Alle Ausgaben / 2010 Material von August Hackemann

Die Biene

Von August Hackemann

Tagelang hatte es geregnet. Nun scheint die Sonne wieder. Ich mache am offenen Fenster meine Schularbeiten, und nebenan sitzt Vater am Schreibtisch. Plötzlich höre ich, wie Vater zu mir herüberkommt. Er hat ein Blatt Papier in der Hand. Er hält es vorsichtig, wie etwas Kostbares. Als er näherkommt, sehe ich, dass auf dem Papier eine Biene liegt, die nicht mehr fliegen kann.

„Schau doch“, sagt Vater, „ist die wohl krank, oder hat sie vielleicht bloß Hunger? Ich fand sie gerade auf meinem Schreibtisch. Du könntest ihr ein Tröpfchen Honig geben.“
Er legt das Blatt mit der Biene auf meinen Tisch, und ich besorge den Honig. Das Honigtröpfchen fällt auf das Papier, und schon rappelt sich das Tierchen auf. Ein Zittern durchläuft den kleinen Körper, und langsam schiebt die Biene sich auf das Honigtröpfchen zu. Nun hat sie es erreicht und beginnt zu saugen. Die Flügel fangen an zu zittern und zu surren. Man kann sehen, wie das kleine Geschöpf sich erholt. Hunger hat es gehabt, sonst nichts. Es hat nach dem langen Regen keine Blüte mehr gefunden, hat sich zwischen den hohen Häusern verflogen und ist dann erschöpft auf Vaters Schreibtisch gelandet, glücklicherweise auf dem richtigen Schreibtisch.

Da – die Biene hat sich völlig erholt; sie fliegt auf und summt zum Fenster hinaus ins Freie.

aus: Der Sommergarten

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