Alle Ausgaben / 2013 Andacht von Cathrin Szameit

Die Eine freue sich an ihren Geschöpfen

Andacht zu Psalm 104

Von Cathrin Szameit


Für Menschen, die auf dem Land leben, ist die Begegnung mit Tieren oft noch alltäglich, in der Stadt hingegen ist sie oft nur sehr eingeschränkt möglich. Um auch diesen Zugang zum Text zu ermöglichen, knüpfe ich an ein Medium an, das vielen Menschen heutzutage das Fenster zu einem Blick in die Tierwelt öffnet: Dokumentarfilme über das Leben der Tiere. Ich lade die ZuhörerInnen zu einer Traumreise durch die Tierwelt des Psalms 104 ein.

Der entsprechende Abschnitt kann mit meditativer Musik unterlegt werden. Die ZuhörerInnen sind eingeladen, dabei die Augen zu schließen, um ihren inneren Bildern Raum zu geben. Es ist auch vorstellbar, an zentraler Stelle Bilder mit Landschaftsmotiven wie Wald/Wüste/Wiese/Berglandschaft als Assoziationshilfe auszulegen / aufzuhängen (Wand, Kreismitte). Wenn möglich, werden (in der Anzahl der TN) kleine, zum Thema passende Symbole dazu gelegt (Vogelfedern, Schneckenhäuser, Muscheln, Steine …), die die TN am Ende als Erinnerung mitnehmen können.

Die Bibeltexte sind zitiert nach der Übersetzung der „Bibel in gerechter Sprache“. In Anlehnung daran wird der Gottesname hier mit weiblichen, da mit männlichen Begriffen umschrieben.

Liedvorschläge:
EG 503 Geh aus, mein Herz
EG 504 Himmel, Erde
EG 515 Laudato si


Ablauf:
Sehen Sie auch so gerne Tierfilme? Dann sind Sie in guter Gesellschaft: Tierfilme gehören mit zu den großen „Abräumern“ im Filmgeschäft. Gut gemachte Dokumentationen über das Leben der Tiere garantieren volle Kinosäle und ziehen auch die Menschen vor dem Fernseher in ihren Bann. Als Bernhard Grzimek und Heinz Sielmann Mitte der 1950er Jahre das damals noch relativ neue Medium Fernsehen nutzten, um den Menschen einen Blick auf das Leben der Tiere zu eröffnen, hatten sie ein Fenster aufgestoßen in eine Welt, die vielen fremd war.

Der Blick auf die Tiere dieser Erde und ihre Lebenswelt, den die Filme ermöglichten, war neu. dahin kannten die meisten Menschen Tiere in erster Linie als Nutztiere. Es war noch nicht lange her, dass die Bauern das Feld mit Hilfe von Pferd und Ochse oder Rind pflügten. Das Schwein, die Kuh, die Ziege im Stall dienten der Versorgung mit Milch und Fleisch. Katzen waren zum Mäusefangen da, Hunde bewachten Haus und Hof. Tiere in Wald und Feld kannte man zwar oft besser als heute, aber wer hatte schon Zeit und Muße, ihre Lebensgewohnheiten zu beobachten?

Die großen Säugetiere des afrikanischen Kontinentes hingegen waren exotisch – man kannte sie vom Zirkus oder aus den Zoos, die seit Mitte des 18. Jahrhunderts in den großen Städten entstanden. Ihnen haftete etwas Rätselhaftes, Wildes an. Man betrachtete sie aus sicherem Abstand und befriedigte so die Sensationslust.

Im Fernsehen gab es all diese Tiere nun auf einmal in freier Wildbahn zu sehen. Eine neue Welt tat sich auf: die Lebenswelt der Tiere mit ihren ganz eigenen Gesetzen und Lebensbedingungen kam in den Blick. Tiere waren hier nicht Nutztiere oder Sensation – die Tierfilmer stellten sie uns als Mit-Geschöpfe vor, Lebewesen mit einer eigenen Würde, einem eigenen Lebensrecht. Für viele Menschen war diese Sichtweise ganz neu.

Eigentlich erstaunlich – denn eigentlich ist dieser Blickwinkel, den uns die Tierfilmer eröffnen, uralt. Wir müssen nur einen Blick in die Bibel werfen. Dort, im Psalm 104, wird ein großer Lobpreis auf die Schöpfung angestimmt – ein Lobpreis Gottes, der Mensch und Tier, Pflanze und Landschaft gleichermaßen als Teil der Schöpfung preist.

Der Psalmist jubelt und dankt Gott dafür, wie wunderbar die Ewige, der Lebendige alles gemacht hat. Er entfaltet das „Sieh hin, es ist sehr gut!“ der Schöpfungsgeschichte in farbenfrohen und anrührenden Bildern. Hören wir Ausschnitte aus Psalm 104:

1Die Eine, meine Gottheit – so groß bist du!
Majestät und Glanz kleiden dich.
5Gegründet hat sie die Erde auf ihren Fundamenten,
dass sie nicht wanke – immer und alle Zeit.
10Quellen schickst du in ihre Täler. Zwischen den Bergen gehen sie dahin,
11tränken alle Lebewesen der Wildnis. Wildesel löschen ihren Durst.
12Über ihnen wohnen die Vögel des Himmels,
aus dem Gebüsch lassen sie ihre Stimmen hören.
14Du lässt Gras wachsen für das Vieh
und Pflanzen für die Arbeit der Menschen,
um Brot aus der Erde hervorzubringen,
15dazu Wein – er erfreut das menschliche Herz –,
Öl, um die Gesichter glänzen zu lassen,
und Brot, um das menschliche Herz zu stärken.
16Satt werden die Bäume der Einen,
die Zedern des Libanon, die sie gepflanzt hat,
17wo Vögel nisten, der Storch in den Wipfeln sein Haus hat.
18Die hohen Berge sind für die Steinböcke,
die Felsen Zuflucht für die Klippdachse.
19Den Mond hat sie für die Festzeiten gemacht,
und die Sonne, die selbst den Ort ihres Untergangs kennt.
20Du bestimmst, dass Finsternis sei, und es wird Nacht.
Dann regen sich alle Lebewesen des Waldes.
21Die Junglöwen brüllen nach Beute,
um von Gott ihre Nahrung zu fordern.
22Geht die Sonne auf, ziehen sie sich
zurück in ihre Wohnungen und legen sich nieder.
23Und heraus geht der Mensch, an sein Werk,
an seine Arbeit bis zum Abend.
24Wie viele sind deine Werke, du, die Eine!
Alles hast du in Weisheit gemacht.
Voll ist die Erde von deinen Geschöpfen.
25Da ist das Meer, groß und weit nach allen Seiten,
da tummeln sich ohne Zahl kleine Lebewesen mit großen.
26Dort: Schiffe fahren herum,
der Leviatan, den hast du geformt, mit ihm zu spielen.
27Alle warten auf dich, dass du ihnen Nahrung gibst zu ihrer Zeit.
28Du gibst ihnen – sie sammeln ein.
Du öffnest deine Hand – sie werden satt an Gutem.
29Du verbirgst dein Angesicht – sie erschrecken.
Du nimmst ihre Geistkraft zurück – sie sterben,
werden wieder zu Staub.
30Du schickst deine Geistkraft – sie werden geschaffen,
neu machst du das Angesicht des Erdbodens.
31Die strahlende Macht der Einen für immer!
Die Eine freue sich an ihren Geschöpfen.
33Singen will ich der Einen mit meinem Leben.

Man kann sich der Schönheit und Lebendigkeit dieser Bilder kaum entziehen. Wenn man sie hört oder liest, entfaltet sich vor dem inneren Auge ein wunderbares Schöpfungspanorama. Wie ein Film läuft es im Kopf ab. Man könnte Psalm 104 deshalb ohne weiteres als eines der ältesten Drehbücher für einen farbenprächtigen Schöpfungsfilm bezeichnen. Er ist so etwas wie ein Vorläufer der großen Tierdokumentationen unserer Zeit.

Folgen wir einmal dem Blick und den Bildern des Psalms. Wenn Sie mögen, schließen Sie die Augen und lassen Sie die Bilder, die die Worte wachrufen, in ihrem Inneren aufscheinen. Machen wir einen Ausflug – und sehen wir, wie gut alles geordnet ist.

– hier kann leise, meditative Musik einsetzen; langsam lesen –

Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Er ordnete das Chaos. Wo bisher heilloses Durcheinander herrschte, da gab er jedem Ding seinen Platz. Und Gott erschuf die Lebewesen – Tier und Mensch. Mit seinem Atem rief er sie ins Leben. Und jedes Wesen hatte seinen Platz, seinen Lebensraum, an dem gut sein war.

So auch jetzt. – Stellen wir uns vor:

Ein neuer Tag beginnt. Sonnig und klar zieht der Morgen über den hohen Bergen des Gebirges auf. Die Sonne taucht die schroffen Felsen der Gipfel in warmes Licht. Kaum zu glauben, dass es dort oben Leben gibt. Aber zwischen den Felsen ist manches Tier zu Hause. Scheue Tiere. Auch für die wenigen Menschen, die sich dort hinauf begeben, kaum zu sehen. Es braucht Geduld, einen Blick auf sie zu erhaschen.

Aber sie sind da:
der stolze Steinbock, der noch die höchsten Felsen scheinbar mühelos erklimmen kann;
der Klippdachs, ein kleines, pelziges Tier, das hier Zuflucht findet vor seinen Feinden (s. Spr. 30,24.26);
der Wildesel, der genug frisches Quellwasser findet, um seinen Durst zu stillen.
Sie alle tummeln sich hier. Was uns so unwirtlich erscheint, ist ihnen Lebensraum – von Gott geschenkt.

Ein wenig tiefer überqueren wir die Baumgrenze. Hier nisten die Vögel. Laut lassen sie gerade in dieser frühen Morgenstunde ihre Stimmen erklingen. Wer genau hinhört, kann entdecken, dass jeder Vogel seine eigene Stimme hat, seine eigene Melodie trillert. So können sie sich verständigen. So singen sie einander Liebeslieder, warnen einander vor Gefahr. Sie haben ihre Sprache – wie wir. Ist uns das bewusst, wenn wir ihnen lauschen?

Steigen wir weiter hinab ins Tal. Der Tag geht auf Mittag zu. Grüne Wiesen breiten sich aus, auf denen das Vieh weidet. Kühe, Schafe, Pferde weiden das saftige grüne Gras ab, das Gott für sie wachsen lässt. Mehr brauchen sie nicht, um groß zu werden, um gute Milch zu bekommen, die ihren Nachwuchs gesund und stark macht.

Neben den Weiden gehen Menschen auf den Feldern ihrem Tagwerk nach. Auch für sie hat Gott gesorgt: Getreide wiegt sich im Wind, Brot soll einmal daraus werden – duftendes sättigendes Brot. Wissen wir noch, woher das Brot kommt? Danken wir Gott dafür? Im Wind wogendes Korn lädt uns dazu ein.

Verlassen wir jetzt die vertraute Gegend – die Welt ist groß. Machen wir uns auf den Weg zu anderen Kontinenten. Das weite Meer trennt uns von ihnen. An einem sonnigen Tag breitet sich die Wasseroberfläche still und blau vor uns aus. Aber unten in der Tiefe, da wimmelt es von Lebewesen. Tauchen wir hinein, tut sich eine Welt auf, vielfältig und bunt. Fische in den prächtigsten Farben schwimmen umher. Manche können sogar leuchten. Wie kleine Lämpchen erhellen sie das Dunkel der Tiefsee. Andere haben Flossen, die wie feinster Stoff im Wasser fächern. Einst, zu Beginn der Schöpfung, bedeckte das Wasser die ganze Erde. Aber Gott wies es an, nur noch die Meere zu füllen – die alles vernichtende Urflut wandelte Gott zum Meer und machte sie zum Lebensraum für die Tiere des Wassers. Nicht länger Bedrohung, sondern Spielraum, in dem die Schönheit dieser Lebewesen Raum hat, Ort, an dem Gottes Phantasie keine Grenzen zu kennen scheint. Selbst Leviatan, ein mythologisches Seeungeheuer, kann die Welt nicht mehr bedrohen – Gott hat ihn bezwungen – er spielt mit ihm, fröhliches Spiel im Reigen der tanzenden Fische.

Reisen wir weiter. Folgen wir dem Psalmisten in die afrikanische Steppe. Es ist Nacht geworden. Durch das Dunkel dringen unheimliche Laute. Im hohen Gras raschelt es. Junglöwen brüllen nach Beute – fordern ihre Nahrung von Gott. Wir ahnen: Wenn ein schwächeres Tier ihren Weg kreuzt, wird es im Dunkel der Nacht zum Kampf auf Leben und Tod kommen. Und der Löwe wird erst ruhen, wenn er seine Beute geschlagen hat. Bilder, die wir oft gar nicht so gut aushalten können: der Löwe, der die Gazelle schlägt; die Katze, die die Maus zu Tode spielt, bevor sie sie frisst; der Vogel, der den Regenwurm verspeist.

Aber auch das ist Teil von Gottes Schöpfung. Wir erkennen: Solange wir in dieser Welt leben, kommen wir nicht umhin, zu töten, um zu überleben. Von den Tieren aber können wir lernen, das mit Maß zu tun. Sie schlagen nur so viel Beute, wie sie brauchen, um satt zu werden und ihre Nachkommen groß zu ziehen. Es gibt keine Abfälle – von dem, was sie selber nicht verwerten, lebt ein anderes Tier. In der Wüste die Aasfresser, im Wald die Ameisen und die unzähligen Kleintiere, die dafür sorgen, dass auch der letzte Rest Beute zu gutem Humus wird. Wo wir oft nur Tod sehen, da wächst schon neues Leben.

So kann Gottes Schöpfung uns immer wieder zum Gleichnis des großen Versprechens werden, das Jesus uns gegeben hat: Wer stirbt, erwacht zum ewigen Leben. Auch der Tod kann die Schöpfung und ihre Geschöpfe nicht zerstören. Alles ist durchdrungen von Gottes Geist. „Neu machst du das Angesicht des Erdbodens“, heißt es in Psalm 104,30.

Selbst hier in der Steppe, wo uns so vieles fremd, unheimlich, bedrohlich ist, können wir staunen und einstimmen in den Jubel Gottes über die gute Schöpfung. Wir dürfen uns freuen an der Schönheit der großen mächtigen Tiere, die hier ihren Lebensraum haben.

Noch vieles gäbe es zu entdecken – aber kehren wir zurück. Vielleicht hat die kleine Reise, zu der Psalm 104 uns eingeladen hat, uns die Augen neu geöffnet:
für die Schönheit der Welt;
dafür, dass Gott alles herrlich gemacht hat, Mensch und Tier – einander
Mitgeschöpfe, lebendige Wesen – jedes mit seiner eigenen Würde;
Steinbock und Klippdachs,
Storch und Wildesel,
die Fische im Meer
und die Junglöwen in der Steppe.
Und auch Spinne und Floh,
Assel und Regenwurm
und alles, was da kreucht und fleucht.

Und wir können einstimmen in den Lobpreis:
Die Eine freue sich an ihren Geschöpfen.
Singen will ich der Einen mit meinem Leben. Amen.


Cathrin Szameit, geb. 1964, ist ev. Theologin und Pfarrerin in den Gemeinden Breitenbach und Martinhagen (Schauenburg). Angeregt durch das ländliche Umfeld hat sie ihre Freude an den Tieren in Haus und Hof entdeckt und widmet sich in ihrer Freizeit am liebsten ihren Katzen und ihrer kleinen Schafzucht.

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