Alle Ausgaben / 2009 Material von Elfriede Pollet

Der Mirabellenbaum

Von Elfriede Pollet


Als Kind noch sah ich mit Vergnügen
an einem fremden Gartenzaun
so kleine, gelbe Dinger liegen,
die schmeckten – ach, ihr glaubt es kaum!

Seitdem ich den Gedanken trage:
wenn ich erst einmal größer bin
und selber einen Garten habe,
da pflanz ich so ein Bäumlein hin.

Inzwischen hab ich längst erfahren:
Es war ein Mirabellenbaum.
Und dann im Lauf von 20 Jahren
erfüllte ich mir diesen Traum.

Ich grub inmitten meines Gartens
ein tiefes Loch und pflanzt' ihn ein.
Wie lange musst' ich nun warten…
das Bäumlein war entsetzlich klein!

Ich zählte Blätter, schätzte Triebe,
jahraus, jahrein, sechs Jahre lang.
„Ach tu mir endlich mal die Liebe
und hänge dir doch Früchte dran!“

Und sieh, im siebten Jahr erblühte
das Bäumlein weiß, fast über Nacht.
Es lohnte sich, dass ich mich mühte,
nun steht es da in seiner Pracht.

Ein kleines Bäumlein, fast verloren
es einst im großen Garten stand.
Nun hat es Platz sich auserkoren
Und füllt ihn fast bis an den Rand.

Schwer hängen Früchte an den Zweigen,
und will ich durch den Garten gehn,
muss ich mich tief vor ihm verneigen,
doch oft bleib ich bewundernd stehn.

Noch sind sie grün, die Mirabellchen.
Doch oben in den Wipfeln hoch,
da zeigen sie schon gelbe Stellchen!
Es hat noch Zeit, wir warten noch!

Nun steh' ich täglich auf der Leiter
und schau in meine Gartenwelt.
Von oben ist's besonders heiter:
es mirabellt, es mirabellt.


Elfriede Pollet
© bei der Autorin

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