Ich war in einer Rodin-Ausstellung vor einer gewaltigen Bronzehand, der „Hand Gottes“ stehen geblieben. Die Handfläche war halb geschlossen, und in ihr rangen ekstatisch ein Mann und eine Frau und hielten sich umschlungen.
Ein Mädchen näherte sich mir. Auch sie war von der ewigen Spannung in dieser Gruppe tief betroffen. Sie war schlank und von guter Figur und hatte blondes dichtes Haar, kräftige Kiefer und schmale Lippen. Sie machte einen entschlossenen und männlichen Eindruck. Ich bin sonst für belanglose Gespräche nicht leicht zu haben, ich weiß nicht, wie ich dazu kam, sie anzureden:
„Woran denken Sie?“
„Wie man dem entfliehen könnte!“ murmelte sie verdrossen. „Wohin? Die Hand Gottes ist überall. Es gibt keine Rettung. Bedauern Sie das?“
„Nein. Vielleicht ist die Liebe die größte Freude auf unserer Erde. Vielleicht.
Aber jetzt, wo ich diese Bronzehand sehe, möchte ich am liebsten das Weite suchen.“
„Sie ziehen die Freiheit vor?“
„!Ja.“
„Aber wenn wir nur frei sind, wenn wir der bronzenen Hand gehorchen? Wenn das Wort ‚Gott' nicht den oberflächlichen Sinn hat,
den ihm die breite Masse gibt?“
Sie blickte mich unruhig an. Ihre Augen glänzten wie graues Metall, ihre Lippen
waren trocken und verbittert.
„Ich verstehe Sie nicht“, sagte sie und entfernte sich erschrocken.
aus: Alexis Sorbas, © by F.A. Herbig Verlag GmbH München. Übersetzung von Alexander Steinmetz, überarbeitet von Isidora Rosenthal-Kamarinea
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