Ausgabe 1 / 2006 Andacht von Ulrike Oettel

Des Lebens Fäden spinnen

Andacht im Andenken an Eva, die Mutter aller Lebendigen

Von Ulrike Oettel


Nicht jede Frau hat ein Kind geboren. Aber jede, gleich welchen Alters und ¬ welcher Sozialisation, ob in Ost oder West, ob in Nord oder Süd geboren, ist Tochter. Und als Tochter (wie auch als Sohn) bin ich einzig und allein deswegen auf der Welt, weil ich von einer Frau geboren wurde. Ich habe das Licht der Welt er¬ blickt, nachdem „ich im Mutterschoß gewoben worden bin“ (Ps 139).
Für uns – in unserer Kultur und unserer Zeit – ist unser Frau-Sein nicht unbedingt damit verbunden, Mutter zu sein. Ich bin einmalig und gottgewollt, gleich ob ich kein Kind haben kann, mich nicht für ein Kind entscheide oder ob ich ein Kind oder mehrere Kinder geboren habe. In dem Buch: Königin und wilde Frau von Linda Jarosch und Anselm Grün sind verschiedene Seiten des Frauseins beschrieben; meine Mütterlichkeit ist eine Seite davon. Auch wenn ich nicht geboren habe.

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Andacht gleich An – Denken

Eine Frau am Spinnrocken – eine Mutter und Hausfrau?
Eine Frau am Spinnrocken – eine berufstätige Frau?

Hier: EVA am Spinnrocken mit einem Kind zu ihren Füßen.
Während sie spinnt, arbeitet Adam mit dem anderen Sohn auf dem Feld. Nur durch diese Gegenüberstellung wird deutlich, dass es sich bei dieser Frau um Eva handelt.
Eva ist als „gutbetuchte“ Frau des 16. Jahrhunderts gekleidet, die Farben der Kleidung – rot und blau – erinnern an Maria. Adam ist in Tierfelle gehüllt. Und beide Kinder, Kain und Abel, sind nackt. Nackt und bloß sein symbolisiert unschuldig sein, verletzlich sein.

Wie verschieden sind die Auslegungen zu den Texten der Bibel vom Paradies, wo von der Erschaffung von Frau und Mann zu lesen ist. Wie unterschiedlich und vielfältig Darstellungen von Adam und Eva unter dem Baum der Erkenntnis.

Hier: Eva als Mutter und Hausfrau? Eva als berufstätige Frau? Eva als berufstätige Mutter?

Eva spinnt. Diejenigen, die schon selbst am Spinnrad saßen oder gar am Spinnrocken, wissen, dass Spinnen eine zeitaufwändige und Geschick erfordernde Tätigkeit ist – ganz abgesehen von aller Vorbereitung der Wolle bis dahin.

Früher waren Spinnstuben
– Orte, wo es keine sozialen Unterschiede gab: an den Spinnrädern saßen Magd und Bäuerin nebeneinander;
– Orte der Kommunikation, wo ¬ Märchen erzählt wurden, während in Märchen oft und mit unterschiedlichstem Material gesponnen wird;
– Orte, wo altes Erfahrungs-Wissen weitergegeben wurde.

Spinnen als sprichwörtliche Rede begegnet uns in: „Spinne am Morgen – Kummer und Sorgen. Spinne am Mittag – Glück für den nächsten Tag. Spinne am Abend – erquickend und labend.“
Ein Sprichwort, das fälschlicherweise mit dem Spinnen-Tier in Verbindung gebracht wird. Je nachdem, ob morgens, mittags oder abends eine Spinne meinen Weg kreuzt, soll dies Kummer oder Glück bringen? Tatsächlich ist hier Spinnen als Tätigkeit gemeint: Wenn sich Frauen schon am Morgen mit dem Spinnen ihren Lebensunterhalt verdienen mussten, so ist anzunehmen, dass es arme Frauen waren, bei denen Kummer und Sorge auf der Tagesordnung standen. Wer dagegen erst abends spann, tat das – erquickend und labend – zur eigenen Erbauung.
Eva hier: mit gutem Tuch gekleidet, mit Kopfbedeckung und einem (Geld-?) Beutel, scheint so eine wohlhabende Frau gewesen zu sein.

Frauen, die erwerbsmäßig mit Schafzucht und Verarbeitung der Wolle ihr Brot verdienen, sind selten geworden. Es gibt Frauen, die hobbymäßig am Spinnrad sitzen. Aber viel häufiger spinnen Frauen – ganz positiv – im übertragenen Sinn.

Wie kommt es, dass der Begriff „spinnen“ so negativ besetzt ist? Dabei ist es doch wichtig, den Gedanken freien Lauf zu lassen, Ideen zu haben und beim Lösen von Aufgaben auch die unwahrscheinlichsten Möglichkeiten in Betracht zu ziehen – zu spinnen eben.
Wie wichtig ist es, „einen guten Faden zu spinnen“ in den unterschiedlichsten Lebensbezügen, gleich, ob ich als junge oder alte Frau allein oder in einer Partnerschaft lebe, mein Alltag in erster Linie von Familienaufgaben, von Berufstätigkeit oder von ehrenamtlicher Arbeit in Kirche und Gesellschaft bestimmt ist!
Ein gut gesponnener Faden ist Voraussetzung für ein haltbares Gewebe, für ein einfaches oder kompliziertes Gestrick, für ein tragfähiges Netz – beim handwerklichen Spinnen wie beim Spinnen mit Herz und Kopf.
Und wenn ich mit mir und für mich selbst einen guten Faden spinne, so kann ich auch in und mit meinem Umfeld einen guten Faden spinnen. Zuerst braucht es den Faden: für jedes Stück Stoff, für jedes zu knüpfende Netz!
Und wer sollte dieses Netz spinnen, wenn nicht Frauen (und Männer), denen Leben im umfassenden Sinn wichtig ist? Leben, in dem nicht allein Leistung und Geld zählen, sondern Zeit bleibt, dem nicht Machbaren und Planbaren, dem Wunder des Lebens zu begegnen.

So verstehe ich dieses Eva-Bild: Eva als erste Spinnerin, als Ur-Spinnende. Sie hat begonnen, einen Faden, den Lebensfaden zu spinnen. Unsere Aufgabe ist es, diesen Faden aufzunehmen, ihn weiter zu spinnen, das zu tun, was gelingendem Leben dient.
Das ist meine Aufgabe: als Frau, die ich mein Leben ohne eigenes Muttersein gestalte; als Frau, die kein Kind haben konnte; als Frau, die auch Mutter oder Großmutter ist.
Wir alle brauchen Kleider als Schutz und Schmuck und tragfähige Netze oder – wie im folgenden Lied – „einen Teppich über die Erde mit dem Sonnengold des Himmels“.

Lied mit Bewegung:
Wir spinnen feine Fäden von mir zu dir und weit,
im Kreis durchgefasst nach rechts gehen, rechter Fuß zuerst
= Spinnen ist Kreisen/Drehen
wir spinnen, spannen Netze in uns'rer Lebens-Zeit,
im Kreis durchgefasst nach links gehen, linker Fuß zuerst
(Tanzgeübte können bis hierher auch eine „Englische Kette“ tanzen.)
= das Spannen/Knüpfen der Netze in alle Richtungen
wir weben einen Teppich
zur Mitte gewandt rechter Fuß ZUR Mitte + linker Fuß ran;
rechter Fuß wieder zum Aussenkreis + auch linker Fuß zurück
= Kett-Faden
über die Erde hin,
nach rechts und nach links wiegen 2x
= Schuss-Faden
wir weben grüne Hoffnung
zur Mitte gewandt rechter Fuß ZUR Mitte + linker Fuß ran;
rechter Fuß wieder zum Außenkreis + auch linker Fuß zurück
(Anstelle zur Mitte zu gehen, lässt sich hier auch nach AUSSEN gehen.)
= Kett-Faden
mit Sonnengold darin.
Drehung um die eigene Achse in vier Schritten in Tanzrichtung
= goldenes Sonnenrad

Text: nach Hubertus Halbfas; Textänderung und Bewegungsvorschlag: Ulrike Oettel. Der Vierzeiler lässt sich nach der Melodie „Nun will der Lenz uns grüßen“ singen und mit sehr einfachen Schritten bewegen; bei einer großen tanzgeübten Gruppe auch im Doppelkreis, einander zugewandt. Es ist sinnvoll, beim Tanzen die Melodie nur zu summen.

Segen:
„Ich bitte, die linke Hand als Schale zu öffnen, damit wir den Segen empfangen können.“(Vormachen)
„So kann ich den Segen auch an meine Nachbarin weitergeben.“

Vormachen: die rechte Hand auf die Schulter der Nachbarin legen. Erst, wenn reihum alle so verbunden sind, den Segen sprechen.

„Mögen die Fäden unseres Lebens
vielfältig und vielfarbig gesponnen sein
und zu tragenden Netzen verknüpft.
So segne uns der gütige Gott,
der uns im Schoss der Mutter Erde gewoben hat.
Amen.“

Ulrike Oettel ist jeweils nach dem dritten Geburtstag ihrer drei inzwischen erwachsenen Kinder wieder in ihren Beruf als Ingenieurin für Werkstofftechnik eingestiegen. Nach Ausbildungen zur Religionspädagogin, in Bibliodrama und Erwachsenen- und Familienbildung arbeitet sie heute als Reisereferentin bei der Kirchlichen Frauenarbeit in der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsen.

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