Da steht sie, vom Duschen noch naß,
vor mir, ihrem Spiegel im Bad.
Wieder trifft mich ihr Blick voller Haß,
sie findet ihr Spiegelbild fad.
Oft hat sie mit feindlichem Blick
die Flecken betrachtet am Kinn,
fand Hüften und Beine zu dick.
Grad dort, meint sie, guckt jeder hin.
Was hat sie nicht alles versucht:
gehungert, sich geschminkt und frisiert.
Am Ende mich immer verflucht,
geheult und die Schminke verschmiert.
Ich kenn ihren Schalk im Genick.
Ihr Lachen erfüllte das Haus.
Ich weiß, sie hat Sterne im Blick,
doch kaum sieht sie mich, gehn die aus.
Ich bin im Betrachten geübt,
hab allzugern Frauen beäugt.
Doch das macht einen Spiegel betrübt,
wenn er nichts als Kummer erzeugt.
Wie gern spräche ich jetzt zu ihr,
wie schön ich sie immer schon fand.
Ihr Mund: ein geschmeidiges Tier!
Ihr Körper: ein herrliches Land!
Ihr Blick, wie ein Feuer im Schnee.
Ihr Antlitz: ein Garten, bewohnt
von wilden Narzissen und Klee.
Die Tränen – zwei Wolken im Mond.
Ich bitte dich: Schau richtig hin!
Entdecke den Zauber, die Pracht!
Auch wenn ich ein Spiegel nur bin,
der nichts als ein Spiegelbild macht.
aus: So ein Traum braucht seine Zeit
© beim Autor
Die letzte Ausgabe der leicht&SINN zum
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