Ausgabe 2 / 2005 Material von Beate Wehn

Die Thekla-Erzählung

Von Beate Wehn


Nach seiner Flucht aus Antiocheia kommt Paulus nach Ikonien und findet Aufnahme bei der Familie des Onesiphoros. Seinen Predigten hört Thekla aus dem Nachbarhaus heimlich zu und fühlt sich davon so angezogen, dass sie ihrem Verlobten Thamyris den Laufpass gibt.
Zutiefst verletzt denunziert Thamyris den Paulus als „Christianer“ beim Statthalter, der ihn umgehend inhaftiert, ihn aber nach einer Geißelung laufen lässt, weil er die Lehren des Mannes durchaus interessant findet. Thekla, die sich weder von ihrer Mutter noch von Thamyris noch vom Statthalter dazu bringen lässt, nun „nach der Sitte der IkonierInnen“ zu heiraten, wird zum Scheiterhaufen verurteilt – und auf wundersame Weise gerettet.
Umgehend macht sie sich auf den Weg zu Paulus, der sich außerhalb der Stadt versteckt hält und für ihre Rettung fastet und betet. Sie bittet um die Taufe, wird von Paulus jedoch vertröstet. Allerdings nimmt er sie mit nach Antiocheia.
Direkt bei der Ankunft laufen sie dem Syrer Alexander in die Arme, der versucht, Paulus die schöne Frau abzukaufen. Paulus leugnet, Thekla zu kennen, und Alexander versucht daraufhin, sie auf offener Straße zu vergewaltigen. Da sie sich erfolgreich wehrt, „führte er sie zum Statthalter“, der sie – „da jene zugab, dies getan zu haben“ – zum Tod in der Arena verurteilt. Mit tatkräftiger Unterstützung von Tryphaina, die Thekla an Stelle ihrer verstorbenen Tochter zu sich nimmt, kann die weiter drohende Vergewaltigung verhindert werden, nicht jedoch die Vollstreckung des Urteils…

(27) Die Frauen gerieten außer sich und schrieen vor dem Richtstuhl: „Ein falsches Urteil, ein gottloses Urteil!“ …

(33) Thekla aber wurde Tryphainas Hand entrissen und entkleidet; und man gab ihr einen Schurz und warf sie ins Stadion. Löwen und Bären wurden zu ihr hineingeworfen, und eine wilde Löwin lief auf sie zu und legte sich ihr zu Füßen. Die Menge der Frauen schrie laut. Und es lief eine Bärin zu ihr. Und die Löwin lief herzu und zerriss die Bärin. Ein anderer Löwe, der auf Menschen abgerichtet war und dem Alexander gehörte, ging auf sie los. Die Löwin verbiss sich in den Löwen und kam mit ihm um. Noch lauter klagten die Frauen, weil auch die Löwin, die ihre (Theklas)  Helferin war, tot war.

(34) Daraufhin wurden viele Tiere hineingebracht. Sie aber stand da mit ausgebreiteten Armen und betete. Als sie das Gebet beendet hatte, wendete sie sich um und erblickte eine große, mit Wasser gefüllte Grube und sagte: „Nun ist der Zeitpunkt, mich zu waschen!“ Und sie warf sich hinein mit den Worten: „Im Namen Jesu Christi taufe ich mich am letzten Tag.“ Als das die Frauen sahen und die ganze Volksmenge, schrieen sie und sagten: „Stürze dich nicht selbst ins Wasser!“, so dass sogar der Statthalter weinte, weil die Robben eine solche Schönheit fressen würden. Sie aber warf sich ins Wasser im Namen Jesu Christi. Die Robben sahen ein Licht von einem Feuerblitz und trieben tot an der Oberfläche. Und um Thekla herum war eine Wolke aus Feuer, so dass die Tiere sie nicht anrühren konnten und sie als Nackte nicht gesehen werden konnte.

(35) Als noch wildere Tiere hereingestoßen wurden,  schrieen die Frauen laut auf, und sie warfen Blätter: Narde, Kassia, Amomum, so dass dort starke (süßliche) Gerüche waren. Und alle wilden Tiere wurden vom Schlaf ergriffen und rührten sie (Thekla) nicht an. Daher sagte Alexander zum Statthalter: „Ich habe Stiere, die noch schrecklicher sind, an jene wollen wir die Tierkämpferin anbinden.“ Verdrießlich stimmte der Statthalter zu mit den Worten: „Tu, was du willst!“ Und sie banden sie mit den Füßen zwischen die Stiere und hielten unter deren Geschlechtsteile brennende Eisen, damit sie – noch mehr gereizt – sie (Thekla) töten würden. Sie nun sprangen auf. Und als die Flammen ringsum versengten, verbrannten die Stricke und Thekla war wie nicht gefesselt. …

(37) Der Statthalter rief Thekla mitten aus den Tieren heraus und fragte sie: „Wer bist du? Und was ist um dich, dass dich keines der Tiere angerührt hat?“ Diese antwortete:
„Ich bin des lebendigen Gottes Sklavin.
Das ist um mich: Ich habe an den geglaubt,
an dem Gott sein Wohlgefallen hatte – seinen Sohn.
Um seinetwillen hat mich keines der Tiere angerührt.
Dieser allein ist das Wegzeichen der Rettung
und die Grundlage unsterblichen Lebens.
Den vom Sturm geplagten ist er Zufluchtsort,
den Gequälten ist er Linderung,
den Verzweifelten (ist er) Schutz,
und überhaupt:
Wer an ihn nicht glaubt, wird nicht leben,
sondern tot sein für immer.“ 


Übersetzung von Beate Wehn
in: Dies., „Vergewaltige nicht die Sklavin Gottes!“
Gewalterfahrungen und Widerstand von Frauen in den Thekla-Akten.
Eine feministisch-sozial geschichtliche Exegese,  Dissertation Universität Paderborn 2004, 372ff.

Dieser Auszug der Übersetzung ist als Arbeitsmaterial für die Bibelarbeit „Hier sind die Menschen nicht unterschieden“ gewählt. Den vollständigen Text der Übersetzung finden Sie zum Herunterladen im Bereich „Service“.

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