Ausgabe 2 / 2013 Frauen in Bewegung von Torsten Muscharski

Die Clinic-Clowns in der Medizinischen Hochschule Hannover

Von Torsten Muscharski

Reinhard Kabus-Duprée ist schon 75 Jahre alt und seit 1999 als Clown „Bruno“ in der Medizinischen Hochschule Hannover unterwegs. Eine Herausforderung, aber auch eine große Bereicherung seines Lebens.

Endlose Flure im Bettenhaus, überall Geruch von Desinfektionsmitteln. Ärzte und Schwestern eilen vorbei. Bedrückte, oft hoffnungslose Gesichter. Die Medizinische Hochschule Hannover, kurz MHH, ist nicht gerade das Krankenhaus, das man aufsucht, wenn der Fuß verstaucht ist. Sie ist ein medizinisches Hochleistungszentrum, unter anderem das größte Transplantationszentrum Deutschlands, im Bereich der Lungentransplantationen sogar das größte in Europa und weltweit eins der bedeutendsten. So gelang Prof. Axel Haverich, Herz-Thorax-Chirurg, und seinem Team bei einem zwölfjährigen Jungen im April 2012 die erste sogenannte Lebendlungenspende in Deutschland.

Hier also arbeiten die Clinic-Clowns. Auf der Station für transplantierte Kinder, aber auch auf den anderen Stationen der Kinderklinik in der MHH sowie in neun weiteren Kliniken in Niedersachsen sind die Clowns-Besuche regelmäßiger Bestandteil des Tagesablaufs. Für die betroffenen Kinder, aber auch für die Eltern, das Pflegepersonal oder die Ärztinnen und Ärzte sind die Besuche der Clinic-Clowns auf den Stationen mittlerweile Alltag – und oftmals wichtig, um die Emotionen und Gedanken der kleinen und auch der schon größeren PatientInnen zu verstehen.

Clowns-Arbeit einmal anders

Clinic-Clowns haben nicht allzu viel mit den bunten, lustigen, immer gut gelaunten Clowns aus dem Zirkus zu tun. Dennoch sind einige der Elemente in ihrer Arbeit vergleichbar. Bunt gekleidet klopfen sie an die Zimmertür und stolpern herein. Dann versuchen sie erst einmal die Situation einzuschätzen: Wer ist gerade da? Welche Stimmung herrscht im Zimmer, wird gelacht oder sind alle auf Distanz? Dabei sind sie eben, wie Clowns so sind. Unter der roten Nase hinweg werden Seifenblasen in Richtung der Kinder gepustet – Zauberpuste! Dann die vorsichtige Frage: „Darf ich hereinkommen?“ Durch Seifenblasen, Luftballontiere und ganz oft Einsatz von Musik, sei es mit den eigenen Instrumenten oder nur Gesang, werden die Kinder auf andere Gedanken gebracht. Oft lachen sie dann das erste Mal seit -Tagen wieder und geben im Gespräch mit dem Clown auch ihr Sorgen und Nöte preis: spielerisch, und dennoch manchmal hochemotional.

In den Kliniken treffen die Clowns auf unterschiedliche Krankheitsbilder. Dabei wissen sie, dass der Umgang mit einer lebensbedrohlichen Krankheit nicht nur eine immense körperliche Belastung ist, sondern dass sich auch die Psyche in einer schweren Krise befindet. Trotz guter medizinischer Versorgung – schwer kranke Kinder sind, meist mehr noch als Erwachsene, Ängsten ausgeliefert. Da bleibt das „Kindsein“ schon einmal auf der Strecke.

Monika geht es schlecht

Monika ist sechs Jahre alt, monatelang geht es ihr nach einer Lebertransplantation nun schon schlechter. Sie isst nicht mehr, wird immer dünner und schwächer. Jedes Mal aber, wenn Bruno auftaucht, lebt sie auf. Die beiden zaubern gemeinsam und denken sich Geschichten aus. Nur essen mag Monika trotzdem nicht – bis Bruno eines Tages ein kleiner Hund zuläuft. Den nimmt er mit zu Monika. Der kleine Stofffreund mag nicht mehr fressen, erklärt Bruno. Ob Monika wohl eine Idee hätte, was man da machen könnte? Monika überlegt kurz, dann greift sie zur Gabel und zeigt dem Hund, wie man Nudeln mit Soße isst. Und zwar bis der Teller leer ist. Der Hund ist bei Monika geblieben, und hat gelernt, wieder richtig zu essen. Und Monika geht inzwischen in die Schule und lernt lesen. Manchmal nimmt sie auch heimlich ihren Hund mit, er soll ja schließlich auch lesen lernen.

Nicht immer geht es gut aus

Auch Michelle hat lange Zeit in der MHH verbracht. Nicht an einem Stück, aber immer wieder mal. Michelle ist 15 Jahre alt und hat, nach einer längeren Wartezeit, eine Lungentransplantation hinter sich. Jetzt erwartet sie gerade die zweite Transplantation, da die erste abgestoßen wurde. Michelle und Bruno kennen sich schon die ganze Zeit. Zuerst tastet Bruno sich wie immer an. Ein Stolpern, ein „Hallo“, und er darf reinkommen. Spielerisch versucht er herauszufinden, wo die Interessen von Michelle liegen.

Klappt das gleich beim ersten Besuch? „Nein“, sagt Reinhard Kabus-Duprée alias Clown Bruno. „So schnell funktioniert das meistens nicht. Aber man darf sich nicht gleich nach dem ersten Versuch geschlagen geben. Da wir ja wöchentlich kommen, haben wir gerade auf der Transplantationsstation etwas mehr Zeit, eine engere Beziehung zu den Kindern und Jugendlichen aufzubauen.“ So war das auch bei Michelle. Nach und nach erzählte sie bei seinen Besuchen über sich und ihre Familie. Michelle kommt nicht aus Hannover, vier Geschwister hat sie noch und eine Katze. Das Eis bricht vollständig, als Michelle erzählt, dass sie gern fliegen möchte. Ihr Vater war Falschschirmspringer, und sie möchte das auch erleben. Bruno erzählt von seinen eigenen Erfahrungen beim Segelfliegen. Eine Basis, auf der nach und nach eine gute Beziehung wächst. Der Clown trifft natürlich auch die Mutter regelmäßig, auch für sie ist die Belastung groß.
Als es ihr besser geht, macht Bruno mit Michelle einen Ausflug in den Tiergarten – und hält auch nach den Klinikaufenthalten telefonisch Kontakt zu ihr. Schließlich kommt sie ja auch immer wieder in die Klinik.

Michelle denkt nicht ans Sterben, sondern ans Leben. Sie möchte noch so viel erleben, zum Beispiel das Fliegen. Wo das Organ, das sie transplantiert bekommt, herkommt, die Frage stellt sich ihr nicht direkt. „Überhaupt“, berichtet Reinhard Kabus-Duprée, „wird dieses Thema ganz selten angesprochen. In dieser Lage steht doch meistens das Wohl des eigenen Kindes im Vordergrund. Und die meisten sind eher mit der schwierigen Situation in der eigenen Familie beschäftigt.“

Michelle gewinnt den Kampf leider nicht. Sie stirbt mit 18 Jahren, nach zwei Transplantationen und Reha-Maßnahmen, ohne das Gefühl beim Fliegen kennengelernt zu haben.

Manchmal verwischen Grenzen

Das Beispiel der Michelle zeigt, dass, je nach Situation, die Grenzen zwischen der Arbeit als Clinic-Clown und dem Leben der kleinen oder größeren Patientinnen und Patienten verschwimmen können. Nicht immer lässt sich die Distanz, die eigentlich als Selbstschutz gebraucht wird, aufrecht erhalten. So kann es schon einmal sein, dass man als Clinic-Clown zur nächsten Geburtstagsparty eingeladen wird oder telefonisch und schriftlich in Kontakt bleibt.

Die Meinungen dazu sind auch unter den Clinic-Clowns unterschiedlich. Natürlich ist die professionelle Distanz notwendig, um nicht alles zu nah an sich herankommen zu lassen. Aber immer klappt das eben nicht. Und wenn es gut ausgeht, sind es natürlich auch schöne Erlebnisse mit den Kindern und Jugendlichen.

Nicht weniger oft gibt es intensive Gespräche und Kontakte mit den Eltern der Kinder. Da wird dann die gesamte Situation thematisiert, auch die Gefühlslage der Eltern selbst, die Schwierigkeiten, mit denen sie oder die Kinder zu kämpfen haben, die Befindlichkeiten – oder auch einfach nur das Lachen in den Kindergesichtern, wenn der Clown kommt.

Wichtig und hilfreich für die Arbeit der Clowns sind vor allem die Kontakte zum Pflegepersonal und zur Ärzteschaft. Je nach deren Hinweisen gestalten sich die Tage auf der Station ganz unterschiedlich. „Schau doch mal, ob du in Zimmer 5 etwas bewirken kannst.“ Der Hinweis der Schwestern oder Pfleger ist Warnung und Ansporn zugleich.

Berufswunsch Clinic-Clown?

Grundsätzlich kann sich jede und jeder als Clinic-ClownIn engagieren. Ob jung, ob alt, ob Frau oder Mann – all das spielt keine Rolle. Aber die Aufgaben sind nicht so einfach, wie es das lustige Clown-Dasein vielleicht vermuten ließe. Alle eingesetzten Clowns verfügen deshalb über eine fundierte Clowns-Ausbildung sowie über eine Zusatzausbildung als Clinic-Clown. Sie wissen also, was auf sie zukommt – und doch ist es nicht immer gut zu verkraften, einen lieb gewonnenen Patienten beim nächsten Besuch nicht mehr wiederzusehen, weil er verstorben ist. Es ist schwer mitzuerleben, wie eine kleine Patientin kämpft und am Ende doch verliert. Dabei hilft es den Clowns, dass solche Momente über regelmäßige moderierte Clowns-Treffen oder unterstützt durch Supervision aufgearbeitet werden können.

Über die schweren Seiten des „Jobs“ soll aber auch nicht vergessen werden, dass die Motivation des Clown-Seins hauptsächlich aus den schönen Momenten kommt, die zum Glück nicht eben selten sind. Wenn die positiven Rückmeldungen der Kinder oder Eltern – manchmal auch noch lange nach den Clowns-Besuchen in den Kliniken – kommen, entschädigt das für die schweren Momente und gibt Kraft und Mut für den nächsten Besuch. Clinic-Clowns erleben viel Spannendes bei ihrer Arbeit, freuen sich, wenn sie einen Moment des „Kinderglücks“ schenken können oder spüren dürfen, wie Lebenskraft und Lebensfreude bei den Patienten und Patientinnen zurück kommen.

Der Clown ist ein Anstifter – zu Spaß, Kommunikation und Leichtigkeit. Und wenn er dann das Krankenzimmer verlässt, reden und spielen die Kinder und Erwachsenen weiter: „Nie hätte ich gedacht, dass die ganze Welt in einen Koffer passt. Aber in jedem Krankenzimmer beginnt eine neue Reise in eine spannende Welt voller Abenteuer und Magie. Das ist das Rezept gegen Langeweile, Angst, Traurigkeit und Heimweh, mit dem kleine Farbtupfer in den Krankenhausalltag gezaubert werden.“

In unserem Gesundheitssystem sind Clinic-Clowns nicht vorgesehen – die Arbeit wird ausschließlich über Spenden finanziert. Die machen es möglich, dass die kleinen Patientinnen und Patienten und ihre Eltern und Geschwister dem tristen Klinikalltag hier und da kurz entrinnen können. Längst sind die Clinic-Clowns aus dem Klinikalltag der MHH und vieler anderer Kliniken nicht mehr weg zu denken. Sie schaffen Vertrauen durch ihre Direktheit, ihr emotionales und oftmals unkonventionelles Verhalten, durch ihr Einfühlungsvermögen. All das, was die Kranken nicht wagen sich einzugestehen oder gar auszusprechen, das sagt der Clown. Er macht damit Mut und schafft einen Gegenpol zur helfenden, aber oft als bedrohlich empfundenen medizinischen Technik. Und nicht zuletzt dient er der Genesung. Denn das stimmt allemal: Lachen macht gesund!

Torsten Muscharski, 41 Jahre und verheiratet, ist Personaldirektor eines international agierenden Konzerns und ehrenamtlich stellvertretender Vorsitzender des Vereinsvorstandes Clinic-Clowns Hannover e.V. Die Arbeit der Clowns fasziniert ihn und mit Hochachtung den Clowns gegenüber berichtet er im Rahmen der Vorstandstätigkeit bei vielen Gelegenheiten über deren anspruchsvolle Arbeit.

Mehr Informationen unter: www.clinic-clowns-hannover.de

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