Alle Ausgaben / 2007 Artikel von Waltraud Liekefett

Die Bernsteinkette meiner Mutter

Zur persönlichen Bedeutung von Schmuck

Von Waltraud Liekefett


Schmuck übt auf Frauen eine besondere Faszination aus – er kleidet sie, macht sie unverwechselbar und schenkt ihnen Aufmerksamkeit. Und: Schmuck gehört zum Persönlichsten der Menschen – drückt Lebensgefühl und Wertschätzung aus und birgt Erinnerungen wie kaum etwas sonst.

Frauen, die ihr Lieblingsschmuckstück tragen, zeigen damit, wie sie gesehen werden wollen und was ihnen wichtig ist. Biblisch ist dies nicht, wenn wir auf den Apostel Paulus hören, denn der schreibt im ersten Brief an Timotheus: „Ich will, dass beim gottesdienstlichen Gebet … die Frauen durch ordentliche Kleidung ihrer Schamhaftigkeit und anständigen Selbstzähmung Ausdruck geben und sich nicht mit kunstvollen Frisuren, Gold und Perlen oder teuren Kleidern herausputzen.“ (siehe 1 Tim 2,8–10)

Für lange Zeit noch zählten die Hüter christlicher Moral Perlen an Hälsen und Ohren von irdischen Frauen zu den verwerflichen Luxusobjekten. So wetterte etwa der Kirchenvater Tertullian im 2./3. Jahrhundert in Rom: „Eine Million Sesterzen sind auf eine einfache Perlenschnur gereiht, ganze Wälder und Inseln trägt ein schwacher Nacken; in zarten Ohrläppchen hängt ein schweres Zinsenbuch und jeder Finger hat seinen Schatz, mit dem er tändelt. So hoch ist die Eitelkeit gestiegen, dass ein einziges Weib all sein Hab und Gut am Leibe trägt.“

Anzumerken ist allerdings, dass der aufgeregte Kirchenvater sich mit seinen Ansichten in bester Gesellschaft „heidnischer“ Philosophen griechischer oder römischer Provenienz befand. So befand zum Beispiel schon Demokrit (460 – 370 v. Chr.), dass es der Schmuck des Weibes sei, wenig zu reden, aber auch Einfachheit im Schmuck ihm wohl anstehe. Und auch den römischen Dichter Seneca (4 v. Chr. – 65 n. Chr.) störte die Sucht der schönen Römerinnen nach Schmuck. Überall sah er Perlen: „Eine Perle für jedes Ohr? Nein! Die Ohrläppchen unserer Damen haben offenbar die besondere Eigenschaft entwickelt, eine Vielzahl auf einmal zu tragen. Zwei Perlen nebeneinander mit einer dritten darüber baumelnd, bilden nun einen Ohrring. Diese Verrückten scheinen offenbar zu glauben, dass ihre Ehemänner nur dann genügend gequält worden sind, wenn sie den Wert einer Erbschaft in jedem Ohr tragen!“

Eigentümlich, wie sich die Argumente ähneln! Seien es letztlich finanzielle oder sittliche Bedenken – jedenfalls hatte es der Schmuck für Frauen im christlichen Altertum und besonders im Mittelalter schwer. Man predigte das Ideal der Armut und verurteilte Edelsteine und Perlen als Teufelszeug, das nur dazu diene, dumme Weiber von den wahren spirituellen Werten abzulenken.


Goldene Erinnerungen

Schmuck dient im Allgemeinen vor allem dazu, Schönheit und Weiblichkeit zu unterstreichen. Und so achten Frauen beim Anlegen eines Schmuckstücks sehr genau darauf, ob es auch zu ihnen passt. Ein Schmuckstück ist aber darüber hinaus oft ein Zeichen von Zuwendung. Schmuck schenken bedeutet: einen Menschen ehren, Liebe, Zuneigung und Wertschätzung zum Ausdruck bringen. Selten kauft sich jemand das „Lieblingsschmuckstück“ selbst – meist ist es ein Geschenk von einem lieben Menschen. Schmuck als Zeichen der Wertschätzung, der Liebe und Zusammengehörigkeit gehört zu den Dingen, die wir als letzte hergeben und die wir den am meisten geliebten Menschen vererben. Bekommt ein Mensch zu einem bestimmten Ereignis Schmuck geschenkt oder wird in besonderer Weise geschmückt, soll damit das Besondere dieser Lebenssituation sichtbar werden. So bekommen Konfirmandinnen manchmal ein Goldkettchen mit einem Kreuz, der Bräutigam schenkt seiner Braut einen Ring, zu einem  „runden“ Geburtstag schenken die Kinder der Mutter ein Schmuckstück.

Diese zu besonderen Anlässen geschenkten Schmuckstücke sind häufig die, die dann auch begehrte Erbstücke sind. Im Testament, das meine Mutter für uns Kinder geschrieben hatte, stand: „Die Bernsteinkette bekommt Waltraud.“ Die Ringe bekam mein Bruder. Die Bernsteinkette liegt heute schön drapiert in einem Regal. Ich trage sie nicht – aber sie ist für mich ein ganz besonderes Erinnerungsstück an meine Mutter, und es verbirgt sich dahinter ein ganzes Stück Familiengeschichte. Die Urgroßmutter aus Ostpreußen trug immer eine Bernsteinkette. Meine Mutter war traurig, dass sie sie nicht geerbt hatte, und auch in ihrer Ehe konnte ihr Wunsch nach einer Bernsteinkette nicht erfüllt werden. Das Lieblingsbuch meiner Mutter war „Die Mücke im Bernstein“. Und so schenkte ich ihr von meinem ersten gesparten Geld zum 50. Geburtstag die Kette, die heute wieder bei mir liegt.

Geerbte Schmuckstücke sind eigentlich immer ein Stück Familiengeschichte, und das macht sie für uns wertvoll, unabhängig vom materiellen Wert. Wir möchten damit die Erinnerung an einen geliebten Menschen behalten. Eine Freundin erzählte mir einmal, wie traurig ihre beiden Töchter waren, weil sie keines der Schmuckstücke ihrer Großmutter bekommen hatten. Weil der Familienschmuck, der von Generation zu Generation vererbt wird, für viele Familien etwas besonders Wertvolles ist, darf er in der Regel auch nicht verkauft werden, selbst wenn er nicht mehr zum veränderten modischen Geschmack passen sollte und daher
nie mehr getragen wird. Manche ältere Frauen erinnern sich noch heute schmerzlich daran, wenn ein Verkauf in Notzeiten unumgänglich wurde, was etwa nach dem 2. Weltkrieg häufig vorkam. In dem Buch „Das Bernstein-Amulett“ kommt dies zum Ausdruck, als der Sohn der Mutter zum 65. Geburtstag ihr echtes Bernstein-Amulett zurückbringt, ein Hochzeitsgeschenk ihres Mannes, das in den Kriegswirren verloren gegangen war:
„'Das ist ja unglaublich! Das ist ja das echte. Wo zum Teufel kommt dies denn her?' …
Barbara fasste sich unwillkürlich an den Hals. Ihre Gedanken gingen zurück in die Vergangenheit, weiter und weiter, bis zu jenem Tag, als sie zum ersten
Mal die Kette getragen hatte, die echte, die nun ihr Sohn in Händen hielt, am schönsten Tag in ihrem Leben …“ (1)

Von besonderer Bedeutung war und ist Schmuck auch in Zeiten der Trauer. In den meisten frühen Kulturen gab es Schmuck als Grabbeilage, z.B. waren es im ägyptischen Totenkult vor allem Ringe, die man den Verstorbenen als Amulett oder Glücksbringer für das Reich der Unterwelt mitgab. Nach Auskunft eines Bestattungsinstituts kommt es auch heute manchmal vor, dass der Ehering mit in das Grab gegeben wird oder ein Schmuckstück, das die Verstorbene gern getragen hat. Auch Trauerschmuck bei den Hinterbliebenen gehörte in früheren Jahrhunderten und gehört manchmal auch heute zum Ausdruck der Trauer. Für diesen Schmuck wurde meist der Onyx, ein schwarzer Stein, gewählt; Frauen trugen ihn häufig zur Brosche verarbeitet, Männer als Ring. Vielfach üblich ist es aber auch, den Ehering des verstorbenen Partners bzw. der Partnerin zusätzlich zum eigenen zu tragen oder die beiden zu einem Witwerring oder Witwenring zusammenarbeiten zu lassen.


Schimmernde Botschaften

Eheringe sagen: „Wir gehören zusammen“ und sollen, indem sie die Zusammengehörigkeit sichtbar machen, auch vor „Übergriffen“ Dritter schützen. Eltern oder Paten schenken ihren Kindern zur Taufe eine Kette mit einem Symbol, oft einem kleinen Kreuz – es steht für ihren Wunsch, das Kind auf seinem Lebensweg zu beschützen. In dem Film „Die Flucht“ gibt Vicki, die kleine Tochter, ihrer Mutter in einer schwierigen Situation eine Kette mit den Worten: „Ich gebe dir einen Schutzengel!“ Umgekehrt kann Schmuck aber auch abgelegt werden, wenn das damit einmal gegebene Versprechen nicht mehr gilt – mein Schmuckstück ist dann nicht mehr „mein“, da alles, was damit verbunden war, verloren gegangen, zerbrochen ist. Auch davon können Frauen lange Geschichten erzählen …
Vor allem Schmucksteinen wird von vielen Menschen eine hohe symbolische Bedeutung zugesprochen. Der gestreifte, in fast allen Farben vorkommende Achat etwa, aus dem schon um 1000 v. Chr. im Alten Ägypten Ringe und Gemmen gefertigt wurden und der auch einer der zwölf Edelsteine im Brustschild des Hohenpriesters ist und dem Stamm Benjamin zugeordnet wird (vgl. Ex 28,17-20), gilt als Symbol für ein langes, reiches Leben und soll Mut und Freude, Kraft und Gesundheit schenken. Der blau oder grün schimmernde Chrysokoll steht für Liebe und Schönheit. Der klare Bergkristall – dessen Name vom Griechischen krystallos = Eis abgeleitet wurde, weil man ihn für Ewiggefrorenes hielt (2) – ist das Symbol der Reinheit.

„Perlen schenken
sie verwandeln
sich in Worte“

schreibt Rose Ausländer. (3) Worte, die zum Nachdenken anregen. Vielleicht sagt ja das passende Schmuckstück in einer besonderen Situation mehr als das gesprochene Wort? Umgekehrt kann auch ein passendes Wort, zur rechten Zeit gesprochen, eine Perle sein …


Für die Arbeit in der Gruppe

Ziel
Der Schwerpunkt dieser Arbeitseinheit liegt im Erzählen. Frauen haben viele unterschiedliche Erfahrungen mit Schmuck, daher wird die Einheit eine vielseitige Erinnerungsrunde, bei der sicher auch manch schmerzliche Erinnerung ins Gespräch kommt. Lassen Sie dafür viel Zeit und bilden Sie kleine Gesprächgruppen: Es erzählt sich dann leichter und das Gespräch wird intensiver.

Zeit
ca.2 Std.

Material
– Jede Frau hat ein besonderes Schmuckstück mitgebracht – dies wurde im vorherigen Treffen besprochen!
– ein schönes dunkles Tuch (oder zwei bis drei kleinere Tücher), auf dem der Schmuck ausgelegt wird
– kleine Halbedelsteine in verschiedenen Formen und Farben (einige mehr, als Frauen in der Gruppe sind; die Steine sind häufig preisgünstig im Gartenzentrum zu bekommen)
– eine große Kerze
– Texte für die Gruppengespräche (siehe S. 40 und 46) für jede Frau kopiert; für AbonnentInnen unter www.ahzw.de / Service zum Herunterladen vorbereitet
– Kassettenrecorder, meditative Musik

Ablauf

Vorbereitung des Raumes:
Auf einem großen Tisch in der Mitte sind das Tuch oder die Tücher drapiert; etwas jahreszeitlicher Blumenschmuck schmückt Tisch für die Frauen. Jede Frau legt vor dem gemeinsamen Beginn ihr mitgebrachtes Schmuckstück auf das Tuch.

Einführung:
Die Leiterin liest die Legende: „Wie die Perle geboren wurde“ vor (siehe S. 37) und leitet dann etwa so ein: Es geht also um Schmuck. Wie die kleine Legende zeigt, waren Perlen dabei schon immer etwas ganz Besonderes. Eine Perlenkette, ein Diamantring, ein goldenes Armband – Schmuck zu ¬ verschenken oder geschenkt zu bekommen, hat für uns eine Bedeutung, die oft weit über den materiellen Wert hinausgeht. (Evtl. einige Gedanken zu den verschiedenen Bedeutungen von Schmuck aus dem Einführungstext anfügen; insgesamt ca.10 Min.)

Mein Schmuckstück:
– Die Frauen schauen sich nun die mitgebrachten Schmuckstücke an. Jede stellt ihr Schmuckstück kurz vor, z.B.: „Diese Kette ist ein Erbstück von meiner Großtante.“ Dabei ist auch etwas Zeit zum Fragen und Erzählen. (ca. 20 Min.)
– Die beiden Texte „Kreuze und Sternzeichen“ und „Bernsteinamulett“ werden vorgelesen. Es bilden sich kleine Gesprächsgruppen (5–7 Frauen). Die Frauen nehmen ihr mitgebrachtes Schmuckstück mit und legen es in der Gruppe wieder auf ein Tuch in der Mitte. Die Texte regen an, Erinnerungen auszutauschen; kleine Impulse können den Einstieg ins Gespräch erleichtern: Mein erstes Schmuckstück … / Dies Schmuck¬ stück bedeutet für mich … / Wann oder warum trage ich dieses Schmuck¬stück besonders gern? (ca. 30 Min.)
– Ein weiterer Gesprächsschwerpunkt könnte sein: Wenn ich heute Schmuck an meine Tochter / meinen Sohn / meinen Enkel / meine Enkelin / meine Freundin / meine Nichte / meinen Neffen verschenke: Was beachte ich? Und was wäre mir wichtig, wenn ich ein Schmuckstück vererbe? (ca.30 Min.)

Abschluss:
Es wird wieder ein großer Kreis gebildet. Auf dem Tuch in der Mitte steht jetzt eine brennende Kerze und liegt eine ¬ Blume; in einer Ecke am Rand des Tuches liegen die Halbedelsteine. Jede Frau sucht sich einen Stein aus, der durch Größe, Form, Farbe eine Erinnerung weckt oder der sie in ihrer jetzigen Situation besonders anspricht. Bei leiser Musik haben die Frauen nun Zeit, den Stein anzuschauen, zu fühlen, Gedanken spielen zu lassen (ca.5 Min). Dann legen die Frauen nacheinander – ohne Worte oder mit einem Gedanken, einem Wunsch – den Stein an die Kerze.

Segen:
Gott segne und behüte uns:
dass wir mit unseren Erinnerungen leben können.
Gott segne die Menschen,
die mit diesen Erinnerungen
verbunden sind.
Gott segne uns und bleibe bei uns,
wenn wir hinausgehen in den Abend,
in die Ruhe der Nacht.
Amen


Waltraud Liekefett, Jg. 1940, ist Diplompädagogin. Sie war Pädagogische Mitarbeiterin im Landesverband Braunschweig der Ev. Frauenhilfe und über viele Jahre Mitglied der Arbeitsgruppe ahzw.

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