Alle Ausgaben / 2010 Andacht von Anja Bremer-Walkling

Der Augenblick ist mein

Gruppenarbeit und Andacht zur Lebensachtsamkeit

Von Anja Bremer-Walkling


Sorgfältig auf unser Leben zu sehen – dazu fordert uns der Bibeltext Epheser 5,15-20 auf. Sorgfältig, weise, achtsam. Achtsamkeit ist die Aufmerksamkeit von Herz und Verstand in jedem Augenblick. Verhaltensweisen der Aufmerksamkeit sind: Behutsamkeit, Rücksichtnahme, Vorsicht, Wachsamkeit, Gefühl, Aufgeschlossenheit, Offenheit, Wissensdrang und Kreativität.

Angeregt durch den Bibeltext Epheser 5,15-20 werden sich die Teilnehmerinnen im Laufe der Übung, geleitet durch Impulse aus der Lyrik, der Bedeutung von Achtsamkeit in ihrem eignen Leben nähern und abschließend eine Andacht feiern.

Material

DIN A 3-Plakate mit Gedichten: für AbonnentInnen unter www.ahzw.de / Service zum Herunterladen vorbereitet;

farbige Stifte, Gesangbücher / Liedblätter, Bibeltexte, CD-Spieler, CD: Gerhard Schöne „Menschenskind“ (Lied „Ganz einfach“)

Ablauf
Schritt: Ganz einfach

10 Minuten

Wir hören das Lied „Ganz einfach“ von Gerhard Schöne (falls nicht vorhanden, kann der Liedtext als Impuls vorgelesen werden):

Ein Mann fährt zu 'nem Blitzbesuch
zu seinem Vater im Dorf.
Der Alte füttert gerade Katzen.
Der Mann sagt „Tag! Ich bleib' nicht lang,
hab eigentlich gar keine Zeit,
Ich weiß nicht mehr, wo mir der Kopf steht!
Ich hetz mich ab und schaffe nichts.
Ich bin nur noch ein Nervenwrack.
Woher nimmst du nur deine Ruhe?“
Der Alte kratzt sein linkes Ohr
und sagt: „Mein Lieber, hör gut hin,
ich mach es so, es ist ganz einfach:

Wenn ich schlafe, schlafe ich.
Wenn ich aufsteh', steh' ich auf.
Wenn ich gehe, gehe ich.
Wenn ich esse, ess' ich.
Wenn ich schaffe, schaffe ich.
Wenn ich plane, plane ich.
Wenn ich spreche, spreche ich.
Wenn ich höre, hör' ich.“

Der Mann sagt: „Was soll dieser Quatsch?
Das alles mache ich auch,
und trotzdem find' ich keine Ruhe.“
Der Alte kratzt sein linkes Ohr
und sagt: „Mein Lieber, hör' gut hin,
du machst es alles etwas anders:

Wenn du schläfst, stehst du schon auf.
Wenn du aufstehst, gehst du schon.
Wenn du gehst, isst du schon,
Wenn du isst, dann schaffst du.
Wenn du schaffst, dann planst du schon.
Wenn du planst, dann sprichst du schon.
Wenn du sprichst, dann hörst du schon.
Wenn du hörst, dann schläfst du.

Wenn ich schlafe, schlafe ich …

Ein Gespräch über das Gehörte schließt sich an.

Schritt: Epheser 5,15-20

nach der Lutherübersetzung, ca. 20 Minuten

Der Bibeltext wird gemeinsam gelesen. Impuls: Wozu werden wir aufgefordert? Finden wir konkrete Beispiele aus unserem Leben zu den Textbildern? Was heißt es, „sorgfältig zu sehen“, „die Zeit zu nutzen“ etc.?

Textbilder sind: sorgfältig zu sehen / die Zeit zu nutzen (auszukaufen) / nicht unverständig zu sein, sondern zu verstehen / „erfüllt“ zu sein vom Geist, nicht vom Wein / einander zu ermuntern / Dank zu sagen

Es schließt sich ein kurzes Gespräch über folgende Zitate an:
„Die Achtsamkeit ist ein Heilmittel, das Geist, Seele und Körper reinigt;
sie macht das Selbst heil(ig) …“
Verfasser unbekannt

Die Achtsamkeit im Alten Testament:
„Die Achtsamkeit auf sich selbst behüte dein Herz mit allem Fleiß.“
Sprüche 4,23

„Die Achtsamkeit ist das Bindeglied zwischen dem Alltag und der göttlichen Sphäre.“
Simone Weil

Die Impulse können in das Gruppengespräch einfließen.

Schritt: Schreibgespräche

ca. 20 Minuten

Auf Tischen wird eine Gedichtauswahl auf DIN A 3-Plakaten ausgelegt. Die Gedichte werden einmal laut vorgelesen. Jede geht nun mit einem farbigen Stift in der Hand im Raum umher (von Gedicht zu Gedicht) und notiert ihre Gedanken auf dem jeweiligen Plakat. Diese Methode braucht Zeit und Ruhe, um sich auf die Texte einlassen zu können. Ziel ist es, die Gedanken und Reaktionen der anderen zur Achtsamkeit wahrzunehmen und sich schriftlich mit ihnen auszutauschen. Die unterschiedliche Wahrnehmung und Lebensbedeutung der Gedichte tritt dabei in den Vordergrund. Ein kurzes Rundgespräch schließt den Schritt ab.

Gedichtvorschläge:

Betrachtung der Zeit
Mein sind die Jahre nicht, die mir die Zeit genommen.
Mein sind die Jahre nicht, die etwa möchten kommen.
Der Augenblick ist mein.
Und nehm ich den in Acht,
so ist der mein, der Jahr und Ewigkeit gemacht.
Andreas Gryphius

Täglich zu singen
Ich danke Gott und freue mich
Wie's Kind zur Weihnachtsgabe,
dass ich bin, bin! Und dass ich dich,
schön menschlich Antlitz habe;
dass ich die Sonne, Berg' und Meer,
und Laub und Gras kann sehen
und abends unterm Sternenheer
und lieben Monde gehen;
und dass mir dann zumute ist,
als wenn wir Kinder kamen
und sahen, was der heil'ge Christ
bescheret hatte, Amen!
Matthias Claudius

Die wichtigste Stunde
Die wichtigste Stunde
ist immer die Gegenwart,
der bedeutendste Mensch
ist immer der,
der mir gerade gegenübersteht,
das notwendigste Werk
ist stets die Liebe.
Meister Eckart
Mystiker, um 1260-1327

Die zwei Gebote
Liebe das Leben und denk an den Tod!
Tritt, wenn die Stunde da ist, stolz beiseite.
Einmal leben zu müssen,
Heißt unser erstes Gebot.
Nur einmal leben zu dürfen,
Lautet das zweite.
Erich Kästner(1)

Schritt: Gebete formulieren

ca. 20 Minuten

Die Teilnehmerinnen wählen paarweise oder in Kleingruppen ein Gedichteplakat aus, zu dessen inhaltlicher Ausrichtung sie ein Gebet zur Lebensachtsamkeit formulieren. Die Gebete fließen in die anschließende Andacht ein.


Andacht zur Lebensachtsamkeit

Begrüßung
Wir beginnen in der Gegenwart Gottes, vor dem wir unser Leben achtsam bedenken wollen.

Lied
„Es strahlt ein heller Morgen“ nach der Melodie von „Lob Gott getrost mit Singen“ (EG 243), aus: Das Gesangbuch in gerechter Sprache, 77,1-4.

Psalm (Prediger 3,1-12
in drei Abschnitte geteilt)

Zwischenruf: „Mein sind die Jahre nicht, die mir die Zeit genommen.“
Zwischenruf: „Mein sind die Jahre nicht, die etwa möchten kommen.“

Am Schluss der Lesung: „Der Augenblick ist mein. Und nehm ich den in Acht, so ist der mein, der Jahr und Ewigkeit gemacht.“

Lied
„Meine Zeit steht in deinen Händen“ (EG 644)

Desiderata – oder:
So führst du ein glückliches Leben
Es gibt Texte, die der Seele gut tun. Die allein beim Vorlesen beruhigen und der Gehetzten eine Atempause schenken, die uns achtsam werden lassen.
Natürlich gibt es solche Texte auch außerhalb der Bibel. Sie lassen uns aufmerken in Liedern, in der Lyrik, mit der wir uns heute intensiv beschäftigt haben.

Es ist ein Schatz, dass wir über unsere Heiligen Schriften hinaus solche Texte haben, in denen es Menschen gelungen ist, in die Tiefe des Lebens zu dringen und Worte zu finden, die Türen in unser Inneres öffnen und von der Achtsamkeit im Leben sprechen.
Am Portal der alten St.-Pauls-Kirche von Baltimore steht so ein Text. Die Worte stammen aus dem 17. Jahrhundert. Und sie tun uns heute noch gut:

Geh freundlich und gelassen inmitten von Lärm und Hast
und denke daran, welcher Friede in der Stille zu finden ist.

Soweit wie immer möglich und ohne dich selbst aufzugeben
versuche mit allen Menschen auszukommen.
Rede von deiner Wahrheit ruhig und deutlich und hör anderen zu,
selbst wenn sie dir langweilig und unwissend erscheinen,
auch sie haben ihre Geschichte.
Geh lauten und angriffslustigen Menschen aus dem Weg,
denn sie sind eine Plage für den Geist.

Wenn du dich mit anderen vergleichst, werde nie eitel oder verbittert,
denn es wird immer Menschen geben, die mehr oder weniger können als du.
Freue dich über das, was du erreicht hast, wie auch über deine Pläne.
Behalte das Interesse an deiner Arbeit, doch ohne Überheblichkeit,
denn dein Tun und Handeln ist ein wahrer Besitz unter all den Dingen,
deren Wert mal zu-, mal abnimmt.

Sei vorsichtig bei deinen Geschäften, denn die Welt ist voller List.
Werde dadurch aber nicht blind gegenüber der Tatsache, dass es viele Menschen gibt, die noch Ideale haben und sie zu verwirklichen trachten.
Sieh auch, dass es überall im Leben noch echte Tapferkeit gibt.

Sei du selbst.

Vor allem täusche nicht Zuneigung
vor noch werde zynisch, was die Liebe angeht,
denn trotz aller Erstarrungen und Entzauberungen, die du um dich siehst,
lebt sie ewig fort wie ein Gras.

Beuge dich freundlich dem Rat der Jahre
und gib mit Anmut jene Dinge aus der Hand, die der Jugend vorbehalten sind.

Erhalte dir die Schärfe deines Verstandes, denn sie vermag dich vor plötzlichem Unglück zu bewahren.
Aber lass dich nicht fallen in ständiges Grübeln.
Viele Ängste sind nur eine Ausgeburt von Müdigkeit und Einsamkeit.
Nichts gegen eine gewisse Disziplin, im Übrigen aber sei freundlich mit dir selbst.

Du bist ein Kind des Universums,
wie auch der Baum vor der Tür oder der Stern am Himmel.
Du hast ein Recht darauf, hier zu sein.
Und ob es dir nun klar ist oder nicht:
Das Universum entfaltet sich seiner Bestimmung gemäß.

Deshalb lebe in Frieden mit Gott, für was immer du ihn halten magst
und was immer deine Arbeit und dein Streben sein mögen
in der lärmerfüllten Verirrung des Lebens. Gib deiner Seele Frieden.
Trotz aller Täuschungen, Plagereien und aller zerbrochenen Träume
ist es immer noch eine wunderbare Welt.
Sei bedacht. Strebe danach, glücklich zu sein.
http://www.orbit9.de/wissen/zitate_desiderata.php

Lied
„Wer nur den lieben Gott lässt walten“
EG 369,1-3

Gebet
Hier wird vorgetragen, was im Anschluss an das Schreibgespräch zur Lebensachtsamkeit entstand.
Die Gebetsrufe werden unterbrochen durch den Taizévers „Ubi caritas“
aus: Das Gesangbuch in gerechter Sprache, Nr. 102

Beispiel:
Großer Gott, du brauchst mich.
Das sagst du mir, das sprichst du mir zu.
Du hast mich geschaffen.
Du sorgst für mich und achtest mich und mein Tun.
Doch was achte ich?
Ich will auf mich achten
und damit dich achten
und das Leben loben und lieben
durch meinen Schöpfer.

Wenn die Vergangenheit mich festhält,
Gott, dann führe mich heraus.
Zeig mir den Augenblick,
die Zeit, in der ich bin,
frei zu handeln und zu lieben.
In der Gegenwart.
In deiner Augen Blick.

Vaterunser

Lied
„So komm und segne diesen Tag“
aus: Gottesklang – das kleine Liederbuch, Nr. 115, Melodie: J.S. Bach – Weihnachtsoratorium

Segen
Wir stehen im Kreis und legen unsere rechte Hand auf den Rücken der Nachbarin:

Gott segne dich.
Gott schenke dir Offenheit,
Freude und Lust,
dir selbst und allen Menschen
in jedem Augenblick
neu und
achtsam
zu begegnen.
So segne dich Gott.


Anja Bremer-Walkling, Jahrgang 1974, ist geboren und aufgewachsen in Südniedersachsen. Sie hat Ev. Theologie und Religionspädagogik studiert. 2004-2009 war sie Religionspädagogische Referentin der Frauenarbeit der Evangelischen Landeskirche in Baden, seit 2010 arbeitet sie als Öffentlichkeitsrefentin im Zentrum für Kommunikation der Evangelischen Landeskirche in Baden.


Anmerkungen:

1 © Atrium Verlag Zürich und Thomas Kästner

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