Ausgabe 2 / 2012 Bibelarbeit von Ruth Poser

Die Eltern essen saure Trauben…

Gottes Wort angesichts von Krieg, Katastrophe und Schuld

Von Ruth Poser

Der Zweite Weltkrieg ist seit über 65 Jahren zu Ende – und ist doch nicht vorbei. Wer selbst ein „Kriegskind“ ist oder mit Menschen zu tun hat, die diesen Krieg erlebt haben, weiß, wie stark die Erinnerungen bis heute nachwirken. Nicht selten ist es so, dass die in jungen Jahren erlittenen Beschädigungen im höheren Alter oder zum Lebensende hin mit besonderer Heftigkeit neu aufbrechen.

Auch im Zentrum des Ezechielbuchs steht eine Kriegskatastrophe: die Belagerung, Eroberung und Zerstörung Jerusalems unter dem babylonischen Herrscher Nebukadnezar in den Jahren 589 bis 587 v. Chr. Die Erzählung weiß um die zerstörerische Wirkung dieses Ereignisses auf die Überlebenden und deren Nachkommen – und setzt dem in ihrem 18. Kapitel eine konstruktive, lebensförderliche Perspektive entgegen.

Traumata, wie sie Menschen in Reaktion auf Gewalterfahrungen im Krieg, auf sexuelle Gewalt, auf Folter oder Terror entwickeln, haben etwas ungeheuer Festlegendes. Sie bestimmen nicht nur die direkt Betroffenen immer wieder so, als geschähe die erlittene Gewalt je und je in deren Gegenwart. Auch auf die Menschen im Umfeld, LebenspartnerInnen, Kinder, Verwandte und FreundInnen, entfaltet das Trauma seine destruktiven Wirkungen. Erlebt ein Kollektiv, etwa die Bevölkerung einer Stadt oder eines Landes, eine traumatische Katastrophe, bleiben deren Folgen – wie Starre, Depression, Schuldgefühl oder Scham – oftmals über mehrere Generationen präsent.

Trauma-Literatur

Das Ezechielbuch erzählt von Ereignissen aus den Jahren 594 bis 572 v. Chr. Ezechiel ist bereits 597, als Jerusalem zum ersten Mal von den Babyloniern belagert wurde, zusammen mit insgesamt 10.000 Kriegsgefangenen nach Babylonien verschleppt worden (Ez 1, 1-3; vgl. 2 Kön 24). Inmitten der Deportierten wird er von Gott zum Propheten für das „Haus Israel“ bestimmt und soll ihm mitteilen, was Gott vorhat: Gott will das Ende über die „sündige“ Hauptstadt kommen lassen, ja, malt dieses Ende in immer gewalttätigeren (Sprach-) Bildern wieder und wieder aus (Ez 1,1-23,49). In dem Moment, in dem sich das angekündigte Schreckensszenario mit der erneuten Belagerung Jerusalems realisiert (Ez 24,1f; vgl. 2 Kön 25), weitet Ezechiel seine Unheilsbotschaft auf fremde Nationen aus (Ez 25-32). Erst als ihn die Nachricht von der endgültigen Zerstörung Jerusalems erreicht (Ez 33,21f), kommen die im Exil Lebenden wieder in den Blick. Der Ton wird heilvoller: Den Deportierten wird die Rückkehr ins Land Israel verheißen, wo sie in einem ewigen Bund mit Israels Gott in Frieden leben werden (Ez 34-48). Doch auch in diesem Buchteil brechen die grausigen Bilder von Krieg und Zerstörung noch mehrfach auf (vgl. Ez 35; 38-39).
Vieles am Ezechielbuch befremdet:

Der Prophet soll zu seinen Landsleuten reden – und wird doch von Gott stumm gemacht und festgebunden (Ez 3,25-27). In bizarren Zeichenhandlungen muss er Jerusalems Untergang am eigenen Leibe abbilden: 390 Tage lang soll er auf der linken Körperseite liegen (Ez 4,4-8), sich die Kopf- und Barthaare mit einem „scharfen Schwert“ scheren (Ez 5,1-4), eine Mauer durchbrechen und Exilsgepäck transportieren (Ez 12,1-16). Im Laufe der Auslegungsgeschichte hat man diese und weitere „Befremdlichkeiten“, etwa die ungeheure Gewaltfülle der Texte, immer wieder als Hinweis auf eine psychische Erkrankung Ezechiels gelesen. In den letzten Jahren wurde ihm mehrfach die Diagnose „Posttraumatische Belastungsstörung“ attestiert.

Die Rede von Trauma und Traumatisierung ist für das Verstehen des Ezechielbuchs sehr hilfreich. Wir wissen heute, dass Gewaltereignisse wie diejenigen, die im Hintergrund des Ezechielbuchs stehen, Belagerungskrieg und Zwangsumsiedlungen, bei einem Großteil der Überlebenden zu Trauma-Symptomen führen. Ezechiel und die Menschen, von denen das Ezechielbuch erzählt, vermutlich auch diejenigen, die es erzählen und für die es erzählt wird, sind Überlebende: Die vom Belagerungskrieg Betroffenen waren zunächst mit Hungersnot, Seuchen und der permanenten Angst vor dem Einbrechen der feindlichen Soldaten konfrontiert. Wenn es den Angreifern gelang, die Stadtmauer zu durchbrechen und in die Stadt einzudringen, erlebten sie das „Schlagen des Schwerts“, Kriegsgräuel wie Folter, Vergewaltigung, Plünderung und Brandschatzung am eigenen Leibe oder als AugenzeugInnen. Wer schließlich als Kriegsgefangene/r deportiert wurde, hatte einen mörderischen Gewaltmarsch über Hunderte von Kilometern zu bewältigen, erfuhr das Dahinsiechen und Sterben von Mitdeportierten, die Zerschlagung von Familien und war schließlich zu einem Leben in völliger Fremde gezwungen, in der Regel ohne Hoffnung auf Rückkehr. Dass dabei nicht nur die unmittelbar an den Kampfhandlungen Beteiligten, sondern alle BewohnerInnen, Frauen und Männer, alte Menschen und kleine Kinder, mit völlig überfordernder, traumatisierender Gewalt in Berührung kamen, macht der Ausschnitt eines assyrischen Reliefs, das die Eroberung der Stadt Lachisch im Jahr 701 v. Chr. darstellt, deutlich: Vor den Augen eines kriegsgefangenen Judäers und dessen beiden kleinen Söhnen machen sich assyrische Soldaten daran, zwei „Besiegten“ die Haut abzuziehen.

Als Erzählung einer traumatisierten Gemeinschaft von nach Babylonien verschleppten Kriegsgefangenen und deren Nachkommen hält das Ezechielbuch all diese Schreckenserfahrungen fest und macht sie erinnerbar. Gleichzeitig eröffnet es einen Raum für die Auseinandersetzung mit diesen Schreckenserfahrungen. Die Kriegskatastrophe soll besprechbar werden und wird besprechbar – angesichts Gottes und im Ringen mit Gott.

Trauma-Symptome

Traumatisierungen entstehen durch völlig überwältigende äußere Ereignisse. Die Betroffenen erleben sich als an Leib und Leben massiv bedroht, als total hilflos und schutzlos preisgegeben. Die Verarbeitungsmöglichkeiten, die sonst selbstverständlich zur Verfügung stehen, zum Beispiel Flucht- oder Kampfimpulse, greifen nicht mehr. Dies wirkt sich langfristig aus: Auf der einen Seite lässt die erlittene Gewalt den Opfern keine Ruhe mehr, drängt sich ihnen etwa in Form von Alpträumen immer wieder auf. Auf der anderen Seite versuchen sie mit aller verbliebenen Kraft, Angst, Schmerz und Ohnmacht abzuwehren und sich vor allem, was mit dem Gewaltereignis in Zusammenhang steht, zu schützen. Erstarrung, psychische Lähmung und Rückzug aus sozialen Bezügen sind die Folge. Das Vertrauen in die eigene Person, in andere Menschen und die Welt trägt nicht mehr. Traumatisierte wollen, ja müssen erzählen, um das Erlittene als Teil ihrer Lebensgeschichte begreifen zu lernen. Oft können sie es nicht, weil sie keine Sprache haben für das, was mit ihnen geschehen ist.

Viele traumatisierte Menschen ringen mit dem Thema Schuld. Angesichts
der Ermordung von Verwandten und FreundInnen fühlen sich manche sogar schuldig wegen des eigenen Überlebens. Manche nehmen – obwohl sie „objektiv“ keine Schuld trifft – alle Schuld auf sich, bezichtigen sich selbst an Stelle des Täters. Solche traumatische Schuldübernahme hängt oft damit zusammen, „dass es für das psychische Gleichgewicht leichter erträglich sein kann, schuld gewesen statt völlig ohnmächtig gewesen zu sein“.(1) Oft übersteigt traumatisches Schuldempfinden in seinem Ausmaß jede reale Verantwortung. Dennoch kann es für den Heilungsprozess wichtig sein, den Teil der Verantwortung anzuerkennen, der tatsächlich bei dem / der Traumatisierten lag. Dies gilt insbesondere dort, wo eine tatsächliche Verquickung von Täter- und Opfer-gewordensein festzustellen ist, wie etwa bei Kriegsveteranen.

Traumatisierungen wirken sich oft über mehrere Generationen hinweg aus. Forschungsarbeiten zeigen, dass Kinder von Shoa-Überlebenden deren Traumatisierungen in Träumen und Phantasien sowie in ihrem konkreten Erleben und Verhalten bearbeiteten. Solche „Trauma-Vererbung“ hängt damit zusammen, dass traumatisierte Eltern es aufgrund von Vertrauenserschütterung, Schutzlosigkeits- und Ohnmachtsempfindungen immer wieder schwer haben, einen
geschützten Raum für die Entwicklung ihrer Kinder bereitzustellen. Eigene Ängste, Schuld-, Scham- oder Rachegefühle und emotionale Erstarrung, die durch das Trauma ausgelöst wurden, führen dazu, dass sie sich manchmal nicht ausreichend in die Bedürfnisse ihrer Kinder einfühlen können. Unbewusst hoffen sie vielleicht darauf, dass das Kind wegnehmen möge, was das Leben der Eltern zerstört hat. Umgekehrt hat das Kind oftmals ein feines Gespür für das Unglück der Eltern und macht es sich – auch dies unbewusst – zur Lebensaufgabe, deren Verletzungen zu heilen, ein ermordetes Familienmitglied zu ersetzen oder die Familienehre durch besondere Leistungen wieder herzustellen. Und ist damit – natürlich – so heillos überfordert, so dass es selbst Trauma-Symptome zu entwickeln beginnt.(2)

Wider die Schicksalsgläubigkeit

Ez 18 gehört zu dem Teil des Ezechielbuchs, der die traumatische Kriegskatastrophe um Jerusalem wieder und wieder in grausigen Bildern vor Augen malt. Dennoch hat das Kapitel einen anderen Charakter als die umgebenden Texte. In ihm steht nicht die Deutung der Schreckensereignisse als Gottes Gericht im Vordergrund. Zentral sind vielmehr die Auswirkungen der traumatischen Geschehnisse über Generationen hinweg und die Frage, ob und wie es Eltern, Kindern und Kindeskindern möglich wird, aus der tödlichen Festlegung durch das Trauma „auszusteigen“.

Auftakt der langen Gottesrede ist ein Sprichwort, das zukünftig nicht mehr verwendet werden soll: „Die Eltern (Väter) essen saure Trauben, und den –         Kindern (Söhnen) werden die Zähne stumpf.“ Ein erfahrungsgesättigter Satz ist das, für Menschen damals wie heute evident: dass die Kinder das auszubaden haben, was die Elterngeneration anrichtet, dass die Nachfahren weitertragen müssen, was von den Vorfahren nicht abgetragen werden konnte an Schuld, Gescheitertem, Zerbrochenem (vgl. Klgl 5,7). Doch das Sprichwort von den sauren Trauben zielt nicht nur auf die Generationen übergreifenden Auswirkungen von Verfehlungen, die die Eltern begangen haben. Saure, das heißt noch unreife Trauben zu essen, ist kein Verbrechen.(3) Man kann auch übersetzen: „Die Eltern mussten Unverdauliches schlucken, und die Kinder können nicht mehr richtig fühlen.“ Das Sprichwort hat also eine weitere Perspektive: Es geht um das, was manche vielleicht Schicksal nennen mögen – das, was Menschen und ihre Geschichten „auf ewig“ festzulegen scheint. Im Falle des Ezechielbuchs sind dies die Wunden, die die Katastrophe von 587 geschlagen hat. Dies – und damit auch die Traumafolgen von Überlebensschuld und traumatischem Schuldempfinden – gilt es im weiteren Verlauf des Textes mitzuhören, obwohl und weil! sich dieser auf tatsächlich begangene Verfehlungen zu beschränken scheint.

Der in dem Sprichwort zum Tragen kommenden „Vererbungslehre“ stellt Gott eine andere Wirklichkeit entgegen. Zunächst (V5-18) erzählt Gott von einer Drei-Generationen-Folge: von einem Mann, der Gottes Weisungen zuverlässig bewahrt und aufgrund seines Einsatzes für ein gerechtes Miteinander „am Leben bleibt“ (V5-9); von dessen Sohn, der die Bestimmungen Gottes in jeder Hinsicht missachtet und aufgrund seiner Ungerechtigkeit „bestimmt getötet wird“ (V10-13); und schließlich von dem Sohn des Sohnes, der wie sein Großvater Gerechtigkeit tut und der deshalb wie dieser, anders aber als sein Vater, „am Leben bleibt“ (V14-18).

Menschen müssen sich also nicht durch das bestimmen lassen, was durch ihre Eltern auf sie voraus- oder durch ihre Kinder auf sie zurückfällt. Jede Generation – und jeder und jede Einzelne innerhalb einer Generation – kann und darf einen neuen Anfang machen. Das Lebensmittel, das diesen Neuanfang ermöglicht, sind Gottes Weisungen – hier in erster Linie solche, die auf ein solidarisches Miteinander, auf Beziehungsgestaltung zielen. Zusammenfassend heißt es in V20 (vgl. Dtn 24,16; Jer 31,29f): „Die nachfolgende Generation wird nicht für die Schuld der Vorfahren verantwortlich gemacht, die Vorfahren werden nicht für die Schuld der nachfolgenden Generation verantwortlich gemacht. Eine Person, die gerecht handelt, erfährt ihre Gerechtigkeit, einer Person, die ungerecht handelt, widerfährt ihre Ungerechtigkeit.“ Obwohl es zunächst so klingt, meinen „Sterben-Müssen“ und „Am-Leben-Bleiben“ hier keine Rechtsurteile, sondern sind metaphorisch zu verstehen: Wer ungerecht handelt, dient dem Tod, begibt sich in die Sphäre des Todes, der Starre, des Stillstands; wer gerecht handelt, dient dem Leben, begibt sich in die Sphäre des Lebens, des Aufbruchs, der Veränderung. Denkbar ist, dass es sich hier um liturgische Textelemente handelt, die im Tempelgottesdienst vorkamen und die Teilnehmenden für den „Gottesdienst im Alltag der Welt“ stärken sollten.(4)

Dass es Ez 18 nicht um eine formaljuristische Bestrafung bzw. Belohnung zu tun ist, zeigt sich auch in der Fortsetzung der Gottesrede, die nun die einzelne Lebensgeschichte in den Blick nimmt. Auch im Leben jedes und jeder Einzelnen, so wird Gott in V21-24 und V25-28 nicht müde zu betonen, ist jederzeit ein neuer Anfang möglich – unabhängig davon, was zuvor gewesen ist. Ein Mensch kann sich vom Unrechttun ab- und dem Rechttun zuwenden und betritt damit die Sphäre des Lebens – und umgekehrt. Die Möglichkeit der Umkehr in die eine oder die andere Richtung bleibt allezeit bestehen.

Für die Angeredeten scheinen Gottes Worte sinnlos zu sein. Sie halten das göttliche Vorgehen für „unberechenbar“, „zufällig“, „prinzipienlos“, oder „unverlässlich“ (V25.29). Hier wird deutlich, wie sehr sich die im Exil Lebenden durch die traumatische Katastrophe festgelegt fühlen – die Hoffnung darauf, dass Verkrustungen sich lösen, Lebendigkeit sich neu entfalten könnte, haben sie längst verloren. Und dass es die lebendig machende Gottheit Israels ist, die für solche Aufbrüche steht, das vermögen sie nicht mehr zu glauben.
Welches Prinzip seinem Weg zugrunde liegt, versucht Gott am Schluss seiner Rede mit größter Vehemenz deutlich zu machen: es ist die unbedingte Hinwendung zum Leben, für die die Lebendige einsteht und zu der sie das „Haus Israel“ eindringlich auffordert: „Nein, mir liegt nichts am Tod derer, die dem Tod verfallen sind! […] Kehrt um und lebt!“ (V32) Gott will die Angesprochenen in die Sphäre des Lebens zurückzuholen, indem er jedem und jeder Einzelnen gerechtes – lebensförderliches – Handeln nicht in erster Linie vorschreibt, sondern zutraut. Aus einer Situation völliger Ohnmacht ins Handeln zu kommen, den Todeserfahrungen zum Trotz sich dem Leben zuzuwenden, dazu will Ez 18 befähigen. Traumatherapeutisch betrachtet, würde man dies als (re-) empowerment bezeichnen. Gerechtes Handeln vermag die so Handelnden ins Leben (zurück) zu bringen. Allen, die diesem Weg folgen, wird Befreiung zugesagt – Befreiung von allem, was bindet und lähmt und in der Sphäre des Todes hält.

Zu dieser Zu-Mutung Gottes passt auch, dass hier als Aufforderung formuliert ist, was in Ez 11,19 und 36,26f als Verheißung ergeht: „Schafft euch ein neues Herz und neue Geistkraft“, heißt es in Ez 18,31. Wer sich von Gottes Geistkraft berühren lässt, den Geist ergreift, der die vom Krieg Zerschlagenen ins Leben zurückzuholen vermag (vgl. Ez 37,1-14), wird befähigt, den Weg des Lebens/der Gerechtigkeit zu gehen und menschliches Miteinander zu gestalten. Und wer sich umgekehrt diesem Weg des gerechten Miteinanders öffnet, kommt mit dem lebendig machenden Gottesatem in Berührung. Was es möglich macht, aus dem auszusteigen, was die eigene Lebensgeschichte schicksalhaft zu bestimmen scheint, steht dabei längst fest (Ez 18,4): „Jedes Menschenleben gehört mir, das Leben der Eltern wie das Leben der Kinder“, sagt Gott dort. Das Leben der Kinder gehört nicht den Eltern, das Leben der Eltern gehört nicht den Kindern. Jedes Leben verdankt sich JHWH, der Gottheit, die Leben in Fülle will und gibt. Auf diese Fülle kann und darf ich zurückkommen, jederzeit – gerade dort, wo mich ein nationales, familiäres oder persönliches „Schicksal“ auf ewig zu fesseln scheint.

Für die Arbeit in der Gruppe

Ziel:
Die TN erkennen, wie lange (Kriegs-) Traumatisierungen nachwirken können – innerhalb einer Lebensgeschichte, innerfamiliär und gesellschaftlich. Sie erfahren, dass das Ezechielbuch solches Erleben besprechbar macht und Gegenerfahrungen eröffnet. Ez 18 zeichnet JHWH als eine Gottheit, die von schicksalhaften Festlegungen befreien und die Angesprochenen neu ins Leben aufbrechen lässt.

Material:
Gesangbücher oder Kopien der Lieder; Karten oder Plakat mit dem Sprichwort aus Ez 18,2; Bibeln oder Kopien des Bibeltextes; evtl. Kopien des Relief-Ausschnitts (s.o.)
Kopiervorlagen für AbonnentInnen unter www.ahzw-online.de / Service zum Herunterladen vorbereitet

Ablauf:

– Lied: Gottes Wort ist wie Licht in der Nacht

– Jeweils zwei TN erhalten eine Sprichwort-Karte (oder das Plakat mit dem Sprichwort wird in die Mitte gelegt). Die TN tauschen sich zu zweit (oder in der Gruppe) über das Sprichwort aus.
Mögliche Fragen: Was bedeutet die Rede vom Essen saurer Trauben, was diejenige vom Stumpfwerden der Zähne? Wo beobachte ich schicksalhafte Festlegungen? Wo fühle ich mich selbst schicksalhaft festgelegt?

– Die TN lesen Ez 18 und tauschen sich über erste Texteindrücke aus.

– Die TN werden über Hintergründe zum Ezechielbuch und zu Ez 18 informiert (Kriegskatastrophe). Der Relief-Ausschnitt kann dabei evtl. zur Veranschaulichung genutzt werden.

– Die TN knüpfen an das anfängliche Gespräch über schicksalhafte Festlegungen an und benennen Gegenerfahrungen.

– evtl.: Film: „Judith und der Mann von Schindlers Liste“ (Dokumentarfilm von Martin Buchholz)

– Lied: Kehret um (oder Starrt nicht auf das, was früher war)

Dr. Ruth Poser, geb. 1970, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachbereich Evangelische Theologie der Universität Marburg und Koordinatorin für den berufsbegleitenden Masterstudiengang Evangelische Theologie. Ihre Doktorarbeit verfasste sie zu dem Thema „Das Ezechielbuch als Trauma-Literatur“. Diese biblische Schrift übersetzte sie auch gemeinsam mit Susanne Gillmayr-Bucher für die Bibel in gerechter Sprache.

Anmerkungen:
1 Angela Kühner, Kollektive Traumata – Annahmen, Argumente, Konzepte. Eine Bestandsaufnahme nach dem 11. September (Berghof Report 9), Berlin 2002, 32.
2 Vgl. Werner Bohleber, Die Entwicklung der Traumatheorie in der Psychoanalyse, Psyche 9/10 (2000), 797-839, 815f.
3 So Frank Crüsemann in seiner Predigt zu Ez 18 in der Evangelischen Stadtkirche St. Reinoldi, Dortmund am 13.11.2011, für deren Übermittlung ich dem Verfasser herzlich danke. Vgl. auch Moshe Greenberg, Ezechiel 1-20 (HThKAT), Freiburg i.Br. u.a. 2001, 387.
4 Vgl. Walther Zimmerli, Ezechiel 1. Teilband: Eze-chiel 1-24 (BK XIII/1), Neukirchen-Vluyn 1969, 396-400.

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