(Auszug)
Als ich sieben Jahre alt war, betete ich wie eine Siebenjährige: „Lieber Gott, mach, dass die anderen mich nicht auslachen!“ Meine Eltern hatten verboten, dass wir Mitglied der Pionierorganisation wurden… Als Jugendliche von 14 Jahren betete ich wie eine 14-Jährige: In jeder Sekunde verhungert ein Mensch in dieser Welt. Gott braucht unsere Gebete nicht, Handeln ist wichtiger als Beten. Im Studium lernte ich, dass man lange wissenschaftlich nachdenken kann über das Gebet – ohne zu beten. Als ich 30 war und die Familie laut und lebendig, kam die Wiederaufrüstung in Ost und West, und es kamen Stoßgebete aus meinem Innersten für die Zukunft meiner Kinder: „Aus Schwertern lasst uns Pflugscharen schmieden.“ Als ich 40 war, kam die Wende' und wir beteten im Nachtgebet und montags bei den Demos: „Sonne der Gerechtigkeit, gehe auf zu dieser Zeit.“ Nun bin ich über 50, habe viel gelernt über das Beten. Ich bete schweigend in Mahnwachen für den Frieden. Dabei nehmen Frauen an den Kreuzungen der Straßen die Welt ins Gebet.
Es gibt viele Arten des Betens und viele Bedeutungen. Dass wir uns nicht abfinden mit den Gegebenheiten ist eine zentrale Bedeutung des Gebets: „Beten heißt … sich nicht abfinden, es ist ein Akt von Freiheit gegenüber dem Bestehenden, dem ‚Gegebenen'…“ (K.H. Miskotte) Sich nicht abzufinden – dieses Beten mündet in viele kleine Schritte. Als eine, die im Osten Deutschlands aufgewachsen ist, erinnere ich mich, wie wir als Jugendliche 1968 unser Wut und Enttäuschung und unsere Scham ins Gebet nahmen, als die Truppen des Warschauer Paktes in Prag einmarschierten. Wir hatten die politischen Gebete Martin Luther Kings aufgenommen, der im April 68 erschossen wurde. Öffentlich an den Straßen zu stehen und unserer Empörung Ausdruck zu geben, das wagten wir nicht. Ohne das Gebet hätten wir aber auch den Mut nicht aufgebracht, in Schulklassen und Ausbildungsgruppen unsere Meinungen anzusprechen. Und in FDJ–Gruppen und auf Wandzeitungen fanden wir durchaus Gehör.
Sich nicht abzufinden mit der Wiederaufrüstung war auch das Anliegen der Politischen Nachtgebete in Köln zu Beginn der 70er Jahre. Eines der Bücher von Dorothee Sölle trägt den Titel: „Das Fenster der Verwundbarkeit“. Im Gebet wird das Fenster der Verwundbarkeit geöffnet. Die Hände in den Schoß zu legen und sich zu sammeln ist eine Hinführung, um sich zu stärken mit Gottes Kraft. Das ist so etwas wie Anlauf-Nehmen.
Aber auch politische Aktionen von Christinnen und Christen sind selbst eine Form des Gebets: Sie nehmen das Anliegen Gottes für unsere Welt unter die Füße. Ihr Ort ist nicht die Kathedrale oder die Klause, sondern die Straße und der öffentliche, ungeschützte Raum. Solch politisches Handeln als Gebet zu entdecken schützt davor, in Parolen auszuweichen. Es schützt auch davor, Freund und Feind nur noch getrennt voneinander zu denken.
Die auf diese Weise Betenden vertrauen der göttlichen Kraft. Die so beten, öffnen sich einer Welt, die nicht allein das Hier und Jetzt sieht. Sie vertrauen sich einander an. Sie sind sich und ihren Visionen nahe, ihren von Gott gestärkten Hoffnungen auf Gerechtigkeit und Freiheit, aber auch ihrem Schmerz und ihrer Hilflosigkeit. So öffnen sie das &
Eine letzte Ausgabe der leicht&SINN zum Thema „Bauen“ wird Mitte April 2024 erscheinen.
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