnern Sie sich, wenn Sie diese Texte lesen und die Bilder anschauen?

Rassismus heute

Alle genannten Texte und Bilder hatten überwiegend eine Aktualität bei uns, als wir kaum Möglichkeiten zur direkten Begegnung mit Menschen anderer Hautfarbe hatten und ausschließlich aus den Erfahrungen anderer Menschen unsere Meinung bildeten. Inzwischen ist dies anders. Schwarze – Deutsche oder Angehörige anderer Nationen – gehören zu unserem Straßenbild, wir begegnen ihnen in Geschäften und öffentlichen Verkehrsmitteln, unsere Kinder und Enkelkinder haben in Kindergarten und Schule direk-ten Kontakt. Damit sind aber leider die diskriminierenden Bilder, Texte und Sprüche nicht verschwunden.
Kürzlich stieß ich im Internet auf folgende Meldung: Eine Brauerei vertreibt ein Bier mit dem Namen „Rieder Neger“, auf dem Etikett der Flasche ist ein Schwarzer mit bunter Maske und Knochen in der Hand abgebildet. In der Zeitung las ich, dass eine Firma eine neue Süßigkeit herausbrachte, die „Negerbrot“ heißt. Erst nach vielen Einwänden wurde der Schokoriegel in „Schoko-Traum-Erdnuss“ umbenannt.

Ablauf: Die Frauen gehen auf S urensuche nach rassistischen Liedern, Bildern, Sprüchen unserer Zeit. (Das Surfen im Internet, eventuell mit Hilfe von Kindern oder Enkeln, kann aufschlussreich sein!) Vergleichen Sie die Texte und Bilder: Was hat sich in Sprache und Darstellung gegenüber früher geändert?
Auch mit diesem Material wird eine Informationswand im Gemeindehaus gestaltet. Es sollte Platz bleiben, um Material hinzuzufügen.
Die Informationswände können den Einstieg zu einem Gemeindeabend bilden.

Waltraud Liekefett, Jg. 1940, ist Diplompädagogin und arbeitet als Pädagogische Referentin bei der Ev. Frauenhilfe Landesverband Braunschweig. Sie ist Mitglied der Arbeitsgruppe ahzw.

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