Alle Ausgaben / 2005 Artikel von Manuela Schunk

Das Lilienkreuz am Blusenkragen

Von Markenlogos und Bekenntniszeichen

Von Manuela Schunk

Als ich vor mehr als 15 Jahren bei der Evangelischen Frauenhilfe in Westfalen als Öffentlichkeits- und Verbandsreferentin anfing, nahm ich mir fest vor, die Frauenhilfe-Spangen, -Anstecker, -Broschen und ähnliches abzuschaffen. Heute stelle ich fest, dass ich es geschafft habe, weitere Varianten hinzuzufügen. Das Logo der Frauenhilfe findet sich auf Spangen, Broschen und Pins, auf Ketten- und Schlüsselanhängern, in verschiedenen Größen, in Silber und in Gold. Es steht auf Trauerkarten, Gesteck- und Kranzschleifen. Jedes Druckerzeugnis ziert das Frauenhilfe-Logo…

Das Kreuz mit den Lilien

Erstmals in der Zeit um 1900 findet sich das sogenannte Lilienkreuz-Zeichen auf den Broschen der „Freiwilligen Helferinnen in der ländlichen Krankenpflege“ in Westfalen. Vermutlich diente es zunächst als Erkennungszeichen für die Freiwilligen Helferinnen der Evangelischen Frauenhilfe. Diese arbeiteten ohne Tracht und benötigten daher ein Erkennungszeichen auf Armbinde oder Brosche. Das Lilienkreuz kann als Zeichen für das Selbstbewusstsein der nach 1900 entstandenen Provinzialverbände der Frauenhilfe gewertet werden.

Warum gerade dieses Zeichen? Die Lilie gilt allgemein als Symbol für Friede und Königswürde. Wegen ihrer weißen Farbe ist sie ein altes Symbol für Reinheit und göttliches Licht. In vorchristlicher Zeit versinnbildlichte sie die Fruchtbarkeit der Erdgöttin und später der Himmelsgötter. In der christlichen Kunst ist die Lilie das Symbol der Reinheit, Unschuld und Jungfräulichkeit. Das Christuskreuz mit vier Lilien-Enden ist ein Zeichen der Versöhnung und der Gnade.
Das Logo der Frauenhilfe in Westfalen ist ein Kreuz mit vier Lilien-Enden. Ist es damit ein Lilienkreuz? Das Typische einer abstrahierenden Darstellung einer Lilie ist die Dreiblättrigkeit. Die Kreuzform, die dem Kreuz der Frauenhilfe in Westfalen am ähnlichsten ist, wird mehrheitlich als Ankerkreuz bezeichnet. Das Logo der Frauenhilfe in Westfalen ist also ein Ankerkreuz mit Lilien-Enden.

Vom Sinn der Zeichen

Zeichen sprechen. Das über die englische Sprache ins Deutsche gekommene und inzwischen allgemein geläufige Kürzel „Logo“ kommt nicht von ungefähr vom griechischen „Logos“, das Wort. Firmen- oder Vereinslogos erzählen uns, sofern wir sie kennen, ganz viel. Ein blau umrandeter weißer Kreis, darin weiß auf blau das Kürzel „S 04“, und mindestens die Hälfte der bundesdeutschen Bevölkerung versteht: Fußball, Schalke, Gelsenkirchen, Parkstadion (bzw. jetzt natürlich „Veltins-Stadion“). Zwei leicht gespitzte Bögen in Form eines „M“, leuchtend gelb gefüllt – und schätzungsweise 99 % der Kinder und Jugendlichen hören, was das McDonald's-Logo ihnen zuruft: Du hast Hunger. Und zwar Hunger auf einen dicken Hamburger mit Pommes und Cola. Er ist auch gar nicht teuer – Dein Taschengeld reicht, um ihn Dir jetzt sofort zu holen. Beziehungsweise: Wenn Du jetzt auffordernd an Mamas Hand ziehst und ihr einen flehenden Blick zuwirfst, wird sie verstehen, dass Du dann, aber auch nur dann noch anderthalb Stunden mit ihr durch die Geschäfte ziehen kannst, wenn sie Dir jetzt eine große Portion Chicken McNuggets samt Soße süß-sauer, Fritten und Cola spendiert…

Wenn Menschen ein Logo tragen, signalisieren sie darüber hinaus: Ich gehöre dazu, bin eine oder einer von diesem Verein, dieser Partei, dieser Firma. Mehr noch: Das bin ich, hier dazu zu gehören, ist Teil meiner Identität. Begegnen sich mehrere Menschen, die dasselbe Zeichen tragen, wissen sie sofort: Wir gehören zum selben Verein – wir gehören zusammen.
Fast immer hat das Zeigen oder Tragen eines Logos darüber hinaus werbende Wirkung. Nicht umsonst zahlen Firmen, die vom Verkauf ihrer Produkte leben, viel Geld dafür, ihr Logo etwa auf der Sportkleidung der bekannten WeltmeisterInnen und OlympiasiegerInnen gut sichtbar anzubringen.
Logos sagen außerdem: Dieses Zeichen steht für (tatsächliche oder vermeintliche) Qualität, ist ein Gütesiegel, dem Du unbedenklich vertrauen kannst. Das Fahrzeug mit dem Stern ist nicht irgend ein Auto, es ist das Auto schlechthin. Mercedes, was sonst? Das Paket Waschpulver mit dem aufgedruckten rot gerandeten Oval um den schlichten Henkel-Schriftzug musst Du kaufen – es garantiert Dir strahlend saubere Wäsche. So weiß, dass Deine Nachbarin vor Neid erblasst, weil sie erkennen muss: Ich habe das Falsche gekauft! Ich wollte (oder musste) sparen, und das hab ich jetzt davon… Das unterscheidet sie übrigens nicht vom pubertierenden Zehntklässler, dessen Turnschuhe um jeden Preis die berühmten drei Adidas-Streifen haben müssen, will er dazu gehören zu denen, die „in“ sind. Das Produkt mit dem Markenlogo zu kaufen bedeutet also auch: Ich erkaufe mir damit ein Ansehen. Logos sind – auch – Statussymbole.

Und das Frauenhilfe-Logo? Es sagt weitgehend dasselbe, wie all die anderen Logos auch: Wo „Lilienkreuz“ drauf steht, ist Frauenhilfe drin. Und Frauenhilfe ist nicht „irgend ein Verein“; Frauenhilfe steht für Inhalte, das Logo bürgt für Qualität. Wer das Lilienkreuz am Blusenkragen trägt, gehört dazu. Wo zwei sich begegnen, die es tragen, erkennen sie sich auf Anhieb.
Zwei bemerkenswerte Unterschiede zwischen Lilienkreuz und S 04, Mercedes-Stern oder Henkel-Oval sind allerdings bedeutsam. Erstens ist das Lilienkreuz kein Statussymbol, kein Zeichen, das unmittelbar den Impuls auslöst: „Das muss ich auch haben, um wer zu sein!“ Was möglicherweise eng zusammen hängt mit dem zweiten Unterschied: Das Frauenhilfe-Logo ist nicht nur ein Gütesiegel, ein Marken- und Erkennungszeichen, sondern auch und vor allem – ein Bekenntnis: zum Kreuz, zur Kirche, zum Glauben und zur Frauenhilfe.

Traditionell oder modern?

Sicherlich kann über das Frauenhilfe-Logo jahrein jahraus gestritten werden, ob es, so oder anders, nicht mehr oder doch noch zeitgemäß ist. Andere Gruppierungen, Firmen und Vereine haben ihre Logos nach einer gewissen Zeit gewechselt, um es „der Zeit“ anzupassen: von gegenständlichen Darstellungen hin zu abstrakten Formen, von einfarbigen zu mehrfarbigen Zeichen, von runden zu eckigen Zeichen usw.
Sicherlich kann eine hohe Identifikation mit einem „Zeichen“ oder das „Stolzsein“ auf das Tragen einer Brosche dazu führen, dass andere sich ausgeschlossen fühlen oder sich uninteressiert abwenden. Sicherlich kann ein über Jahrzehnte gleich bleibendes Logo missverständlich werden und seine Trägerinnen mit dem Stigma „Unveränderlichkeit“, „Unbeweglichkeit“ und „Unmodernität“ behaften. Es gibt Stimmen, die sagen: „Wie langweilig. Immer das gleiche Aussehen und der gleiche Aufbau. Da fehlt die Abwechslung, das Ausprobieren, das Rahmensprengen, die Dynamik…“

Ein Logo zu verändern kann also durchaus sinnvoll sein. Zwei Bedingungen wären allerdings für eine gelungene Veränderung zu erfüllen. Erstens sollte ein bekanntes Logo nicht vorschnell dem vermeintlichen Geschmackswandel der Zeit geopfert werden. Ein neues, verändertes Logo mag „moderner“ sein – zu berücksichtigen wäre dabei allerdings, dass „altmodische“ Markenzeichen Tradition, Kontinuität und lange Erfahrung signalisieren. Der Henkel-Konzern weiß sicher sehr genau, was er tut, wenn er heutige Produkte mit Werbebildern aus den 50er Jahren beklebt: Es ist keineswegs dumm, auf lange Traditionen zu verweisen. Erst dann, wenn ein Logo nicht mehr „spricht“, nicht mehr verstanden wird, ist's Zeit, über Veränderung nachzudenken.
Zweitens: Im Laufe der Jahrzehnte verändern sich Inhalte, für die ein Firmenzeichen einmal stand. Frauenhilfe heute ist anders als Frauenhilfe vor 30 Jahren. Mithin ist es sinnvoll, von Zeit zu Zeit zu überprüfen, ob Logo und „Inhalt“ noch übereinstimmen. Vor jeder Veränderung eines Logos aber wäre sorgfältig zu überprüfen, welche Inhalte – unverändert oder möglicherweise auch in veränderter Form – denn mitgenommen werden sollen, von denen dann, durchaus in zeitgemäßer Form, das neue Logo „spricht“.

Erkennen. Bekennen.  Wieder-Erkennen.

Was ich vor 15 Jahren abschaffen wollte, habe ich inzwischen durchaus schätzen gelernt. Dieser Wandel ist durch die Begegnung mit Menschen entstanden. Hier einige Stimmen:

„Das Frauenhilfe-Zeichen ist für mich ein Erkennungszeichen. Frauen mit gleichem Sinn und Glauben zeigen nach außen: ich gehöre dazu. Eine Frau mit diesem Erkennungszeichen kann ich ansprechen, sie ist eine Mitschwester.“ (G.R., 54 Jahre, Bochum)

„Das Markenzeichen lässt mich aufmerksam werden, was wohl auf den folgenden Seiten stehen wird. Es ist wie ein Gütesiegel für mich, dass das, was ich dann lese, die „richtige“ theologische Ausrichtung haben wird, mein Gottes-, Menschen- und Schöpfungsbild berücksichtigen wird.“ (L.M., 67 Jahre, Bielefeld)

„Wenn langjährige Mitglieder die Spange oder Brosche erhalten als Auszeichnung, so ist dies ein würdevoller und stolzer Moment. Die Jubilarinnen haben ihre beste Kleidung hervorgeholt, ihre Augen leuchten, der Rücken wird durchgedrückt, und der Moment des Umlegens oder Ansteckens ist einer der glücklichsten Momente der Frauenhilfe-Frau.“ (A.W., 50 Jahre, Hamm)

„Als ich meine Brosche für vierzig Jahre Mitgliedschaft vor all den vielen Menschen im Gottesdienst angelegt bekam, da war das ein ähnlich beglückender und peinlicher Moment wie der bei der Verleihung meines kleinen Bundesverdienstkreuzes, das ich einige Jahre später erhielt. Der Rahmen war anders, aber beeindruckend war beides – so viel Auszeichnung und Anerkennung in der Öffentlichkeit. Und so halte ich es auch mit beidem – nur zu besonderen Gelegenheiten trage ich das eine oder andere. Das Frauen hilfe-Zeichen für Mitglieder habe ich wie das Weltgebetstagszeichen fest an meinen Sachen dran.“ (B.L., 76 Jahre, Herne)

„Das Kreuz an sich ist mir schon ein wichtiges Symbol und bedeutet mir viel. Aber das Frauenhilfe-Kreuz nimmt mich hinein in die Gemeinschaft von Frauen mit gleichen Ansinnen. ,Dazuzugehören' durch das Tragen dieses Abzeichens ist mir wichtig und macht mich stolz.“ (G.R., 54 Jahre, Bochum)

„Das Lilienkreuz kenne ich durch meine Großmutter (Jahrgang 1878, Berlinerin, dem Kaiserpaar sehr zugetan, natürlich Mitglied der Frauenhülfe.) Persönlich verband ich sofort dieses Kreuz mit den Begriffen: ,Demut, Hingabe, Reinheit, Keuschheit, Unschuld, Jungfräulichkeit.' Aber auch Bibelstellen und Lieder kamen mir in den Sinn, die die Schönheit der Lilien preisen und sie mit der Herrlichkeit eines Salomos vergleichen, und auch von Wachstum reden. Ich  denke aber auch an Frauen, denen Jahrzehnte lang diese Tugenden zugeordnet wurden. Das Lilienkreuz ist schlicht, nicht aufdrängend und trotzdem aussagend. In dieser ständig sich verändernden Vielfalt der ,Erkennungszeichen' ist dies eins, was Bestand hatte – bis jetzt.“ (C.K., 58 Jahre, Siegen)

„Die stilisierte Lilie in der Verbindung mit dem Kreuz empfinde ich als ein der Geschichte, den Aufgaben und dem Selbstverständnis der Frauenhilfe angemessenes ‚Erkennungszeichen'. Das Kreuz als christliches Zeichen für Leben, ewiges Leben, erhält durch die vier ‚Lilienenden' weitere Symbolkraft: an allen Enden der Welt (in allen vier Himmelrichtungen), in alle Lebenswirklichkeiten und Lebensumstände hinein, wirkt die Kraft Gottes, und sie bleibt beständig dadurch, dass sie aus sich selbst sich immer wieder neu erschafft und ‚erblüht' – durchaus vergleichbar mit Lilien, die jedes Jahr neu aus ihren Zwiebeln heraus neue Blüten treiben ….“ (C.S., 50 Jahre, Ahaus)

Für die Arbeit in der Gruppe

Ziel:
Zeitungen, Briefkästen, Werbespots sind voll von Markenzeichen und Logos. Sie transportieren Namen, Statussymbolik und Inhalte. Diese unterschiedlichen Aussagen sind uns nicht immer bewusst, leiten uns aber zum Annehmen und Ablehnen, Zugreifen oder Übersehen an. Veränderungen der „Zeichen“ registrieren wir, sind uns aber ebenfalls nicht immer bewusst. Es werden dadurch Bilder von Institutionen, Organisationen und Waren geprägt, die unser Handeln und Verhalten steuern können. In einer Analyse sollen die unterschiedlichen Botschaften zusammengetragen und bewusst gemacht werden.

Zeit: ca. 60 Minuten

Material:
verschiedene Markenzeichen und Logos aus Werbesendungen, von Briefbögen, aus Zeitungen, aus Kirche und Wirtschaft: evtl. von den Teilnehmerinnen mitgebracht; Bildmaterial der Frauenhilfe-Logos oder die Teilnehmerinnen bringen Frauenhilfe-Zeichen aus verschiedenen Epochen und von verschiedenen Produkten mit

Ablauf:
1. Schritt: Die Teilnehmerinnen suchen in der mitgebrachten Post und den Zeitungen die Erkennungszeichen heraus und benennen, was für „Botschaften“ diese Zeichen ihnen vermitteln.
2. Schritt: Jede Teilnehmerin nimmt sich ein Bild des Frauenhilfe-Logos oder ein Frauenhilfe-Abzeichen. Auf einem Zettel notiert sie die Antwort auf folgende Fragen:
Welche Erinnerung verbindet mich mit diesem Zeichen?
Welche „Botschaft“ gibt mir dieses Zeichen?
3. Schritt: Jede Teilnehmerin erhält alle oder (je nach Zeit) einen Teil der Aussagen von Frauenhilfe-Frauen zum Zeichen und vergleicht diese mit ihrer eigenen zuvor gemachten Aussage. Welche ist ihrer eigenen am nächsten? Das Ergebnis wird im Plenum besprochen.
4. Schritt: Jede Teilnehmerin diskutiert mit ihrer Nachbarin folgende Fragen:
Überlegen Sie einmal, wie viele Erkennungszeichen für Firmen, Vereinen, Clubs oder von Kirche Sie kennen?
Wie viele sind davon in den letzten beiden Jahrzehnten verändert worden?
Was ist bei diesen Firmen, Vereinen, Clubs oder in Kirche inhaltlich für eine Veränderung vonstatten gegangen?
Hat eines der Erkennungszeichen von Firmen, Vereinen, Clubs oder in Kirche einen Bekenntnis-Aspekt?
5. Schritt: Die Überlegungen der Teilnehmerinnen zu den jeweils einzelnen Fragen werden zusammengetragen.
6. Schritt: Jede Teilnehmerin erhält die Gelegenheit, mit einem Satz festzuhalten, was ihr heute wichtig geworden ist.

Der 2. und 3. Schritt kann von den Gruppen ausgelassen werden, die sich mit dem Frauenhilfe-Zeichen nicht beschäftigen wollen.


Manuela Schunk, 40 Jahre, ist Politologin und Germanistin M.A. sowie Kommunikationswirtin in sozialen Einrichtungen und Betriebswirtin. Sie arbeitet als Öffentlichkeits-, Verbands- und Bildungsreferentin bei der Ev. Frauenhilfe in Westfalen.

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