Ausgabe 1 / 2023 Frauen in Bewegung von Bettina Röder

Die Welt ist größer als unsere Zwei-Zimmer-Wohnung

Zu Besuch bei OMAS GEGEN RECHTS

Von Bettina Röder

„OMAS GEGEN RECHTS, das ist nicht zuerst der Name, das ist eine Haltung“, sagen sie. Inzwischen engagieren sich 20.000 Menschen in Deutschland für die zivilgesellschaftliche Initiative. Doch was verbirgt sich dahinter, und warum machen sie das? Ein Besuch bei drei Frauen in Leipzig, in Berlin und im Schwarzwald.

Sie hat an einem der kleinen runden Tische in dem altehrwürdigen Leipziger Café am Markt Platz genommen. Eine Sahnetorte und ein heißer Kakao stehen vor ihr. Doch was Gisela Wedekind dann erzählt, ist alles andere als leichte Kost. Es geht um das größte Frauen-Außenlager des KZ Buchenwald in der Kamenzer Straße der Messestadt und um einen unglaublichen Skandal.

Über 5000 jüdische Frauen mussten hier für den größten sächsischen Rüstungskonzern Hugo Schneider AG Waffen und Munition herstellen. Im April 1945 wurden sie auf den Todesmarsch gezwungen. Und ausgerechnet der stadtbekannte Neonazi Ludwig K., der sich Prinz von Preußen nennt, hat 2007 das heruntergekommene Gebäude von der Treuhand Liegenschaftsgesellschaft erworben.

Aus dem 18.000 Quadratmeter großen Areal, das eigentlich eine Gedenkstätte sein müsste, hat er mit Gleichgesinnten einen Nazitreff gemacht. Berüchtigte Rockkonzerte der Rechten finden hier statt, ein Boxclub wurde eingerichtet. Vor dem großen Tor kommt es immer wieder zu Protesten. Auch wurde hier im letzten Sommer von der der Stadt und der Gedenkstätte Zwangsarbeit eine inzwischen immer wieder beschädigte Stele eingeweiht – mit einer vielbeachteten Rede von Oberbürgermeister Burkhard Jung. Doch der Stadt sind wie den zahlreichen Demonstranten aus der Zivilgesellschaft, die sich hier immer und immer wieder versammeln, die Hände gebunden.

Gisela Wedekind hatte im Sommer 2019 davon gehört. Im bunten Sommerkleid mit Sandalen machte sie sich auf den Weg, um an einem der Proteste teilzunehmen.

Ob sie zu den OMAS GEGEN RECHTS gehöre, die in der Stadt doch gerade für die Jüngeren so wichtig seien, wurde sie von einem jungen Mann gefragt. Er hätte ihr Enkel sein können. Von OMAS GEGEN RECHTS hatte Gisela Wedekind bis dahin nichts gehört. Sie machte sich auf die Spur und war bald selbst bei ihnen aktiv. Nur kurz zuvor, im Winter 2019, waren sie in der Messestadt gegründet worden, gut 20 Frauen gehören zum unermüdlichen Kern.

Neben Leipzig sind die OMAS GEGEN RECHTS in gut 70 deutschen Städten aktiv. Hinter dem etwas betulichen Namen steht ein erstaunliches Programm. Sie sind eine zivilgesellschaftliche, überparteiliche Initiative, die sich in den politischen Diskurs einmischen will. Vor genau fünf Jahren, am 27. Januar 2018, sind sie entstanden und haben schon nach kurzer Zeit von sich reden gemacht. Sie organisieren Demonstrationen, Vorträge, Gedenkaktionen. Nicht zuletzt bei den unermüdlichen Protesten gegen die AfD machen sie auf sich aufmerksam. Denn sie setzen sich, wie es in ihrer Satzung heißt, für eine demokratische, rechtsstaatliche, gerechte und freie Gesellschaft ein sowie für die vor Krieg und Not geflüchteten Menschen. Sie machen Missstände öffentlich. Und sie organisieren politischen Widerstand gegen Antisemitismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit.

Bei unserem Treffen in dem Café hat Gisela Wedekind auf dem kleinen Tisch zahlreiche Blätter ausgebreitet. Bilder von Demonstrationen sind darunter, in einer Tabelle hat sie die Aktivitäten aus dem vergangenen Jahr festgehalten. Wenn die noch immer jugendlich wirkende 73-Jährige mit dem weißblonden Haar darüber spricht, ist sie kaum zu bremsen. Warum auch? Jede der Aktionen spricht für sich. Da wäre der Stadtrundgang der Frauen im Gedenken an die jüdische Schriftstellerin Clara Schachne-Schott, die noch mit 85 Jahren ins KZ kam. Oder das Putzen zahlreicher Stolpersteine im Leipziger Musikerviertel und das Niederlegen von Blumen für Ingeborg Gebhardt, die 1940 in Pirna Sonnenstein der Euthanasie zum Opfer fiel. Da wären aber auch immer wieder Vorträge zu den sowjetischen Kriegsgräbern in der Stadt.

Die Reihe ließe sich fortsetzen. Und dann noch das: „Nie wieder Krieg!“ Dieses Lebensmotto hat sich tief in die Seele der zweifachen Mutter und vierfachen Großmutter eingegraben. „Auch heute müssen so viele junge Menschen in dem unsäglichen Krieg in der Ukraine ihr Leben lassen“, sagt sie. „Die Angst vor einem neuen Weltkrieg liegt doch in der Luft.“ Wie auch die vor dem wieder aufflammenden Rechtspopulismus. Dagegen stehen die OMAS GEGEN RECHTS auf. „Wir müssen nicht mehr hart arbeiten, haben Zeit, den jungen Menschen politisches Bewusstsein zu vermitteln“, sagt sie und betont, dass sie weiß, wovon sie spricht. Wie fast alle Frauen aus der DDR hatte sie durch die völlig veränderten Verhältnisse nach der deutschen Einheit gleich mehrere Berufe. Die studierte Landwirtin, die bis dahin hart in einer Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG) gearbeitet hatte, wurde arbeitslos. Zu Hause sitzen, das kam für sie nicht in Frage. Also bewarb sie sich mit Erfolg als Versicherungsvertreterin, Buchhalterin und schließlich als Schatzmeisterin. Politisch wach ist sie immer geblieben.

Renate Christians blauen Augen blitzen hinter der Brille. Sie ist im tiefsten Westen aufgewachsen.

In Duisburg hat sie als 16-Jährige in einer Disco den Sohn italienischer Gastarbeiter getroffen, der sie nach Hause zu seiner Familie einlud. Dort war es zwar viel enger als in der Wohnung ihrer Eltern, aber eine weite Welt hat sich ihr eröffnet. Dazu gehörte nicht nur das traditionelle Spaghetti-Essen, das sie bis dahin so nicht kannte. Dazu gehörte vor allem auch eine große Gastfreundschaft gegenüber jedermann und -frau, nicht zuletzt gegenüber den Fremden. Auch das hatte sie zu Hause so nicht kennengelernt. „Die Welt ist größer als unsere Zwei-Zimmer-Wohnung zu Hause.“ Diese Erkenntnis hat sie beflügelt. Damals wurde im Leben der jungen Frau so etwas wie ein Grundstein gelegt: für ein politisches Denken, das sie nie wieder abgelegt hat.

Da war es für sie naheliegend, dass sie sich mit dem Umzug nach Berlin als damals 60-Jährige bei den OMAS GEGEN RECHTS engagiert. Die vier Kinder, die sie als alleinerziehende Mutter großgezogen hatte, waren aus dem Haus. Ein erfülltes und reiches Berufsleben lag hinter ihr. Da kamen ihr diese etwa gleichaltrigen, engagierten Großmütter gerade recht. Und so kann man sie heute so manches Mal in Berlin-Reinickendorf vor der Bundeszentrale der AfD in dieser kleinen Gruppe von Protest-Frauen treffen. „Neulich“, freut sie sich, „haben wir da an einem unserer Info-Tische an zwei Tagen je zwei Stunden gestanden und 300 Unterschriften gesammelt. Ihre Gruppe, zu der gut 40 Frauen gehören, ist eine von dreien in Berlin.

Die 67-Jährige streicht sich durch das kurze grauschwarze Haar und lacht. Hatte sie früher an den Ostermärschen oder den Demonstrationen nach Tschernobyl mit einer gewissen Radikalität teilgenommen, so hat sie heute gelernt: Mit Boxen erreichst du nicht viel. „Man kann die Dinge mit Kopf und Herz auch anders regeln“, sagt sie. Einmal im Monat wird thematisch gearbeitet, auch mal ein Podium vorbereitet – wie jüngst im Gemeindehaus in Dahlem zum Thema Reichsbürger.

Die OMAS GEGEN RECHTS hat sie bei ihrer Ankunft in Berlin bei einer der großen Pro-Europa-Demonstrationen auf dem Gendarmenmarkt kennengelernt. Unverkennbar hatten sie sich damals mit großen Schildern und Plakaten beteiligt. Wichtig war ihr, dass die Frauen gegen eine menschenverachtende Umwelt demonstrieren. Wichtig ist ihr aber auch bis heute, dass hier Bündnisse geschmiedet werden. „Nur wenn sich viele für Demokratie einsetzen, vor allem dabei auch fest zusammenhalten, hat die auch eine Überlebenschance“, ist sie überzeugt.

Die Radierung von Käthe Kollwitz „Saatfrüchte dürfen nicht zermahlen werden“, auf der die Künstlerin ihre Arme schützend über den Kindern ausbreitet, hat sie in ihrem Leben begleitet. „So wollen wir uns als OMAS GEGEN RECHTS auch schützend vor die nächsten Generationen stellen“, sagt die gelernte Krankenschwester, die später als medizinische Dokumentarin in der Tumordokumentation in Witten und Düsseldorf gearbeitet hat. So nimmt sie mit den OMAS GEGEN RECHTS an den Märschen der jungen Umweltaktivisten Fridays for Future teil, bringt der „letzten Generation“, die sich auf den Straßen festklebt, auch schon mal „rettende Lebensmittel“.

Eine Zeitlang hat sie in der Türkei gelebt, ist dann wieder nach Deutschland gezogen. Auch hier lernt sie immer wieder dazu. „Als ich neulich im brandenburgischen Bad Frankenwalde unterwegs war, habe ich den Button OMAS GEGEN RECHTS von meiner Tasche entfernt“, gesteht sie. Und wird dann nachdenklich. „Immer wieder müssen wir miteinander sprechen. Auch darüber, was es heißt, Angst vor den Rechten zu haben.“

Als Anna Ohnweiler an diesem dunklen Winterabend nur wenige Tage nach ihrem Fernseh-Auftritt im SWR nach Hause kommt und die Post aus dem Kasten nimmt, traut sie ihren Augen nicht.

„Wir brauchen keine Omas gegen Rechts, wir brauchen gute Omas gegen Links“, stand da. Und: „Wenn du nicht verschwindest, hetzen wir dir Herrn Mengele Junior auf den Hals, der dich im grauen Auto abholt.“ Dann folgte eine furchtbare Morddrohung. Wie die engagierte Frau an diesem Abend vor vier Jahren ihre Wohnung im sechsten Stock erreichte, weiß sie bis heute nicht genau. Nur, dass die Polizei ihr sofort Schutz anbot, ihre Tochter, die Anwältin ist, sie beruhigte, und die Sache schließlich dem Staatsschutz übergeben wurde, weil sie ja für den Gemeinderat kandidierte.

Die heute 73-Jährige, die in Nagold im Schwarzwald lebt, ist die Gründerin der OMAS GEGEN RECHTS in Deutschland. Den Aufruf dazu hatte sie am 27. Januar 2018 früh morgens auf Facebook gestartet, spontan meldeten sich bis zur Mittagszeit 500 Menschen aus ganz Deutschland. „Nicht nur Omas, sondern auch Männer und sogar Jugendliche waren darunter“, lacht sie. Inzwischen, hat sie recherchiert, gibt es 20 000 Menschen in Deutschland, die sich bei dieser parteiübergreifenden Initiative engagieren.

Für sie steht fest: „OMAS GEGEN RECHTS, das ist nicht zuallererst der Name, sondern eine Haltung“ – und zwar gegen „den subtilen Antisemitismus in der Mitte der Gesellschaft“, gegen die Verharmlosung der Shoa, gegen die Verbrechen in der Nazizeit. Als Beispiele nennt Anna Ohnweiler die Querdenker, die mit einem Judenstern gegen die Impfpflicht auf der Straße waren, oder die Kinderschuhe, die sie vor dem Brunnen in Nagold aufgestellt hatten, weil Impfen auch Kinder töte. „Durch Auschwitz“, sagt die studierte Romanistin und Germanistin, „sind Kinderschuhe das Symbol des Todes, das man nie missbrauchen darf.“ Als Auslöser für die Gründung der Bewegung, die in Österreich schon ein Jahr länger existierte, nennt sie eine subtile Äußerung des Chefs der Salzburger Identitärenbewegung. Als Frühaufsteherin hatte sie in ihrer Online-Zeitung von ihm diese Bemerkung zu den österreichischen OMAS GEGEN RECHTS gelesen, die sie aufgeregt hat. Darin hatte er sinngemäß gesagt, wenn man schon zu alt ist, um für die Gesellschaft noch nützlich zu sein, und vor lauter Emanzipation noch nicht mal stricken gelernt hat – seine Oma würde sich für diese Alten schämen. Sofort lief bei Anna Ohnweiler das Kopfkino an: Zu alt, um noch für gesellschaftliche Belange nützlich zu sein? Ein Menschenleben, einsortiert als nützlich oder lebensunwert?

Schon als Kind hatte sie das in ihrer rumänischen Heimat in Siebenbürgen im Blick auf die Roma und Sinti erlebt. Diese Menschen, die sie damals schon faszinierten. „Ich liebe die bunten Farben und bin immer auf deren Hochzeitsfeiern gegangen“, lacht sie. In den 70er Jahren ist sie mit ihrem Mann nach Baden-Württemberg ausgereist, als das Leben unter dem Diktator Nicolae Ceaușescu immer unerträglicher wurde. Hier in der Bundesrepublik hat sie zwei Kinder geboren. Hier hat sie nach zahlreichen Weiterbildungen zwei große berufliche Bildungszentren des christlichen Jugenddorfwerkes in Altensteig und Vaihingen mit 90 und 190 Mitarbeitenden geleitet. Neben der Berufsvorbereitung und Ausbildung gehörte eine Kinderkrippe für behinderte Kinder dazu und eine Wohngruppe für Menschen mit seelischen Belastungen.

Dass sich fünf Jahre nach der Gründung so viele Menschen bei den OMAS GEGEN RECHTS engagieren, freut sie. „Gleichwohl“, sagt Anna Ohnweiler, „bin ich kein Star. Jede und jeder an seinem Platz. Das macht unsere Bewegung aus.“

Bettina Röder hat Kunsterziehung, Kunstgeschichte und Deutsch studiert. Sie hat als Lehrerin, Redakteurin und Journalistin gearbeitet, zuletzt als Verantwortliche Redakteurin im Berliner Büro der Zeitschrift Publik Forum. Heute lebt sie als freie Journalistin in Berlin. www.publik-forum.de/Autor/bettina-roeder Who is who Die Menschen hinter den Buchstaben 74 leicht&SINN April 202

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