Ausgabe 1 / 2016 Artikel von Maren Heincke

Deutsch-Land

Konfliktfeld Flächennutzung

Von Maren Heincke

Deutschlands größte Flächennutzerin ist mit einem Anteil von 51,7 Prozent die Landwirtschaft. Der Anteil der Waldfläche beträgt 30,6 Prozent.

Und etwa 13,7 Prozent der Fläche Deutschlands ist Siedlungs- und Verkehrsfläche. Die ist allerdings nicht mit „versiegelter Fläche“ gleichzusetzen, da auch Grünanlagen und Sportflächen dazu zählen. Weitere und sehr differenzierte Informationen sind bei den regelmäßig veröffentlichten Zahlen des Statistischen Bundesamtes zu finden.1

Ausufernder Flächenverbrauch
Entscheidend ist, dass sich während der letzten 60 Jahre die Siedlungs- und Verkehrsfläche in Deutschland mehr als verdoppelt hat. Und nach wie vor ist die Inanspruchnahme neuer Flächen extrem hoch. Im Durchschnitt betrug in den Jahren von 2011 bis 2014 der tägliche Flächenverbrauch für Siedlung und Verkehr 69 Hektar. (Statistisches Bundesamt 2015). Dies ist einerseits ein deutlicher Rückgang gegenüber den Jahren 1997-2000; damals wurden noch täglich 129 Hektar zulasten der Landwirtschaft „verbraucht“. Andererseits müssen wir aber auch sehen, dass dieser Flächenverbrauch zur insgesamt gewachsenen Siedlungs- und Verkehrsfläche hinzukommt. Und das ist ein starkes Indiz dafür, dass in Deutschland eine absolut nicht nachhaltige Boden- und Flächenpolitik betrieben wird. Zudem findet mit etwa 40 Prozent ein überproportional großer Anteil des Flächenverbrauchs auf den besonders wertvollen Böden statt. Das wiederum erklärt sich siedlungshistorisch: Menschen haben sich bereits früher auf den ertragsreichsten Flächen, beispielsweise an Flussläufen, angesiedelt. Europaweit wird jährlich eine Fläche in der Größe Berlins verbaut – eine Fläche, die rund 200.000 Personen ernähren könnte.

Das Nachhaltigkeitsziel der Bundesregierung, bis 2020 „nur“ noch 30 Hektar Fläche pro Tag neu in Anspruch zu nehmen, wird höchstwahrscheinlich nicht eingehalten. Dazu wäre eine radikale Trendwende nötig. Wirtschaftswachstum und Zuwanderung begünstigen hingegen neue Baugebietsausweisungen – wobei sich auch harte Fragen an die Zukunftsfähigkeit ständig wachsender Ballungsräume und an potentielle neue Ghetto-Bildungen durch MigrantInnen stellen.

Flächen für Naturschutz-Zwecke
Die Fläche der Naturschutzgebiete entspricht 3,9 Prozent und die Fläche der Nationalparks 0,6 Prozent der deutschen Gesamtfläche. Das Gesetz sieht in beiden Schutzkategorien einen Vorrang für den Naturschutz vor. Menschliche Nutzungen wie Land- und Forstwirtschaft können dementsprechend stark eingeschränkt werden. Allerdings sind etwa 60 Prozent aller Naturschutzgebiete Deutschlands kleiner als 50 Hek­tar; das bedeutet, dass diese kleinen Gebiete oft keine ausreichenden Pufferzonen gegenüber negativen Außen­faktoren wie Eutrophierung2 besitzen (Bundesamt für Naturschutz 2015). Zudem wird laut Bundesnaturschutzgesetz ein Flächenanteil von zehn Prozent Naturschutzgebiete als Zielwert an­gestrebt. Angesichts des massiv fortschreitenden Verlustes an Biodiversität (Artenvielfalt, genetische Diversität, Viel­falt der Lebensräume) in Deutschland sind Aussagen zu angeblich „übertrieben“ hohen Flächenausweisungen für Naturschutzzwecke reine Stimmungsmache.3

Ein reales Problem ist jedoch, dass für den Flächenverbrauch Kompensationsmaßnahmen durchgeführt werden müssen und nicht alle dieser Maßnahmen dem Natur- und Landschaftsschutz tatsächlich langfristig dienen. Es ist zwingend notwendig, die Kompensa­tionsmaßnahmen sachbezogen weiterzuentwickeln und Maßnahmen wie Entsiegelung stärker zu nutzen. Zum Beispiel ist es sinnlos, Streuobstwiesen zwecks Kompensation zunächst anzulegen, aber keinen dauerhaften Pflegeauftrag sicher zu stellen.

Überhitzter Bodenmarkt
Insgesamt haben während der letzten Jahre die Konflikte um Flächen massiv zugenommen. Die Pacht- und Landkaufpreise sind stark angestiegen; so haben sich die durchschnittlichen deutschen Pachtpreise zwischen 1999 und 2014 fast verdoppelt, wobei die Pachthöhe regional extrem unterschiedlich ist.

Zum Preisdruck hat der Ausbau der Erneuerbaren Energien beigetragen. Auch wenn die Flächennutzungen für Windkraftanlagen oder Photovoltaik-Frei­flächenanlagen zunächst nicht groß erscheinen, so sind sie doch ebenso Treiberinnen für erhöhte Pachtpreise wie die Biogasanlagen. Im Jahr 2015 wurden auf 2,5 Millionen Hektar der 11,9 Millionen Hektar deutscher Ackerfläche Nachwachsende Rohstoffe zur energe­tischen oder stofflichen Nutzung an­gebaut. Aufgrund der auf 20 Jahre garantierten Einspeisevergütung für Biogasanlagen können BiogasbetreiberInnen deutlich höhere Pachtpreise zahlen als etwa MilchviehhalterInnen.
Aufgrund des ökonomischen Druckes, pro Fläche immer höhere Erträge zu erwirtschaften, wurde während der letzten Jahre zudem massiv ökologisch besonders wertvolles, artenreiches Grünland in Ackerland umgebrochen. Laut Umweltbundesamt sank die Dauergrünlandfläche von 1991 mit 5,3 Millionen Hektar auf 4,8 Millionen Hektar im Jahr 2014.4

Da für die meisten landwirtschaftlichen Betriebe die Größe der Betriebsfläche entscheidend für den Betriebserfolg ist, und landwirtschaftliche Betriebe im Durchschnitt einen Pachtflächenanteil von etwa 60 Prozent haben, hat sich
die Konkurrenz der LandwirtInnen um Pachtland deutlich verschärft. Unter ihnen findet deshalb teilweise eine harte Entsolidarisierung statt, bisher funktionierende bäuerliche Nachbarschaftshilfe wird so zerstört. In Frankreich hingegen haben viele LandwirtInnen inzwischen angefangen umzudenken. „Wir wollen landwirtschaftliche Nachbarn statt mehr Hektar Land“ – Äußerungen wie diese machen das deutlich.

Pachtflächen für Ökolandbau oder Landschaftspflege sind kaum noch zu bekommen. Den teuer gepachteten Flächen werden möglichst hohe Erträge abgepresst – zu Lasten einer nachhal­tigen Bodenbewirtschaftung. In Regionen mit stark erhöhten Dichten an Viehbesatz oder großen Mengen an Gärsubstraten aus Biogasanlagen steigen die Nitratbelastungen des Grundwassers und die Eutrophierung der Oberflächengewässer aufgrund einer zu intensiven landwirtschaftlichen Nutzung sogar wieder an. Dies ist ein absolut negativer Trend der dortigen Landwirtschaft. Er steht diametral zu anderen Regionen, in denen erfolgreiche Kooperationsmodelle mit der Wasserwirtschaft betrieben werden.

Zusätzlich angetrieben wird diese Pachtpreis-Entwicklung dadurch, dass seit Beginn der Finanzkrise 2008 zu­nehmend landwirtschaftsfremde Investoren Landwirtschaftsflächen aufkaufen – frei nach dem Motto: niedrige aber beständige Rendite. Böden wurden als Kapitalanlage neu entdeckt.

Interessenskonflikte der RaumnutzerInnen
Jenseits der Besitzverhältnisse gibt es zahlreiche Konflikte der Flächennutzung durch FreizeitnutzerInnen, die den Vorrang von Naturschutz- oder Landwirtschaftsbelangen nicht mehr respektieren. Es gibt konfliktarme Möglichkeiten der Raumnutzung, etwa beim Radfahren, Wandern und Skaten. Dennoch häufen sich die Nutzungskonflikte, weil sich beispielsweise Mountainbike-FahrerInnen überhaupt nicht mehr an ­Wegeregelungen halten und Wanderer massiv gefährden, Geocacherinnen quer durch Naturschutzgebiete laufen und so geschützte Pflanzen zerstören oder Hundebesitzer ihre Hunde frei laufen lassen und dadurch wild lebende Tiere gehetzt werden. LandwirtInnen klagen regelmäßig über Auseinandersetzungen auf landwirtschaftlichen Wegen. In dicht besiedelten Gebieten stellt dieser soziale Stress durch zu viele unterschiedliche Land- und Raumnutzungsansprüche ein echtes Problem dar.

Naturkörper Böden – viel mehr als bloße Fläche
Böden sind wesentlich mehr als zwei­dimensionale Flächen, Böden sind dreidimensionale Naturkörper. In ihnen wirken Atmosphäre, Lithosphäre,5 Hydrosphäre und Biosphäre zusammen. Die hiesigen Böden blicken oft auf über zehn­tausend Jahre Entstehungsgeschichte zurück. Die Regeneration von Böden verläuft – gemessen am menschlichen Zeitverständnis – enorm langsam. Deshalb gelten fruchtbare Böden als lebenswichtige, begrenzte, nicht vermehrbare und damit sehr kostbare Ressource.

Böden bilden auch nicht bloß die Standorte für Pflanzenwachstum. Böden sind multifunktionell: Sie reinigen und speichern Wasser und puffern so Hochwässer ab. Im Bodenhumus ist mehr Kohlenstoff gespeichert als in allen Wäldern der Welt zusammen; damit spielen Böden in Hinblick auf den Klimawandel eine extrem wichtige Rolle. Böden wimmeln vor kleinsten Bodenlebewesen, die pflanzliche Reste oder auch Schadstoffe umbauen; jedoch ist über die Welt der Bodenmikroorgansimen wissenschaftlich noch verhältnismäßig wenig bekannt. Böden bieten zudem Lebensräume für zahlreiche Tiere und Pflanzen.

Böden sind hochkomplex – und damit auch empfindlich gegenüber schädlichen Bodenveränderungen. Schleichende Wind- oder Wassererosion durch unzureichende Bodenschutzmaßnahmen, Verdichtung des Bodens durch Befahren mit schweren Landmaschinen oder Kontamination des Bodens durch Schadstoffeinträge gefährden die Multifunktionalität der Böden langfristig.

Eine besondere Problematik bei der Flächennutzung stellen Altlasten-Standorte dar. Es gibt Hundertausende altlastenverdächtige Flächen. Allein die Abschätzung des jeweiligen Gefährdungspotentials für Umwelt und menschliche Gesundheit ist häufig sehr kompliziert. Altlastensanierungen sind zudem oft extrem kostenintensiv, zumal sich die industriellen und gewerblichen VornutzerInnen regelmäßig aus jeder Verantwortung gestohlen haben. Bei den Altlasten zeigt sich exemplarisch, wie sehr eine umweltschädliche Nutzung der Böden auf viele Jahrzehnte hin Probleme nach sich zieht und bis zur vollständigen Unnutzbarkeit der Böden führen kann.

Kirche als Landbesitzerin
Die evangelischen Landeskirchen und die katholischen Bistümer gehören mit zu den größten LandbesitzerInnen in Deutschland. Daraus ergibt sich eine besondere Verantwortung für ökologisch verträgliche Bodennutzung und sozial gerechte Verpachtungspraxis. Zudem könnten die Kirchen intensive gesellschaftspolitische Dialoge über eine nachhaltige Bodenschutz- und Flächenhaushaltspolitik führen.

Dr. Maren Heincke, geb. 1967, ist Diplom-Agrar­ingenieurin. Nach landwirtschaftlichen Praktika in Schottland, Deutschland und Kenia hat sie im ­Fachgebiet Bodenkunde promoviert und als Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich Technikfolgenabschätzung gearbeitet. Seit 2003 ist sie Referentin für den ländlichen Raum bei der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau.

Anmerkungen
1)
siehe https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/Wirtschaftsbereiche/LandForstwirtschaftFischerei/Flaechennutzung/Flaechennutzung.html
2)
Eutrophierung (von griech. eútrophos: gut nährend) ist ein Fachbegriff der Ökologie. Er bezeichnet allgemein das Sichanreichern oder Angereichert
werden von Nährstoffen in einem Ökosystem.
Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Eutrophierung
3)
Weitere Informationen zur Bedeutung von Biodiversivität z.B. unter http://www.bund.net/themen_und_projekte/biologische_vielfalt/biodiversitaet_erhalten/
4)
Siehe www.umweltbundesamt.de/indikator-gruenlandflaeche
5)
In der Bodenkunde ist die Gesteinsschicht im Boden gemeint.

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