Ausgabe 1 / 2003 Bibelarbeit von Irmgard Stanullo

Damit die Welt glaubt

Bibelarbeit zum Gebet Jesu um Einheit

Von Irmgard Stanullo

(Auszug)

Um eine „corporate identity der Glaubenden“ geht es Jesus in seinem Gebet zum Vater: Alle sollen eins sein: Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns sein, damit die Welt glaubt, dass du mich gesandt hast. (Joh 17,21)

Der den Jüngerinnen und Jüngern zugedachte Ort ist die Welt – so wie auch Jesus in die Welt gesandt war, um der Welt Rettung und Leben zu bezeugen. Durch ihre Liebe zueinander geben die Glaubenden der Welt Zeugnis von der lebensspendenden Kraft der Liebe Gottes. Im Zeugnis für die Welt geht es nicht um dogmatische Wahrheiten, sondern um die lebensmäßige Beziehung von Schwestern und Brüdern: Alle sollen eins sein.

Gemeinde Jesu nach dem Neuen Testament existiert sowohl als Ortsgemeinde wie auch als weltweite Christenheit (1 Kor 12). Nationale oder konfessionell verfasste Kirchen oder Gemeindebünde sind dem Neuen Testament fremd und haben in der Ur-Kunde unseres Glaubens, dem Wort Gottes, keine Grundlage. Sie können nur Ausdruck der Vielfalt und des Reichtums der weltweiten Kirche Jesu Christi sein. Ökumene ist daher Wesensmerkmal der Gemeinde Jesu und nicht in unsere Beliebigkeit gestellt. Einheit der Kirche kann nur ökumenisch gelebte Einheit sein.

Wodurch ist heute Einheit gefährdet? Da sind die verschiedenen Konfessionen, Frömmigkeitsstile und Bibelverständnisse. Da sind unterschiedliche Sichtweisen für gesellschaftspolitisches Handeln. Die einen möchten dem himmelschreienden Unrecht in der Welt aus christlicher Verantwortung zuleibe rücken, die anderen ziehen sich lieber betend zurück nach dem Motto: der Herr wird's schon richten. Wo eine Konfession sich als die einzig wahre versteht, wo Glaubende sich mit ihrem Frömmigkeitsstil, ihrem Bibelverständnis oder ihrer gesellschaftspolitischen Sichtweise zum Maßstab für die anderen machen, da wird der Weg der Einheit verlassen. Gelebte Einheit, um die Jesus so herzlich bittet, kennt keinen Fraktionszwang. Sie ist niemals Uniformität, sondern immer Einheit in der Vielfalt. In der Freiheit und der Vielfalt der Kinder Gottes sind die Glaubenden in der Nachfolge Jesu unterwegs, um die Einheit in Christus im Alltag – auch im Kirchenalltag – miteinander zu leben.

 

DAMIT DIE EINHEIT WÄCHST

 

Wege zueinander gehen


Wir können einander besuchen und begegnen und Berührungsängste abbauen. Feindbilder lassen sich bekanntlich da gut pflegen, wo man/frau keine ‚Feindberührung' hat.

 

Einander zuhören und den Dialog pflegen


In der Weltgebetstagsarbeit lernte ich, ‚in die Schuhe anderer' zu schlüpfen. Ich lernte, mit den Worten der fernen Schwestern zu beten, mit ihren Augen Bibeltexte zu betrachten. Ferne und Nähe, beides bestimmt unsere Beziehungen als Frauen in der Ökumene. Die andere Tradition, die andere Art Gottesdienste zu feiern mag oft fern erscheinen. Aber je mehr wir voneinander erfahren, desto mehr schwindet diese Ferne. Wenn wir einander zuhören, merken wir: Wir sind uns nah in Erfahrungen, die wir mit Gott gemacht haben. Wir sind uns nah in dem einen Glauben, der uns Kraft, Trost und Zuversicht gibt. Wir sind uns nah in unseren Sorgen, Hoffnungen und Wünschen, im Beten und Handeln.

 

Den Reichtum der Vielfalt entdecken


Ich möchte meine Spiritualität nicht nur auf das Spezifische meiner Kirche beschränken – obwohl ich das sehr schätze. Unsere Gotteshäuser sind meist hell und kommunikativ, es gibt bei uns das freie Gebet, viel Gemeinschaft und menschliche Wärme. Aber ebenso wohltuend erlebe ich spirituelle Formen, wie die andern sie pflegen: ein sakraler Raum und Stille, das Nach-Vorne-Gehen und der persönliche Zuspruch beim Abendmahl, gregorianische Gesänge, die für mich eine besondere Würde ausstrahlen.

 

Gemeinsam beten und handeln

 

Als bei unserer evangelischen Nachbargemeinde in Nürnberg durch Brandstiftung der Glockenturm ausbrannte, war es unserer Gemeinde ein spontanes Bedürfnis, für den Wiederaufbau des Glockenturms zu sammeln. Die Menschen der Nachbargemeinde waren uns nämlich nicht fremd. Wir hatten gemeinsame Gottesdienste mit Kanzeltausch, wir hatten gemeinsame Gemeindefeste, wir waren einander als Schwestern und Brüder verbunden. Es ist ein Zeichen geistlicher Einheit, wenn wir miteinander und in unseren Gottesdiensten füreinander beten und wenn wir füreinander eintreten.

In der Ökumene ist oft vom „Konzert der Kirchen“ die Rede. Im Konzert kommt es nicht nur darauf an, dass jede ihr eigenes Instrument gut spielt, es kommt darauf an, dass wir unsere Instrumente gut aufeinander abstimmen. Nur dann können wir ein gemeinsames Stück spielen, können wir ein Zeugnis der Einheit geben, damit die Welt glaubt.

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