Ausgabe 1 / 2008 Material von Karlheinz Graudenz

Die größte Werkstatt der Welt

Von Karlheinz Graudenz


Unser Bummel durch die Wohnung führt in einen Raum, in dem Männer normalerweise nichts zu suchen haben – in die Küche. Zugegeben, meine Damen – wir Männer schätzen im allgemeinen die Küche nur insoweit, als sie Werkstatt Ihrer Kochkünste ist, mit deren Erzeugnissen Sie uns jede Mahlzeit zum Vergnügen machen. Andererseits aber bindet diese Werkstatt Sie für viele Stunden des Tages – Stunden, die Ihnen auch nicht unbedingt nur Freude machen, Stunden, in denen Sie sich, wenn Sie könnten, angenehmeren Beschäftigungen hingeben würden.
(Zum Beispiel der Beschäftigung mit uns.) Es gilt also, jene Zeit, die Sie, verehrte Leserinnen, in der Küche zubringen müssen, möglichst kurz zu halten, ohne dass die Qualität des Essens und die Sorgfalt der Hausfrauenarbeit darunter leiden.

Ein Institut für Bauforschung hat längere Zeit hindurch praktische Versuche angestellt, um die zweckmäßigste Küchengröße zu ermitteln. So wurden zahlreiche Versuchsgerichte in verschieden großen Küchen hergestellt und die bis zur Fertigstellung der Mahlzeit zurückgelegten Wege genau vermessen. Dabei ergab sich in einer 13 qm großen Küche ein „Arbeitsweg“ von 380 m. Das gleiche Gericht erforderte in einer Küche von 10 qm nur noch 260 m und benötigte in der 6-qm-Küche nur noch ein Drittel, nämlich 130 m! In der kleinen Küche – und das ist das ganze Geheimnis – sind an die Stelle der „Wege“ einfach „Griffe“ getreten. …
Vielleicht, meine Damen, können Sie mit dem Gesagten, soweit es Ihnen noch nicht bekannt war, über kurz oder lang etwas anfangen. Sei es, dass eine neue Wohnung in Aussicht steht, deren Einrichtung überlegt sein will, sei es, dass Sie den Herrn des Hauses an Hand dieser wissenschaftlichen Untersuchungsergebnisse zur Anschaffung einer neuen „Anbauküche“ veranlassen können, die sich Stück um Stück erwerben und passend erweitern lässt. Bis eines Tages die Arbeit so mühelos von der Hand geht, dass nur mehr ein Teil der früher notwendigen Zeit in der Küche verbracht werden muss. Sie ist jetzt zu jeder Tageszeit ein blitzsauberes Schmuckstück und wird die Hausfrau vermutlich ebenso glücklich machen wie ein „in Anerkennung hausfraulicher Tugenden“ überreichtes Armband.

Das Buch der Etikette
Marbach am Neckar 1956

Quelle: www.zeno.org

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