Alle Ausgaben / 2009 Bibelarbeit von Ulrike Metternich

Die Seile des Trostes festhalten

Bibelarbeit zur Jahreslosung 1010

Von Ulrike Metternich


Jesus Christus spricht: Euer Herz erschrecke nicht. Glaubt an Gott und glaubt an mich. (Joh 14,1)

Wir leben in einer Zeit globalen Herzrasens. Hat die Ökumenische Arbeitsgemeinschaft für Bibellesen, als sie diesen Vers vor vier Jahren auswählte, sich vorstellen können, welches Ausmaß die weltweite Verunsicherung haben würde?
Viele wachen nachts mit Herzklopfen auf, weil sie ihren Arbeitsplatz verloren haben, Schulden ihnen über den Kopf wachsen, ihre Zukunft ungewiss ist. Das Herz schlägt vielen bis zum Hals, wenn die Nachrichten wieder von Terror, Firmenschließungen und Umweltzerstörung berichten. Herzschmerzen haben diejenigen, die einen lieben Menschen verloren haben, denen eine Beziehung zerbrochen ist oder die mit einer schweren Krankheit kämpfen.


Johannes lesen gegen die Schrecken der Welt

„Euer Herz erschrecke nicht. Glaubt an Gott und glaubt an mich.“ Kommt angesichts der schier unendlichen Fülle der Probleme die Aufforderung der Jahreslosung nicht etwas zu schnell?

Sorgfältig komponiert das Johannesevangelium das Kapitel 14. Es beginnt mit: „Euer Herz erschrecke nicht“ und wiederholt dieses Wort in Vers 27, verbunden mit der Zusage des Friedens. Die Aufforderung „erschrecke nicht“ steht im griechischen Text im Imperativ, was meint, dass die Jünger und Jüngerinnen erschreckten Herzens sind und nun aufgefordert werden, ihre Furcht abzulegen: „Hört auf, erschreckt zu sein!“ Damit zielt der Vers auf eine Veränderung der Hörer und Hörerinnen: Legt die Angst, die ihr jetzt habt, ab und begegnet von nun an der Zukunft ohne Furcht! Diese Angst meint nicht nur das emotionale Flattern des Herzens, sondern umfasst die kreisenden Gedanken und das Wissen um die Tiefe der Probleme. Im hebräischen Denken, welches das Johannesevangelium prägt, ist mit dem Wort „Herz“ immer der Verstand und die Vernunft mit gemeint. Die Jahreslosung ermutigt zur Freiheit von jeglicher Furcht.

Die Menschen, für die das Johannesevangelium geschrieben wurde, lebten in höchster Bedrängnis. Jerusalem und der Tempel waren durch die Römer zerstört worden. Der Staatsapparat versuchte, den Widerstand jüdischer Gruppierungen zu brechen, auch den der messianischen Nachfolgegemeinschaft Jesu. Die Gemeinden, an die Johannes sich wendet, bestanden mit hoher Wahrscheinlichkeit überwiegend aus Juden und Jüdinnen, die sich zu dem Messias Jesus bekannten. Nachdem der Tempel zerstört worden war, blieben die lokalen Synagogen Orte religiöser Gemeinschaft. Doch dann – und wann dies genau zu datieren ist, ist bis heute eine brennende Frage neutestamentlicher Forschung – wurden christusgläubige Juden und Jüdinnen aus den Synagogen verbannt. Dies war sicherlich ein schmerzhafter Prozess, denn die Synagoge war nicht nur religiöse Heimat, sondern auch Raum sozialer und wirtschaftlicher Beziehungen. Wichtig ist wahrzunehmen, dass da, wo Johannes sich gegen „die Juden“ ausspricht, dies einen innerjüdischen Konflikt widerspiegelt. Später wurden diese Aussagen vom christlichen Antijudaismus von außen gegen das jüdische Volk gelesen. Im Johannesevangelium findet sich auch die positive Aussage: „Das Heil kommt von den Juden.“ (Joh 4,22)

Das Johannesevangelium wendet sich also an Menschen, die in größter Sorge lebten. Auf der einen Seite hatten sie unter der Macht des römischen Reiches zu leiden, auf der anderen Seite verloren sie ihre vertraute religiöse und gesellschaftliche Verortung. Das ganze Evangelium kann als eine große Ermutigung zur Furchtlosigkeit im Angesicht der Bedrohung der Welt gelesen werden.

Wer trösten und ermutigen will, redet den Verängstigten gut zu. Genau das tut das Johannesevangelium mit seinen vielen Redeteilen. Das Evangelium ist nicht an erster Stelle daran interessiert, einen möglichst exakten Lebenslauf Jesu zu bieten, sondern es will den Lesern und Leserinnen Mut zusprechen. Mit großer spiritueller Kraft entwickelt es Trost-Strategien, die das zitternde Herz beruhigen sollen. Drei von ihnen möchte ich besonders hervorheben.


Eingebunden in das ewige Spiel der göttlichen Weisheit

Allen, die damit ringen, dass das Leben Jesu beendet ist, spricht Johannes zu, dass Jesus Christus nicht einfach ein Teil eines historischen Geschichtsabschnittes ist, sondern war und ist und sein wird. Um diesen Gedanken sprachlich zu fassen, greift das Johannesevangelium besonders auf die jüdische Weisheitstradition zurück. Jesus war ein Kind der göttlichen Weisheit, die vom Beginn der Schöpfung an Gott erfreute. Von ihr heißt es im Buch der Weisheit:

Bei dir ist die Weisheit, die deine Werke kennt, die dabei war, als du die Welt schufst, die weiß, was dir gefällt und was nach deinen Geboten recht ist. Sende sie vom heiligen Himmel, von deiner überragenden Herrlichkeit her schicke sie, damit sie mir beistehe und alle Mühe mit mir teile und ich erkenne, was dir gefällt.
(Weisheit 9,9-10 BigS, vgl. auch Sprüche 8,22-32)

Deutlich spürbar sind die Ähnlichkeiten zum Auftakt des Evangeliums. Darum übersetzt die BigS „Am Anfang war die Weisheit…“ (Joh 1,1), obwohl der griechische Text hier logos verwendet, was eher „Wort“ meint. Innerhalb des Evangeliums wird Jesus immer wieder mit der Weisheitstradition assoziiert, etwa wenn er der Frau aus Samaria zusagt, dass alle, die von dem Wasser trinken, was er gibt, nicht mehr dürsten werden: „ … sondern das Wasser, das ich ihnen geben werde, wird in ihnen zu einer Quelle sprudelnden Wassers für das ewige Leben werden“ (Joh 4,13).

Jesus Christus ist als Kind der göttlichen Weisheit Zeit und Raum umspannend. Die Mut machende Zusage des Johannesevangeliums ist: Alle, die sich diesem Kind der göttlichen Weisheit zuwenden, werden selbst zu Gotteskindern (Joh 1,12). Das Johannesevangelium schenkt seinen Lesern und Leserinnen eine neue Perspektive auf ihr eigenes Leben. In Christus umfasst es weit mehr, als die kleine Zeitspanne, die auf unseren Grabsteinen steht. Unser von Ängsten geschütteltes Leben ist jetzt schon eingewoben in die geheimnisvolle, schöpferische Gotteskraft, in das ewige Spiel der Weisheit Gottes.


An die Brust gedrückt

Johannes betont die tröstende und vergewissernde Kraft Jesu. Sein Lieblingsjünger darf seinen Kopf an Jesu Brust legen (Joh 13,23), so wie ein verschrecktes Kind den Kopf an die Brust seiner Mutter drückt. Wo das Kind sich schwach und schutzlos fühlt, mag eine Mutter oder ein Vater sagen: „Hab' keine Angst, ich bin da. Ich halte dich.“ Solche Sätze machen Mut, den Schoß zu verlassen und weiterzulaufen.

Als genau diese Art der Ermutigung lese ich die „Ich-bin-Worte,“ die das Johannesevangelium Jesus in den Mund legt. Sie richten sich in erster Linie an die verunsicherte Nachfolgegemeinschaft Jesu. So fragt Thomas in Kapitel 14,5 – einige Verse nach dem Text der Jahreslosung: „Wie können wir den Weg wissen?“ Worauf Jesus antwortet: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben.“ (Joh 14,6) In Jesus ist der Gott nahe, der auch schon Mose zusagte: „Ich bin, der ich bin“ (2. Mose 3,14).

Die „Ich-bin-Worte“ verlieren dann ihre tröstende Kraft, wenn sie im missionarischen Eifer dogmatisch verwendet werden. Aber als Trostworte ins erschreckte Herz geflüstert, vertreiben sie Angst und Ohnmachtsgefühle: „Ich bin das Licht der Welt“ (Joh 8,12); „Ich bin das Brot des Lebens“ (Joh 6,35); „Ich bin die Tür“ (Joh 10,9); „Ich bin der gute Hirte“ (Joh 10,11); „Ich bin die Auferstehung und das Leben“ (Joh 11,25); „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben“ (Joh 15,5). Mit so viel Zuspruch werden doch auch wir uns trauen, uns aufzurichten, und anfangen neu zu leben.


Nie wieder allein

Damals wie heute erscheint die Welt oft als ein Ort des Schreckens. Die tagtäglichen Nachrichten sind bedrohlich und fördern die Angst, all dem nicht gewachsen zu sein. Das Johannesevangelium antwortet auf das Gefühl der Schutzlosigkeit mit der Aufforderung zur Gemeinschaft – allein 15mal findet sich die Aufforderung sich gegenseitig zu lieben. Zudem verspricht es einen Tröster, den Geist der Wahrheit, den Heiligen Geist. Allein zweimal findet sich diese Verheißung im Kapitel 14 (VV 16, 26). Damit verspricht Jesus im Johannesevangelium, seine Gemeinde inmitten all ihrer Probleme nicht verwaist zurückzulassen, sondern einen Trost zu schenken, der von innen wirkt, Kraft gibt und aufrichtet. Gemeint ist: Hört auf, erschreckt zu sein, denn euch wird die Gotteskraft ins Herz geschenkt werden. Die Freude in Fülle ist auf dem Weg zu euch. Deshalb die Jahreslosung: „Euer Herz erschrecke nicht. Glaubt an Gott und glaubt an mich.“ (Joh 14,1)

Glauben heißt im Johannesevangelium, die ausgespannten Seile des Trostes zu fassen und fest zu halten. Gegen die globale Bedrohung glauben, dass Gott war und ist, vom Anfang bis zum Ende. Gegen das Erschrecken um die eigene Endlichkeit zu glauben, in und mit Christus am ewigen Spiel der Weisheit vor Gottes Angesicht teilzuhaben. Glauben heißt, Kraft zu bekommen, sich den betrügerischen Machtspielen dieser Welt jetzt schon zu widersetzen und zu erkennen, dass das, was uns heute in Angst und Schrecken versetzt, vor Gott keinen Bestand haben wird. Gottes Geist trägt, tröstet, befreit, löst den Schrecken der Herzen auf. Das auch heute zu glauben und zu erfahren, dazu lädt die Jahreslosung ein: „Jesus Christus spricht: Euer Herz erschrecke nicht. Glaubt an Gott und glaubt an mich.“


Für die Arbeit in der Gruppe

Ziel

Frauen einen Raum geben, damit sie ihre Sorgen nennen, ablegen und mit Hilfe der Jahreslosung neuen Mut fassen können


Zeit

ca. 1,5 Stunden


Material

– Stuhlkreis, in der Mitte ein dunkles Tuch, darauf eine brennende Kerze und rote Papierherzen
– ein Knäuel grüner Baumwolle,Teelichter


Ablauf

Einstieg
Psalm 42,1-5 (Lutherübersetzung)

Input: Was würden die Menschen, für die Johannes schreibt, sagen wenn sie ihr Herz ausschütteten?

Kurze Einführung in die damalige Gemeindesituation, enden mit der Frage: Was versetzt heute unsere Herzen in Unruhe?

5 Minuten Murmelgruppe mit der Nachbarin


Lied und Klage
Was mein Herz schwer macht, klage ich Dir
(von Eugen Eckert, im Internet abzurufen unter: http://freenet-homepage.de/diebaend/lieder.htm)

Weiße Zettel austeilen, jede Frau bitten eine Klage aufzuschreiben und in die Mitte zu legen. Wenn alle Zettel abgelegt worden sind, das Lied wiederholen.


Gebet
Die Leiterin liest das „Stoßgebet“ von Hildegard König:

Wirf mir ein Seil zu,
das mir Halt gibt
im Schwindel,
eines, das mich sichert
über dem Abgrund,
eines, das Verbindung schafft
trotz verlorener Spur,
eines, das mich bestärkt,
die nächsten Schritte zu gehen,
auch wenn ich das Ziel
nicht mehr sehen kann.
Wirf mir ein Seil zu.

aus: Du bist der Atem meines Lebens. Das Frauengebetbuch – Copyright: Schwabenverlag AG, Ostfindern und KlensVerlag, Düsseldorf, S. 85

Aktion
Wir wollen Trostseile ausspannen. Das grüne Garn soll am Ende netzartig über der Mitte liegen. Das Knäuel soll nach jeder A-Stimme quer über die Mitte durch den Raum gegeben oder auch geworfen werden, die Stimmung darf ruhig auflockern dabei.
A: Wir spannen ein Trostseil für alle, die sagen: Ich bin voller Schrecken, weil ich an Körper und Seele verhungere und verdurste.
Garnrolle
B: Christus sagt: Euer Herz erschrecke nicht: Ich bin das Brot des Lebens und ich sende Euch die Trösterin, den Heiligen Geist.

Alle singen: Komm, Ruach komm

A: Wir spannen ein Trostseil für alle, die sagen: In mir ist es finster, und die ganze Welt erscheint mir wie ein dunkler Abgrund.
Garnrolle
B: Christus sagt: Euer Herz erschrecke nicht: Ich bin das Licht der Welt und ich sende Euch die Trösterin, den Heiligen Geist.

Alle singen: Komm, Ruach komm

A: Wir spannen ein Trostseil für alle, die sagen: Ständig schließen sich alle Türen vor mir, ich sehe keinen Ausweg.
Garnrolle
B: Christus sagt: Euer Herz erschrecke nicht: Ich bin die Tür und ich sende Euch die Trösterin, den Heiligen Geist.

Liedvers: Komm, Ruach komm

A: Wir spannen ein Trostseil für alle, die sagen: Ich fühle mich völlig schutzlos. Keiner ist da, der auf mich aufpasst.
Garnrolle
B: Christus sagt: Euer Herz erschrecke nicht: Ich bin der Gute Hirte und ich sende Euch die Trösterin, den Heiligen Geist.

Liedvers: Komm, Ruach komm

A: Wir spannen ein Trostseil für alle, die sagen: Mit meinen Leben ist es vorbei. Ich warte nur noch auf das Ende.
Garnrolle
B: Christus sagt: Ich bin die Auferstehung und das Leben, und ich sende Euch die Trösterin, den Heiligen Geist.

Liedvers: Komm, Ruach komm

A: Wir spannen ein Trostseil für alle, die sagen: Ich habe den roten Faden in meinem Leben verloren und fühle mich so orientierungslos.
Garnrolle
B: Christus sagt: Euer Herz erschrecke nicht: Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben und ich sende Euch die Trösterin, den Heiligen Geist.

Liedvers: Komm, Ruach komm

A: Wir spannen ein Trostseil für alle, die sagen: Was ist mein Beitrag für diese Welt? Was kann ich schon bewirken?
Garnrolle
B: Christus sagt: Euer Herz erschrecke nicht: Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihr, die bringt viel Frucht und ich sende Euch die Trösterin, den Heiligen Geist.

Liedvers: Komm, Ruach komm

Gebet
Komm, Heiliger Geist,
du Lebenskraft.
Erfülle mich neu
mit dem Atem Gottes
vom allerersten Beginn.
Wehe fort von mir
alle Furcht und Angst,
alle Mutlosigkeit und Schwarzmalerei.
Erfülle mich
mit dem Vertrauen und
der Weisheit der Menschen,
die vor mir ihren Weg
gemeistert haben.
Öffne mein Herz für Dein Wehen
und entzünde in mir ein Feuer,
das Verdorrtes verbrennt,
mir Wärme schenkt
und den Boden bereitet für das Neue,
das in mir und durch mich wachsen will.
Erfülle mich mit Deiner Kraft,
die in mir wirkt und Leben schafft.

Andrea Rehn-Laryea
aus: Du bist der Atem meines Lebens. Das Frauengebetbuch © 2006
Schwabenverlag AG, Ostfildern und KlensVerlag, Düsseldorf, S. 60

Abschluss
Die Leiterin bittet die Gruppe, an Frauen zu erinnern, die vor uns ihren Weg gemeistert haben. Für jede Frau, die genannt wird, wird ein Teelicht auf einen der Zettel gestellt, die in der Mitte liegen. Wenn es mehr Kerzen als Zettel sind: umso besser.
Zum Schluss kann noch ein Kanon gesungen werden, z.B.: Mache Dich auf und werde Licht.

Dr. Ulrike Metternich, geb. 1957, ist feministisch-sozialgeschichtliche Exegetin und lebt als freischaffende Theologin in den USA. Und seit Juni 2009 ist sie glückliche Großmutter.

Zum Weiterlesen

R
uth Habermann: Das Evangelium nach Johannes, in: Kompendium Feministische Bibelauslegung, hg. von Luise Schottroff, Marie-Theres Wacker, Gütersloh 1998, 527-541.
Silvia Schroer: Die Weisheit hat ihr Haus gebaut. Studien zur Gestalt der Sophia in den biblischen Schriften, Mainz 1996.
Jörg Frey, Udo Schnelle (Hgg.): Kontexte des Johannesevangeliums, Das vierte Evangelium in religions- und traditionsgeschichtlicher Perspektive, Tübingen 2004.


Infobox Johannesevangelium

Wer?
Der Autor ist unbekannt, aber das Evangelium selbst beruft sich auf das Zeugnis des „Lieblingsjüngers“ Jesu (19,35; 21,24). In der gegenwärtigen Johannesforschung gibt es keine einhellige Antwort, wer dieser Lieblingsjünger sein könnte. Die frühe Kirche allerdings, zuerst Irenäus, identifizierte den Lieblingsjünger mit Johannes, Sohn des Zebedäus, einer der Jünger Jesu. Deshalb wurde nach ihm das Johannesevangelium benannt.

Wo?
Ebenso ist unbekannt, wo das Johannesevangelium geschrieben wurde. In der diesem Evangelium nahe stehenden Offenbarung werden sieben Kirchen in Kleinasien genannt, was eine oft gehegte Vermutung stützt, das Johannesevangelium könnte im Raum von Ephesus entstanden sein. Allerdings zeigt sich Johannes so vertraut mit jüdischen Sitten und Gebräuchen, dass ein palästinensischer Hintergrund auf jeden Fall wahrscheinlich ist, unabhängig davon, wo das Evangelium aufgeschrieben worden ist.

Wann?
Da das Johannesevangelium anders als die synoptischen Evangelien (Matthäus, Markus, Lukas) aufgebaut ist und einen ganz eigenen Sprachstil besitzt, sind viele in der Forschung zunächst davon ausgegangen, dass es weit später als diese entstanden sei, Mitte oder Ende des 2. Jahrhunderts. Die Entdeckung von Handschriften aus der ersten Hälfte des zweiten Jahrhunderts belegt aber ein früheres Entstehungsdatum. Da allerdings im Johannesevangelium schon die Vertreibung von Christusgläubigen aus den Synagogen erwähnt wird (Joh 9,22; 12,42; 16,2), die sich erst über die Zeit hin entwickelt hat, ist ein Entstehungsdatum um 100 n. Chr. zu vermuten.

Wie?
Die sehr eigene Wortwahl des Evangeliums, besonders seine Verwendung von Dualismen (Licht/Finsternis, oben/unten u.a.) hat zu der Annahme geführt, Johannes sei eher von gnostischem als von jüdischem Gedankengut geprägt. Die Textfunde von Nag Hammadi (1945) und Qumran (1947) haben alle eindeutigen Zuordnungsversuche in eine neue Perspektive gerückt. Das Johannesevangelium hat sehr kreativ eine Vielzahl zeitgenössischer Bilder- und Sprachwelten benutzt, um in seinem ganz eigenen Stil die Botschaft von Jesus Christus zu verkündigen.

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