Alle Ausgaben / 2015 Andacht von Susanne Jonda

Dann nahm David die Leier

Andacht zu alten und neuen Trostliedern

Von Susanne Jonda

Vorbereitung: Stuhlkreis, ein rotes Tuch (für die Geistkraft) und verschiedene pastellfarbene, zarte Tücher bilden die Mitte, darauf „Musikalisches“ (Fotos von Instrumenten, evtl. einige CDs), ein Gesangbuch, eine Bibel, eine Kerze

Trostlieder gibt es, laut Duden jedenfalls, gar nicht. Und doch weiß jede und jeder, was gemeint ist: Lieder oder Musik, die wir hören oder singen möchten, wenn es uns nicht gut geht. Das Internet ist voll von Anfragen zu Trostliedern für verschiedenste Anlässe. Die Vorschläge decken die ganze Palette der Musikrichtungen ab, aber immer hat die vorgeschlagene „Trost“-Musik etwas Besonderes, Berührendes an sich.

„Wie eine Mutter tröstet, so will ich euch trösten.“ – Als ich die Jahreslosung für 2016 las, dachte ich sofort an meine Kindheit: Wenn wir Kinder uns verletzt hatten, wurden die Wunden versorgt, dann nahm Mutter uns in die Arme und sang: „Heile, heile Segen, morgen gibt es Regen …“. Das hat uns getröstet, unsere Tränen getrocknet, den Schmerz gelindert und uns unsere Fröhlichkeit zurückgebracht. Auf dieses Ritual konnten wir zählen. Ich erinnere mich bis heute gern daran, an das Gefühl von Geborgenheit und an das Vertrauen, dass alles wieder gut wird. Das ganze „Drumherum“, das Gefühl, aufgehoben und umsorgt zu sein, verbunden mit der vertrauten Melodie, mit Tönen, die mich umgaben, gesungen von Menschen, die mir nah waren – das gab mir mein Selbstvertrauen zurück.

Austausch: Wie war das in Ihrer Kindheit? Wie wurden Sie als Kind getröstet?
Lied: Wo ein Mensch Vertrauen gibt (EG 604) oder Gott gab uns Atem (EG 432)

Es gibt immer wieder Begebenheiten, bei denen wir getröstet werden möchten: Krankheit, Misserfolg im Beruf, Streit mit Familienangehörigen oder der Verlust eines geliebten Menschen. Oft möchten wir dann einer oder einem anderen unser Leid klagen, manchmal auch nur ­allein sein, in Ruhe gelassen werden. Vielleicht nehmen wir dann unser Lieblingsbuch zur Hand oder gehen spazieren, um in Ruhe nachdenken zu können, uns zu sortieren und nach einer (Auf-) Lösung der Situation zu suchen. Fast immer kommt dann der Moment, in dem wir zur Lieblings-CD greifen, das Radio einschalten oder ein früher einmal erlerntes, aber lange nicht genutztes Instrument hervorkramen und zu spielen beginnen. Wir lassen wieder Töne, Melodien, Musik in unser Erleben hinein – auch wenn sich damit erst einmal unser Gefühl von Einsamkeit und Leere verstärkt. Trauer, Scham, Ärger, Wut – was immer sich in uns ­an­gesammelt hat, überschwemmt uns ­regelrecht. Aber nach und nach lösen sich die inneren Verkrampfungen, wir folgen mit unseren Gedanken der Musik, begeben uns hinein in die Klänge und „singen“ innerlich mit.

Schon in der Antike war die heilende Wirkung von Musik bekannt. Es wurde angenommen, dass sich kranke, leidende Menschen körperlich und seelisch „in Unordnung“ befinden; Musik hören oder „machen“ sollte die innere Ordnung wieder herstellen. Auch in der Bibel ist Heilung durch Musik beschrieben: David spielt für Saul auf der Leier und „die zerstörerische Geistkraft“ zieht sich „von ihm zurück“ (1 Sam 16,14-23).

Austausch: Hören oder machen Sie selbst Musik, wenn es Ihnen nicht gut geht? Haben Sie besondere „Favoriten“? Was empfinden Sie dabei? Bemerken Sie eine Veränderung Ihres Befindens?
Lied: Du verwandelst meine Trauer in Freude (Frauen loben Gott, Nr. 57) oder Die Nacht ist vorgedrungen (EG 16,1+3)

David ist uns nicht zuletzt vertraut durch das Buch der Psalmen, das aus Gebeten, Gedichten und Liedern besteht. Die Texte sind zu unterschiedlichen Zeiten entstanden; David werden in späterer Zeit zahlreiche Psalmen zugeschrieben, die mehrheitlich durch den Zusatz „Für die musikalische Aufführung. Mit Saitenspiel“ ergänzt sind. Die Textdichterinnen und -dichter berichten von ihrer persönlichen Situation. Sie klagen, erzählen von ihrem Leid, geben ihrer Hoffnung auf die Gerechtigkeit Gottes Ausdruck und loben und preisen Gottes Schöpfung. Im ganzen Buch der Psalmen lässt sich der Weg verfolgen, den die damaligen Betenden innerlich zurücklegten: von der Klage über die Hoffnung zum Lob Gottes – und zum dadurch empfundenen Trost.

Vielleicht lesen deshalb so viele Menschen auch heute noch im Buch der Psalmen, wenn sie trauern oder Leid er­fahren. Von unseren Vormüttern und -vätern können wir wieder lernen, uns Gott anzuvertrauen, mit den vertrauten Worten der Psalmen unsere Wut und Klage zu benennen und allmählich ­wieder hoffnungsvoll in die Zukunft zu blicken. Das „älteste Gesangbuch des Volkes Gottes“ ermöglicht aktives Durch­leben von Krisensituationen und kann so zum „Lebensmittel“ werden (D. Sölle). So wurden durch die Jahrhunderte der Musikgeschichte die Psalmen auch Grundlage für zahlreiche große Werke von Kom­ponisten und Dichterinnen, die damit schweren Lebenssituationen wie Kriege, Hungersnöte oder persönliche Krisen bearbeiteten.

Im Ev. Gesangbuch finden sich zahlreiche Psalmlieder und -dichtungen. Ein Lied, das den Zeitgeist des 17. Jahrhunderts und die Bearbeitung von Krisen­situationen widerspiegelt, ist „Befiehl du deine Wege“ von Paul Gerhardt (1607-1676). Er erlebte als Jugendlicher und junger Mann den 30jährigen Krieg mit all seinen Schrecken, später kam er als überzeugter Lutheraner in Diensten des reformierten Großen Kurfürsten in berufliche Bedrängnis. In Dichtung, Kunst und vor allem in der Musik der Zeit drückt sich die Vergänglichkeit und Todesnähe, aber auch ein neues Verhältnis zur Natur aus. Klage findet ihren Raum, aber auch Lob und Dank trotz Leiden. Für diese Zeit typisch ist ebenfalls der Ausblick auf die kommende, die himmlische Welt, in der alles Leiden bei Gott sein Ende findet.

Hinweis für die Leitung: Statt die Texte zu lesen, können auch einige Strophen zwischendurch gesungen werden.

Lassen Sie uns dieses Lied einmal näher betrachten. Ihm zugrunde liegt der Vers Ps 37,5 „Befiehl dem Herren dein' Weg und hoff auf ihn, er wird's wohl machen.“ Diesen Vers verteilt Gerhardt als Anfangsworte über die zwölf Strophen seiner Dichtung. Mit immer wieder anderer Perspektive beschreibt er den Lesenden und Singenden sein Vertrauen darauf, dass Gott einen guten Weg finden wird:
Str. 1: … Der Wolken, Luft und Winden gibt Wege, Lauf und Bahn,
der wird auch Wege finden, da dein Fuß gehen kann …
Str. 4: … dein Werk kann niemand ­hindern, dein Arbeit darf nicht ruhn,
wenn du, was deinen Kindern ersprießlich ist, willst tun.
Str. 5: Und ob gleich alle Teufel hier ­wollten widerstehn,
so wird doch ohne Zweifel Gott nicht ­zurücke gehn;
was er sich vorgenommen und was er haben will,
das muss doch endlich kommen zu seinem Zweck und Ziel.

Dabei besteht Gerhardt nachdrücklich darauf, dass es auf das Gott zuge­wandte Verhalten der oder des Glaubenden ankommt:
Str. 1: Befiehl du deine Wege und was dein Herze kränkt
der allertreusten Pflege des, der den Himmel lenkt.
Str. 10: Wird's aber sich befinden,
dass du ihm treu verbleibst,
so wird er dich entbinden, da du's am mindsten glaubst;
er wird dein Herze lösen von der so schweren Last,
die du zu keinem Bösen bisher getragen hast.

Und dass die Leidenden Gottes Kraft zur Veränderung vertrauen:
Str. 6: Hoff, o du arme Seele, hoff und sei unverzagt!
Gott wird dich aus der Höhle, da dich der Kummer plagt,
mit großen Gnaden rücken; erwarte nur die Zeit,
so wirst du schon erblicken die Sonn der schönsten Freud.
Str. 7: Auf, auf, gib deinem Schmerze und Sorgen gute Nacht,
lass fahren, was das Herze betrübt und traurig macht;
bist du doch nicht Regente, der alles führen soll,
Gott sitzt im Regimente und führet alles wohl.
Str. 8: Ihn, ihn lass tun und walten, er ist ein weiser Fürst
und wird sich so verhalten, dass du dich wundern wirst.

Denn dann wird letztendlich Trauer und Leid in „Freudenpsalmen“ enden:
Str. 11: Wohl dir, du Kind der Treue, du hast und trägst davon
mit Ruhm und Dankgeschreie den Sieg und Ehrenkron;
Gott gibt dir selbst die Palmen in deine rechte Hand,
und du singst Freudenpsalmen dem, der dein Leid gewandt.

In der letzten Strophe bitten alle gemeinsam noch einmal um das Ende der Not für die Menschen:
Mach End, o Herr, mach Ende mit aller unsrer Not; …

Und geben ihrer Gewissheit Ausdruck, ihren Lebensweg bei Gott zu beschließen:
… so gehen unsre Wege gewiss zum Himmel ein.

Diese Dichtung von Paul Gerhardt war und ist sehr bekannt, und in seiner Zeit traf sie wohl den Lebensnerv vieler Menschen. Die Melodie im EG von Bartholomäus Gesius ist nicht die einzige, auf die der Text gesungen wurde. So haben ihn unter anderem Felix Mendelssohn-Bartholdy, Georg Philipp Telemann, Hans Leo Hassler und Johann Christoph Altnikol (Schwiegersohn und Schüler von Johann Sebastian Bach) vertont. Im 20. Jahrhundert hat Helmut Degen eine Kantate mit diesem Text komponiert. Am bekanntesten allerdings ist sicher Bachs Vertonung der ersten Strophe in der Matthäuspassion.

Austausch: Wie geht es mir mit dem Text dieses Liedes? Können mich diese Worte trösten? Sind sie vertraut oder eher fremd? Welche Melodie kenne ich dazu? Ist mir eine besonders vertraut?

Gebet:
Ach, berge meine Tränen in deiner
Liebe, Gott,
und puste alle Schmerzen mit sanftem Atem fort.

Wenn ich mich nicht mehr spüre und keinen Weg mehr weiß,
sei du die frische Brise in tauber Dunkelheit.

Sei du mein Band zum Leben, mein Schutz und Ruhehalt,
ach ströme deinen Segen in Angst und Einsamkeit.

Carola Moosbach, aus: Lobet die Eine. Schweige- und Schreigebete, Mainz (Grünewald) 2000, © bei der Autorin; Melodie: EG 347; als Lied auch in: Frauen loben Gott, Nr. 54

Vaterunser

Segen:
Möge der Gott Abrahams, Saras und Hagars dich trösten wie eine Mutter und dir den Mut geben zu klagen.
Möge Jesus, unser Bruder, dir den Weg zeigen, damit du hoffen, vertrauen und loben kannst.
Möge die Heilige Geistkraft dich umwehen und dich auf deinem Weg stärken.
Amen

Lied:
Ich sing dir mein Lied (Lebensweisen 48) oder Ich lobe meinen Gott (EG 272)

Susanne Jonda, geb. 1959, hat Kirchenmusik studiert und den ersten Durchgang des Fern­studiums Feministische Theologie im Frauenwerk der Ev.-luth. Landeskirche Hannovers absolviert. Sie arbeitet an der Musikschule des Landkreises Verden/Aller und leitet verschiedene Chöre, u.a. den Frauenchor „Herztöne“ des Sprengels Stade, in dem sie auch als ehrenamtliche Sprengelbeauftragte tätig ist.

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