Alle Ausgaben / 2016 Frauen in Bewegung von Andrea Blome

Die Natur braucht keine Geschmacksverstärker

Rike Kappler - Inhaberin der ökologisch-biologischen Vollkornbäckerei cibaria

Von Andrea Blome

„Brot ist Basisnahrung“, sagt Rike Kappler. Wenn die Bäckermeisterin erzählt, warum es eigentlich Brot sein musste, als sie das Studium der Philosophie und Publizistik Ende der 1980er an den Nagel hängte, um sich der Praxis zuzuwenden, dann spielt der Basis-Gedanke der Nahrung eine zentrale Rolle. „Ich wollte etwas Sinnvolles tun. Ich wollte mich nicht fragen müssen, ob das, womit ich beschäftigt bin, wirklich gebraucht wird.“

Eine Vollkornbäckerei, davon ist sie bis heute überzeugt, legitimiert sich aus sich selbst heraus. Es hätte auch ein Hof sein können oder eine Kneipe. Die Unwägbarkeiten, das Risiko, das Verhältnis von Einsatz und Ertrag erschienen ihr dabei allerdings zu groß. „Ich wollte zu den Wurzeln und mit der Bäckerei schien mir die Kausalität zwischen einem guten Produkt und dem Erfolg am wahrscheinlichsten.“

Rike Kappler machte eine Ausbildung zur Bäckerin, das Ziel klar vor Augen: Die Meisterschule und dann eine eigene Bio-Bäckerei. Mit zwei Kolleginnen fing sie in den 1980er Jahren an zu backen. Die ersten Rezepturen entstanden noch in der eigenen Küche. Die ersten Brote wurden mit dem privaten PKW an befreundete Bioläden ausgeliefert. Es war die Zeit, in der Bio-Läden ihren ersten Boom erlebten und mit ihnen auch die Idee eines anderen und nachhaltigen Wirtschaftens.

Seit 1990 gibt es cibaria, die ökologisch-biologische Vollkornbäckerei in Münster. cibaria ist lateinisch und heißt Nahrung, Proviant, Wegzehrung.

Für Rike Kappler gehörte zu ihrer Idee einer anderen Bäckerei von Anfang an eine hohe Produktqualität: „Wir wollten zeigen, dass Vollkornbrot weder strohig, noch trocken oder krümelig sein muss.“ Zentral war von Anfang an die Idee regionaler Kreisläufe. Bis heute stammen die Hauptrohstoffe Dinkel, Weizen und Roggen aus kontrolliert-biologischem Anbau von Bauernhöfen aus dem Münsterland. So werden bäuerliche Strukturen mit ökologischem Anbau erhalten und lokale Vertriebswege unterstützt.

Die Unternehmerin entschied sich außerdem, in ihrem Betrieb Arbeits- und Ausbildungsplätze für Frauen im traditionellen Handwerk zu schaffen. Zehn Jahre lang war das Unternehmen ein reiner Frauenbetrieb und noch länger die einzige Bäckerei in Deutschland, die auf der Leitungsebene nur von Frauen gemanagt wurde. Werbung hat die Geschäftsführerin damit nie gemacht. „Es ging nicht darum zu behaupten, dass Frauen das bessere Brot backen. Sondern um gute Arbeitsbedingungen und darum, dass Frauen an ihrem Arbeitsplatz in einem traditionellen Handwerk Bedingungen vorfinden, unter denen sie gut und vor allem zusammen arbeiten können.“

Dass seit 2001 auch Männer bei cibaria in der Backstube arbeiten, war „ein Anpassungsschritt an die Faktenlage“. Als der Betrieb dringend neue Kräfte für die Produktion brauchte, gab es keine Bewerbungen von Frauen. Angesichts der steigenden Arbeitsbelastung war die Entscheidung, vom reinen Frauenbetrieb abzurücken, nicht mehr schwer. „Das Prinzip ist nicht wichtiger als die Menschen“, sagt Rike Kappler. „Das Prinzip ‚Frauenbetrieb' haben wir aufgegeben, weil wir unter den extremen Bedingungen nicht mehr arbeiten konnten.“

Entwickelt und den Anforderungen des Marktes angepasst hat sich auch das Sortiment der Bäckerei. Die Überzeugung, Grundnahrungsmittel zu produzieren und zu verkaufen, bedeutete in der Anfangsphase, dass überwiegend Brot und Brötchen und ein wenig einfacher Kuchen gebacken wurden. Die Konditorei spielte eher eine Nebenrolle. „Der politische Projektcharakter, der bei der Gründung noch deutlich war, wurde dann kleiner, der Effizienzcharakter größer“, erinnert sich Rike Kappler. „Wir wurden marktgerechter und kunden­orientierter.“ Das zeigte sich nicht nur in einem wachsenden Konditorei-Angebot, sondern auch in neuen Produktli­nien aus ökologisch-biologisch produziertem Weißmehl. Es gibt Ciabatta und Hefezöpfe, Kuchen und Snacks. Mit dem Trend zur veganen Ernährung vergrößert auch cibaria das Angebot an veganen Teilchen, die meisten Brotsorten sind ohnehin vegan.

cibaria bewegt sich schon lange nicht mehr in einer Öko-Nische. Im eigenen Läden, in Bioläden und auf vielen Wochenmärkten in der Region vermarktet die Bäckerei ihre ökologisch produzierten „Premium-Produkte“ mit der Botschaft „Genuss“. Der Slogan „Mehr als gutes Brot …“ meint genau das: Es geht um Genuss, aber auch um Sinn, um klugen Einkauf und Verantwortung.

Dass Brote, Brötchen, Snacks und Kuchen aus der cibaria-Backstube besser schmecken als konventionelle und auch so manche andere Bio-Backwaren, davon ist die Inhaberin sowieso überzeugt. Sie kann auch handwerklich erklären, warum das so ist: „Bei cibaria haben wir Teigführungen von 12 bis 24 Stunden. Nur ein gut verquollenes Mehl ergibt ein saftiges Brot. Zeit ist das wichtigste – und auch teuerste Gut – das man einem Brot geben kann.“ Alle Kerne und Saaten, Leinsaat, Kleie, geröstete Haselnüsse, Sesam, Mohn und Sonnenblumenkerne werden außerdem lange eingeweicht. „Auch das macht Brote saftig und bekömmlich.“ Was man ebenfalls schmecken kann: Das Getreide wird bei cibaria täglich auf den hauseigenen Steinmühlen frisch gemahlen. Zusatzstoffe wie Gelatine, chemische Gärstabilisatoren, Enzyme, gentechnisch hergestellte und veränderte Produkte oder Farb- und Aromastoffe sind tabu. „Das ist bei hochwertigen Rohstoffen auch überflüssig“, sagt die Bäckermeisterin. „Die Natur braucht keine Geschmacksverstärker.“

Schmeckt Handwerk also anders? Viele Handwerksbäckereien sind davon überzeugt – und werben damit. „Geschmack ist aber auch etwas Erlerntes“, sagt Rike Kappler, die auch darauf verweist, das Handarbeit Produkte teurer macht. „Wenn wir handwerkliche Qualität vermitteln wollen, dann müssen wir den Menschen den Konsum von Lebensmittel ohne Aroma- und Zusatzstoffe ermöglichen.“ Vielleicht müssen Kunden und Kundinnen noch mehr über traditionelle Produktionsweisen erfahren, um das schätzen zu können. Vielleicht müssen sie aber auch selbst erfahren, wie viel Zeit Handarbeit braucht und kostet.

Die cibaria-Bäckerei öffnet immer wieder ihre Türen – für Besichtigungen, aber auch für Backkurse. „Wer hier zu Besuch war, die Hände im Mehl und im Teig hatte, lernt wertzuschätzen, was Handwerk bedeutet“, ist Rike Kappler überzeugt. „Die Arbeit mit den Händen verändert die Menschen.“

Wer mit Rike Kappler über ihr Selbstverständnis als Bio-Unternehmerin spricht, bewegt sich immer auf der Schwelle von Wirtschaft und Sinn. Erfolg hat in ihrem Konzept viele Dimensionen und ist nicht nur in der Bilanz ablesbar. Immer geht es um Nachhaltigkeit, immer geht es auch um das Gemeinwohl, um Verantwortung für Mensch und Umwelt.

Seit vielen Jahren wird cibaria vom Magazin „Feinschmecker“ zu den besten Bäckereien Deutschlands gekürt. Im vergangenen Jahr wurde der Bäckerei auf der Lebensmittelmesse Anuga der „Genießt uns-Award“ verliehen. Der bundesweite Wettbewerb zeichnet Unternehmen für ihr besonderes Engagement gegen Lebensmittelverschwendung aus. In diesem Bereich engagiert sich cibaria schon seit vielen Jahren. Brot, das nicht verkauft wird, wird nicht weggeworfen. Die Mitarbeiterinnen können es mitnehmen, gespendet werden nicht verkaufte Waren an die Bahnhofsmission, ein Teil wird zu Paniermehl verarbeitet und was dann noch übrig bleibt, bekommen die Schweine auf einem Naturlandhof.

Rike Kappler engagiert sich stark in Netzwerken und Verbänden, die der ökologischen Wirtschaft auch auf der politischen Ebene Gehör verschaffen. Sie gehört zum „Arbeitskreis Gutes Brot“ ebenso wie zum Verein „Bio FAIR vereint“, engagiert sich bei Slowfood und im Netzwerk „Regionale Wirtschaft Münsterland“.

Der Weg vom Feminismus zur Ökologie und zur Produktion von Brot war für Rike Kappler nie weit. „Mit dem Feminismus habe ich begriffen, nach welchen Maßstäben unsere Gesellschaft funktioniert, mit der Friedensbewegung habe ich angefangen, die Parallelen zwischen Ausbeutung und Unterdrückung zu verstehen. Ob ich aus der Friedens- oder aus der Frauenbewegung zur Ökologie komme, ist letztlich egal, es geht um die Analyse von zerstörerischen Mustern.“

Die Entscheidung für die Praxis war für sie auch „ein Schritt mehr zu mir selbst“. Zu einem sinnvollen Tun, das sie in unserer Gesellschaft alles andere als anerkannt sieht. Dass diejenigen, die für die Basis, für die Grundversorgung zuständig sind – mit ihrer Arbeit in der Landwirtschaft, in der Nahrungsmittelproduktion oder der Bekleidungsindustrie –, mit schlechtem Image und schlechter Bezahlung dastehen, „ist zum Heulen“.

Die Bedeutung der Nahrung, sagt sie, ist in unserer Gesellschaft nicht präsent. „Wir sind, was wir essen. Unser physischer Leib ist unsere Basis.“ Nahrung ist das Zentrale – und wird nicht gewertschätzt. „Für mich war klar, wenn ich zu den Wurzeln will, dann muss ich mich mit der Produktion von Lebensmitteln beschäftigen. Es geht letztlich um eine Antwort auf die philosophische Frage: Was sind Grundbedürfnisse?“

Andrea Blome ist Theologin, Journalistin und Moderatorin. Mit ihrem Redaktionsbüro in Münster arbeitet sie im Schwerpunkt zu den Themen Gender und Wirtschaft für öffentliche Auftraggeber, Verbände, Vereine und kleine Unternehmen.

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