Ausgabe 1 / 2006 Andacht von anonym

Dass ihr den Segen erbet

Andacht gegen unbedachtes Reden über Kinderlosigkeit

Von anonym


Hinweis für die Leiterin:
Bis heute ist Kinderlosigkeit ein höchst brisantes Thema unter Frauen, besonders unter Frauen in der Kirche. Die folgende Andacht hat eine Frau geschrieben, die ihr Leben ungewollt ohne leibliche Kinder lebt. Durch die Mitteilung ihrer persönlichen Erfahrungen will sie Frauengruppen dazu anregen, feinfühliger und schwesterlicher zu werden in der Begegnung mit Frauen, denen die Erfüllung ihres Kinderwunsches versagt bleibt. Die Andacht ist in der „Ich-Form“ belassen; wenn sie in der Gruppe gehalten wird, sollte einleitend darauf hingewiesen werden, dass es mit einer längeren persönlichen Erfahrung beginnt. Je nach Tradition der Gruppe kann der vorgelesene Text an einigen Stellen für kurze Zeiten des Nachdenkens, evtl. auch des Austauschens von Gedanken und eigenen Erfahrungen unterbrochen werden. Wenn die Leiterin der Andacht einen solchen Austausch anregt, sollte sie allerdings darauf vorbereitet sein, dass die Gruppe dann unter Umständen heftige Gefühlsausbrüche einzelner aushalten und auffangen muss.

Ein Segenswort hatte ich mir als Konfirmationsspruch gewünscht. Unser Pfarrer wählte für mich aus dem 1. Petrusbrief den Vers 3,9b. Das klang in der unrevidierten Lutherübersetzung damals so: „Wisset, dass ihr dazu berufen seid, dass ihr den Segen erbet.“ Dieser Spruch – in all seiner Verkürzung und auch aus dem Zusammenhang herausgerissen – ist seit fast 50 Jahren mit mir gegangen. Erben, das heißt für mich: etwas bekommen, wofür ich nicht selber gearbeitet habe. Ganz unverdient fällt mir zu, wofür andere sich sehr angestrengt haben, was sie aber gerne an mich weitergeben. Im „richtigen Leben“ ist es Besitz und Geld. Beim Segen ist es anders: Die Verheißung betrifft etwas Unverfügbares, das sich nicht in Zahlen messen, greifen und ausdrücken lässt. Aber schon damals hoffte ich, dass „Segen erben“ etwas mit gelingendem Leben zu tun hat, mit Gottes Nähe und Orientierung an Jesus Christus.


Segen war zu fühlen

Und so empfand ich die lebendige Gemeinde, in die ich hineinwuchs, schon als ein Anfangskapital an Segen. Hier erfuhr ich Gemeinschaft. Das zarte Pflänzchen „Glaube“ wurde gedüngt und begossen.
Freilich waren meine Vorstellungen damals recht naiv. Ich war mir sicher, dass es neben dem Wachsen im Glauben auch ein glückliches Leben mit vielen erfüllten Wünschen für mich geben würde: Beruf, Heirat, Kinder.
Zunächst glückte nicht alles, was dafür zu bewältigen war. Meine Schüchternheit und Unerfahrenheit machten es mir in der Schule und später beim Einstieg ins Berufsleben nicht leicht. Aber in schwierigen Situationen fanden sich doch auch Helfer und Helferinnen. Außerdem hatte ich die Unterstützung in unserer kleinen Familie, erlebte viel Annahme und Freude in der Jungen Gemeinde, fand Freundinnen.
Und so marschierte ich, trotz mancher Verunsicherung, getrost und zuversichtlich ins Erwachsenenleben hinein. Ich erlernte den gewünschten Beruf, was auch damals ein besonderes Geschenk war, fühlte mich wohl bei der Arbeit als Buchhändlerin, wurde gefordert und gefördert.
Schließlich begegnete ich einem Mann, mit dem ich mir vorstellen konnte, mein weiteres Leben zuzubringen, und wir heirateten.
Der Segen war zu fühlen! Und nun, als junge Ehefrau eines Pfarrers, erwartete ich im Grunde meines Herzens, dass es ganz selbstverständlich so weitergehen würde mit dem „Segen erben“.


Segen blieb aus

Zeit verging, Nervosität stellte sich ein: warten – warten und immer wieder warten. Wo blieb der Kindersegen? Aber mein Wunsch, endlich schwanger zu werden und ein Kind zur Welt zu bringen, erfüllte sich nicht. Hinzu kamen die Erwartungen unserer Familie und Freunde und der Gemeindeglieder. Wie nahe fühlte ich mich den Frauen in der Bibel, denen es ebenso erging wie mir! Doch Sara und Elisabeth half Gott später. Uns, mir half er nicht.

Zwar wurde ich nicht erniedrigt, aber ich selbst fühlte mich niedriger als die anderen, fühlte mich als nicht vollwertige Frau. In meinem Beisein wurde das Thema „Kinder“ vermieden. Es gab Situationen, da war es einfach schlimm, kinderlos zu sein. Beim Pfarrfrauenkonvent war es zum Beispiel üblich, sich nicht nur mit Namen und Ort vorzustellen, sondern eine jede fügte ihre Kinderzahl hinzu. Heute würde ich dieses „Spiel“ nicht mehr mitspielen. Damals setzte ich gequält nach meinem Namen noch hinzu: „Keine Kinder.“ Das war so schrecklich! Ich habe noch lebhaft in Erinnerung, wie eine Pfarrfrau die Zahl „acht“ nennen konnte und wie alle jubelten. Ich wurde dabei immer kleiner und hätte am liebsten losgeheult.

Dass dieses Vorstellungsritual nicht nur bei mir „daneben“ ging, erlebten wir bei einem Besuch aus der Ökumene. Eine Besucherin, die der deutschen Sprache nicht sehr kundig war, sagte schüchtern in so einer Vorstellungsrunde: „Kinder – nein“. Die meisten von uns meinten, es hieße „neun“ und klatschten begeistert Beifall. Doch sie schüttelte den Kopf und rief immer wieder: „Nein, nein – nicht…!“ Da wurde es ganz still, und viele waren peinlich berührt. Irgendwie gönnte ich der Gruppe diese peinliche Erfahrung.
Wenigstens aber gab das Erlebnis den Anstoß dazu, diese Art der Vorstellungsrunden abzuschaffen und zu fragen: Ist eine verheiratete (Pfarr-) Frau nur wertvoll, wenn sie Kinder gebiert? Dennoch zog ich mich aus dieser Gruppe zurück.

Mein Beruf wurde für mich sehr wichtig. Und trotzdem gab es noch viele heimliche Tränen. Im Kreis unserer Freundinnen und Freunde wurden natürlich Kinder geboren. Bei jeder Schwangerschaft einer Freundin fühlte ich einen Stich im Herzen. Bei jeder Taufe erfüllte mich eine große Traurigkeit, auch wenn ich Patin wurde – und das wurde ich im Laufe der Zeit oft.


Segen – anders als erhofft

Segen, Kindersegen blieb tatsächlich bei uns aus. Aber unsere Herzen wurden nicht hart. Und das ist ein Segen! Wir trugen es gemeinsam, ohne uns gegenseitig Vorwürfe zu machen oder zu verletzen. Wir blieben miteinander im Gespräch darüber und dachten nach, wie unser Leben auch ohne eigene Kinder gelingen könnte. Eine Zeit lang überlegten wir, ob wir Pflegekinder in unser Haus aufnehmen oder Kinder adoptieren sollten. Oder einfach nur „ja“ sagen im Sinne Paul Gerhardts: „Lass mich mit Freuden ohn' alles Neiden sehen den Segen, den du wirst legen in meines Bruders/meiner Schwester und Nähesten Haus“? (EG 449,6)

So konnte ich schließlich meinen Berufseinstieg als Fingerzeig Gottes ansehen. Endlich konnte ich sagen: Das ist unser, das ist mein Weg. Ich konnte meine Gaben und Kenntnisse einbringen, mich Menschen zuwenden, ihnen zuhören, im Gespräch sein, beraten…
Das Berufsleben füllte mich aus und zunehmend gewann ich Sicherheit. Sicherheit und das Gefühl, wertgeachtet zu sein. Dazu schenkte mir Gott Freude an Kindern. Ich hatte in der Freizeit immer noch Kraft und Lust für die Patenkinder und die Kinder unsrer Freunde. Ihr Heranwachsen zu erleben, war für mich Herzenssache. Das spürten sie wohl, denn sie kamen gerne zu uns.
Ich war nicht überanstrengt vom Umgang mit „dem Nachwuchs“, hatte nicht die Mühen der Ebene zu durchwandern, auch nicht die große Verantwortung für sie zu tragen. All das musste ich nicht aushalten. Ich durfte die „Glanzpünktchen“ miterleben und schaffen. Wir haben unsere Freunde und deren Kinder oft entlastet, weil sie bei uns einen Hafen fanden, um vom Familienalltag zu pausieren. Bei uns konnten sich beide Seiten Luft machen, und wir konnten vermitteln und trösten.

Und: Ich lernte lieb zu haben ohne festzuhalten. Immer, wenn mir eines der Kinder besonders ans Herz wuchs, ¬ wusste ich: „Nur geborgt.“ Insgeheim betete ich: „Gott, lass mich zur rechten Zeit wieder loslassen, und danke für die kleine Weile Glück.“

Und Gott segnete – ganz anders als erwartet und erhofft.
So erlebte ich voller Freude das aufgeregte Zappeln meines Patensohnes Georg, wenn er mich entdeckte und zu mir gekrabbelt kam. Und Susannes Frage: „Warum hast du uns Kinder so gern?“ berührt mich noch heute und tröstet mich irgendwie. Trotz ungewollter Kinderlosigkeit nicht zu verbittern, empfinde ich bis heute als ein Geschenk Gottes. So kann ich inzwischen auf die Frage: „Was machen eigentlich Ihre Kinder?“ oder: „Wie viele Kinder haben Sie?“ ganz ruhig und ohne Minderwertigkeitsgefühle sagen: „Wir haben keine eigenen Kinder.“

„Wir haben keine Kinder.“ Diese Antwort verunsichert manche, weil sie glauben, mich mit ihrer Frage verletzt zu haben. Dann fühle ich mich veranlasst, sie mit diesem peinlichen Gefühl nicht stehen zu lassen. Manchmal ist das etwas mühsam, aber manchmal ergibt sich auch ein gutes Gespräch. Dann kann ich zum Beispiel sagen, dass es beim Älterwerden schwerer ist, ohne eigene Kinder zu sein.
Gerade im Moment fragen sich mein Mann und ich, wem wir unsere Vollmacht übertragen, wenn einer von uns hinfällig wird und alleine zurückbleibt. Wem können wir uns anvertrauen? Sicher, Kinder sind keine Altersversorgung, aber Paare mit Kindern wissen doch in den allermeisten Fällen, an wen sie sich wenden können, wer sie im Auge behält, wenn die Kräfte nachlassen. Da ist bei uns eine Lücke. Wir akzeptieren das ohne Jammern, denn unser Weg ohne eigene Kinder ist trotzdem ein von Gott gesegneter. Diese Erfahrung würden wir gerne weitersagen und weitergeben. Wir hoffen, dass manche, mit denen wir unser Leben teilten und teilen, diese unsere Segensgewissheit spüren.

Mein Konfirmationsspruch beginnt mit „Wisset…“ – heißt das nicht auch: Erinnert euch und vertraut, dass Gott viele Möglichkeiten hat, Segen auszustreuen?

Lied:
Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren (ökumen. Fassung: EG 316, 1.3-5)

Gebet:
Gott, du Quelle
ungeahnter Möglichkeiten,
wir danken dir,
dass du uns nahe kommst
mit deiner segnenden Kraft.
Dass du uns heil
und ganz werden lässt,
wenn wir mit dir
in Berührung kommen.
Vor dir denken wir an Menschen,
die an den Rand gedrängt werden
durch Vorurteile,
unbedachtes Reden
und gedanken-loses Handeln.
Wir denken an die Frauen,
die ungewollt kinderlos geblieben sind.
Schenke einen weiten Blick
für das, was an Gutem in ihrem Leben
da ist und noch werden kann.
Stärke ihre mütterlichen Fähigkeiten,
die sie für andere
bereit halten und verströmen.
Lass Wertschätzung und Dankbarkeit
für solche geistlichen Gaben
unter uns wachsen und reifen.
Wir alle leben
von geistlichen Müttern und Vätern.
Wie gut,
dass wir sie haben dürfen.
AMEN

Liedvers:
Du Gott stützt mich, du Gott stärkst mich, du Gott machst mir Mut
(Fassung von D. Schönhals-Schlaudt in ahzw 2-2005, S. 23)

Psalm:
Ps 18 (LEG 735)

Segen:
Gott segne uns und behüte uns.
Gott lasse ihr Angesicht
über uns leuchten und sei uns gnädig.
Gott hebe sein Angesicht auf uns.
Gott schenke uns Frieden.

Die Autorin bleibt anonym. Sie ist 63 Jahre alt und lebt mit ihrem Mann in der Evangelischen Kirche ¬ Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz. Sie engagiert sich ehrenamtlich in der Frauen- und ¬ Familienarbeit.

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