Alle Ausgaben / 2006 Material von den Brüdern Bonderenko

Des Spatzen Frühlingslied

Von den Brüdern Bonderenko


An einem Wintertag war es. Der Schneewind heulte, und klirrender Frost herrschte über dem Land. Da kratzte der Weidenbaum mit Eis überzogenen Zweigen an den Fensterläden der Hütte und flehte: „Lass mich ein. Mich friert so.“
Irgendwo hinten in der Scheune kollerte der Truthahn: „Einen bösen Winter haben wir in diesem Jahr. Und er will und will nicht weichen.“

Da steckte der Spatz seinen Kopf unterm Dachrand hervor und schilpte: „Die Kälte ist ja schon gebrochen, und der Winter schwindet dahin.“

„Du lügst!“ heulte der Sturm und warf ihm Schnee in die Augen.
Und auch der Frost kreischte: „Du lügst!“
Er wehte den Spatz mit seinem Eishauch an, dass dem die Federchen weiß anliefen.

Doch der Spatz lugte weiter unter dem Dach hervor und schilpte unentwegt: „Es stimmt aber doch. Die Kälte ist gebrochen. Der Frühling kommt. Haltet aus!“

Bald darauf taute die Sonne lauter Löcher in den Schnee. Die Lerchen kamen zurück und auch die Stare. Und sangen ihr Frühlingslied, dass es weithin schallte. Der Truthahn schritt über den Hof und kollerte: „Da ist er ja, der Frühling …“
Und weit und breit sang es vom Frühling.

Und über all den Frühlingsliedern erinnerte sich die Weide an das, was der graue Spatz gesagt hatte. Ihm war so kalt gewesen wie allen anderen auch. Doch er hatte sein bisschen Wärme zusammengenommen, um den anderen Tieren zu verkünden: „Der Frühling kommt!“

Als allererster hatte der Spatz den Frühling im grauen Wirbel des Schneesturms erkannt und sich nicht gefürchtet, sein Kommen anzukünden. Mitten im Winter, als das Land noch erstarrt lag in Eis und Schnee.

Brüder Bonderenko

aus
:
Das Pferd mit dem guten Herzen
und viele andere Märchen
erzählt von sowjetischen Schriftstellern
ausgewählt von Gerhard Hoeltz-Baumert
übersetzt von
Max Hummeltenberg
© Der Kinderbuchverlag Berlin Ost

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