Ausgabe 2 / 2010 Material von Clara Schreiber (1848-1905)

Das Verbrechen von Chatou

Von Clara Schreiber (1848-1905)


Gemeinsam mit ihrem Ehemann und dessen Bruder ermordet Gabriele Fenayrou ihren ehemaligen Geliebten, den Apotheker Aubert – angeblich von ihrem Gatten Marion Fenayrou mit der Drohung erpresst, ihre Kinder zu töten…

Man hat es versucht, Gabriele als ein Product der Zeit hinzustellen. Ich bestreite die Berechtigung dieser Auffassung. Zu allen Zeiten hat es Menschen mit hartem Herzen, Egoisten und Feiglinge gegeben. Gabriele ist Alles das zusammen. Die moderne Vertheidigung, welche sofort die Zurechnungsfähigkeit des Angeklagten bestreitet, welche von unwiderstehlichem Triebe spricht, welche aus einem Ohnmachtsfall Hysterie und aus dieser die Entschuldigung von Sünde und Verbrechen herleitet, ist eine Gefahr für die Gesellschaft. Die Sophistik stellt Sätze auf, welche die Axt an die gesunde Anschauung von Recht und Unrecht legen. Es ist ein Schmerz für die Frauenwelt, wenn man das reizbar nervöse System des Weibes
in den Kampf hineinzieht, um eine Verbrecherin zu vertheidigen. Millionen ehrbare Frauen, die keiner Fliege weh thun könnten, werden hiedurch unter das Damoklesschwert der Unzurechnungsfähigkeit gestellt.

Die Verteidigung muß allerdings nach Ausgangspunkten suchen, aber das gesunde Urtheil darf sich nicht bestechen lassen. Das Weib, das seit fünfzig Jahren progressiv fortschreitend seinen Antheil am Menschenrechte verlangt, begehrt auch keine Ausnahmsstellung vor der Gerechtigkeit, die über dem Verbrechen waltet. Gabriele Fenayrou ist keine hysterische physisch leidende, sie ist eine gemeine Natur durch und durch, eine Giftpflanze, die man ausreißen muß. (…)

Nein, Gabriele ist kein Product der Zeit – unverstandene Frauen zeichnen sich durch wilden Muth, durch unglaubliche Kühnheit, durch maßlose, alle Schranken niederreißende Leidenschaftlichkeit aus, aber sie werden nicht zu Meuchelmörderinnen, die aus der Casse des Gatten sich fröhliche Stunden im Arme des Geliebten bezahlen. Marion Fenayrou ist ein Verbrecher und Gabriele eine Verbrecherin, nichts weiter.

aus:
Eine Wienerin in Paris
Quelle:
www.gutenberg.spiegel.de

Ausgabenarchiv
Sie suchen eine Ausgabe?
Hier entlang
Suche
Sie suchen einen Artikel?
hier entlang