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Das blaue Wunder: Vom Humor

Von Antje Rösener


Ein Regentag. Wir sitzen im Auto: Mein Mann, die Kinder und ich. Circa eine Stunde noch – quer durch das Ruhrgebiet. Dann sind wir hoffentlich da. Jeder döst vor sich hin.
Auf einmal regt sich auf der Rückbank etwas.
„Mi-ma“, sagt unser Sohn, 9 Jahre alt.
„Mi-ma“, wiederholt unsere Tochter.
„En-ua“ hören wir dann. „En-ua.“
„Bomp.“ Achtung, nicht so schnell. „Bomp, bomp.“
Sie kichern. „Wo ist denn Mi-ma geblieben?“
„Ja, wo ist er denn? Ist er abgebogen?“
„Schau mal, da kommt aber ein Flotter, Porsche oder so was.“ „Boah“, ruft meine Tochter, die das Nummernschild des Autos zuerst entziffern kann.
„Boah“, lacht mein Sohn, „passt doch.“

Mein Mann und ich schauen uns an. Immerhin begriffen haben wir das Spiel inzwischen. Sie entziffern die Nummernschilder der Autos, rechts von uns, links von uns, hinter und vor uns. Aber – was ist daran so witzig?
„Da kommt er wieder, mi-ma“, ruft meine Tochter.
„Und hier einer, guck mal, wie der heißt: Klef“
„Klef“, grinst mein Sohn. „Wau-wau.“

Ich ertappe mich dabei, wie ich beginne, die Nummernschilder zu entziffern! Manche Buchstabenkombinationen kann man überhaupt nicht aussprechen, andere hören sich wirklich ganz witzig an. Die Stimmung im Auto wird immer besser, die Kinder machen ihre Witze mit allem, was sie an Buchstabensalat auf den Autos finden, und reißen schlussendlich auch uns Erwachsene mit. Währenddessen regnet es draußen noch immer …!

Eine Kunst, denke ich, eine Lebenskunst. Aus wenig etwas zu machen. Jonglieren mit ein paar Buchstaben, spielen, sich die Bälle zuwerfen, fangen und weitergeben, lachen und grinsen …! Das Himmelreich gleicht einem Senfkorn, sagte Jesus damals zu seinen Freundinnen und Freunden. Es ist das kleinste unter allen Samenkörnern, wenn es aber gewachsen ist, so ist es größer als alle Kräuter und wird ein Baum, sodass die Vögel unter dem Himmel kommen zu wohnen in seinen Zweigen. Der große Baum unter Gottes weitem Himmel – das soll es sein: das große Glück, die blühende Pracht, Himmel auf Erden. Aber das kleine Korn hier in meiner Hand ist oft alles, was mir zur Verfügung steht. Ein grauer Regentag, ein paar Buchstaben auf den Autos vor mir, meine Fantasie.

Das Himmelreich gleicht einem Kind, das mit ein paar Silben in der Hand zu jonglieren anfängt. Zu Anfang, werden die anderen vielleicht nur müde lächeln. Aber wenn es weitermacht, dann reißt es alle mit. Dann springt der Funke über, sodass das Auto auf der grauen Fahrbahn zu wackeln beginnt und die Vögel am Himmel ihr blaues Wunder erleben.

So … klingt die alte Geschichte heute.

aus:
Momente der Gelassenheit
Kurze Geschichten zum Atemholen
Gütersloher Verlagshaus GmbH
Gütersloh 2005

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