Ausgabe 1 / 2007 Material von Leonardo Boff

Das Sakrament des Wasserbechers

Von Leonardo Boff

Da ist ein Aluminiumbecher, einer von den alten, guten und glänzenden. Aus ihm haben die elf Kinder getrunken, von klein auf, bis sie groß waren. Er hat die Familie bei ihren vielen Um zügen immer begleitet. Menschen wurden geboren, und Menschen starben. Der Trinkbecher nahm an allem teil, immer kam er mit. Der Aluminiumbecher ist das Hauptstück der Küche.

Jedesmal, wenn man den Becher zum Mund führt, trinkt man etwas anderes als Wasser. Was man aufnimmt, ist vielmehr Frische, liebevolle Behaglichkeit, wohlwollendes Zutrauen, die Geschichte der Familie und die Erinnerung an das Kind, das gierig den Durst stillte. Wie das Wasser auch beschaffen sein mag, in einem derartigen Becher ist es immer frisch und köstlich. Und dabei handelt es sich um das Wasser, das den Zeitungen zufolge nur schlecht aufbereitet wird. Es kommt nämlich aus dem verschmutzten Fluss der Stadt und steckt voller Chlor. Aber wegen des Bechers ist das Wasser für uns gut, frisch und köstlich.

Nach einer Reise durch die ganze Welt kommt der Sohn nach Hause zurück. „Mama, ich hab' Durst! Lass mich aus dem alten Becher trinken!“ Zuvor hatte der Sohn schon an so vielen Stellen Wasser getrunken, in San Pellegrino, in Deutschland, England, Frankreich und Griechenland. Wasser aus den klaren Quellen der Alpen, Tirols, der römischen Brunnen und
S. Francisco hatte er gekostet, Wasser in Ouro-Fino, Teresópolis, Wasser von überall. Aber keines ist wie dieses. Jetzt bringt er einen Becher, aber nicht um den Durst des Körpers zu stillen, sondern den Durst nach der Familie, nach dem Elternhaus, den Durst nach den Quellen, aus denen die Dynamik des menschlichen Lebens entspringt. Einen solchen Durst vermag nur der Becher zu stillen. Der Mann trinkt gierig einen ersten Becher und leert ihn mit einem langen Seufzer wie jemand, der im Wasser ein gutes Stück weit taucht und wieder an 
die Oberfläche kommt. Dann trinkt er einen zweiten Becher. Ganz bedächtig. Es geht ihm darum, das Geheimnis zu kosten, das der Becher beinhaltet und bedeutet.

Weshalb ist das Wasser in unserem Becher gut und köstlich, gesund und frisch? Weil der Becher ein Sakrament ist. 
Als Sakrament verleiht der Becher dem Wasser Güte, 
Köstlichkeit, Frische und Gesundheit.

Leonardo Boff
gekürzt aus:
Kleine Sakramentenlehre
© Patmos-Verlag
GmbH & Co. KG
Düsseldorf

Ausgabenarchiv
Sie suchen eine Ausgabe?
Hier entlang
Suche
Sie suchen einen Artikel?
hier entlang