Für Valencia und Nils ist es die ganz große Liebe. Sie heiraten, ihre beiden wundervollen Kinder kommen zur Welt. Dann trennt sich Nils. Er habe, sagt er, vom Leben mehr erwartet, und für seine neue Lebensphase sei Valencia nicht der passende Match.
Eine Ehe muss heute nicht auf Biegen und Brechen aufrechterhalten werden, und es ist normal, im Lauf eines Lebens mehrere Liebesbeziehungen einzugehen. Zugleich steigen die Ansprüche. Liebesbeziehungen müssen weit mehr leisten als früher.
„Nichts ist mehr sicher, aber es geht immer irgendwie weiter“. Dieser Satz fasst laut der Shell-Studie Jugend 2015 (S. 36) das Lebensgefühl junger Menschen zusammen: Ich weiß nicht, ob ich da, wo ich leben möchte, einen Job finde. Wenn ich einen habe, weiß ich weder, ob ich ihn behalten werde, noch, ob ich mir meine Wohnung auf Dauer leisten kann. Und auch, wenn ich ordentlich in die Rentenkasse einzahle, weiß ich nicht, ob es im Alter reichen wird. Der Autor Michael Nast schreibt: „Alles verändert sich, und zwar immer schneller. Veränderung bringt immer Unsicherheit. Viele sind verunsichert, orientierungslos. Das Leben ist immer weniger planbar. Der Halt, der Ankerpunkt fehlt.“1 Die Sehnsucht nach diesem Halt ist da und wird, glaubt man den Umfragen, mit der stabilen Liebesbeziehung in Verbindung gebracht. Sie soll der Fels in der Brandung sein, das, was bleibt. Der Ort, wo ich angenommen werde, wie ich bin. Je unsicherer das soziale und berufliche Umfeld ist, desto mehr soll die Beziehung Sicherheit und Verlässlichkeit bieten. Treue, Leidenschaft, Seelenverwandtschaft, gleiche Interessen und Ziele, selbstverständlich Gleichberechtigung, Kommunikationsfähigkeit, sexuelle Kompatibilität und Attraktivität – die Theologin Isolde Karle spricht von „hoch getriebenen Glückserwartungen“ an die Liebesbeziehung.2 „Was Beziehungen angeht, bin ich halt sehr anspruchsvoll.“ Dieses Satz ist heute der normalste der Welt. Mit dieser Haltung aber wird jede Beziehung zum Projekt. Und hier schlägt die Stunde des Neoliberalismus. Er bietet nicht nur die Instrumente der Partnersuche, sondern vor allem das Gefühl der Kontrolle: die Dinge – also die Liebe – steuern und beschleunigen zu können.
Die Soziologin Eva Illouz hat unzählige Interviews mit Paaren und Geschiedenen geführt und konstatiert: „Seit Ende der 1970er Jahre sind Ehe und stabile Beziehung optional geworden und werden oft nur nach einer erschöpfenden, kostenintensiven Suche einschließlich Beratung und Therapie eingegangen.“3 Um die oder den Richtige_n zu finden, reicht es nicht, einfach zu warten; dies Projekt muss zielgerichtet angegangen werden. Dazu bieten sich Online-Dating-Unternehmen an. Mit Erfolg: Sieben Millionen Menschen suchen eine_n passende_n Partner_in online. Unternehmen wie Parship, Elitepartner oder eDarling liefern diese Dienstleistung und setzen damit über 200 Millionen Euro jährlich um. „Matching-Algorithmen“ suchen nach hohen Übereinstimmungen in Wünschen und Interessen der Suchenden. Bei Marktführer Parship muss zur Anmeldung ein umfassender Fragebogen ausgefüllt werden. Prof. Hugo Schmale, der den Fragebogen entwickelt hat, sagt: „Die Menschen wollen ihr Leben rationalisieren, kontrollieren. Sie wollen sich nicht verlieben und nach 14 Tagen wieder in den Keller fallen, dafür haben sie heute gar keine Zeit mehr.“
Liegt es wirklich nur daran, dass Menschen nicht ihre Zeit in Kneipen oder auf Partys verplempern wollen, um die große Liebe zu finden? Vielleicht spielt auch die Angst vor Zurückweisung eine Rolle? Wenn ich weiß, dass mein Gegenüber auch auf der Suche nach einer festen Beziehung ist, und Fachleute schon wissenschaftlich ermittelt haben, dass wir gut zueinander passen, ist die Gefahr geringer. Wer macht sich schon gern verletzlich? Gänzlich ausgeschaltet wird die Gefahr durch die arrangierte Ehe, die gar nicht das Einverständnis der Bindungswilligen benötigt. Dass arrangierte Ehen kein Relikt der Vergangenheit sind, beweist die SAT1-Serie „Hochzeit auf den ersten Blick“. Hier werden heiratswillige Menschen ausgiebigen Tests durch Soziologen, Therapeuten und Sexualwissenschaftler unterzogen, die ermitteln, wer das richtige „Match“ füreinander darstellt. Die beiden Ausgewählten heiraten dann vor laufender Kamera, ohne einander jemals zuvor gesehen zu haben. Die TV-Serie und die Kontaktbörsen im Netz vermitteln: Kontrolle ist möglich – und am besten überlässt man sie Fachleuten. Das Gefühl hat sich aus dem ersten Auswahlverfahren komplett verabschiedet. Die Kundschaft zahlt für das Aussieben der „Unpassenden“, die Firma verspricht: „Alle elf Minuten verliebt sich ein Single über Parship.“
Bevor es die Online-Partnerbörsen gab, war es dem Zufall – oder Gottes Fügung – überlassen, ob man die große Liebe traf oder nicht. Jetzt suggeriert der Markt, dass es eine unendliche Fülle an Möglichkeiten gibt. Bezahle ich die Gebühr, liefert mir die Online-Partnerbörse 150 Personen, unter denen ich auswählen kann. „Es ist wie auf einem Markt“, sagt Eva Illouz. „Hier sind die Menschen wie Waren auf einem Tisch ausgelegt, es ist ein bisschen wie ein Buffet.“ An die Stelle von Romantik und Leidenschaft tritt die Rationalität des Markes, des Abwägens und Vergleichens, des Rankings und der Bewertung. Illouz zufolge sind Menschen, die andere im wirklichen Leben kennenlernen, eher bereit, über Mängel hinwegzusehen und das Gegenüber für gut genug zu befinden; Nutzer_innen von Datingportalen tendieren eher dazu, jemandem wegen Kleinigkeiten einen Korb zu geben. Denn schon morgen werden mir ja neue Angebote vorgelegt, und wer weiß? Vielleicht ist ja etwas Besseres dabei.
Die treibende Kraft dabei ist Unzufriedenheit. Ohne sie kann der Markt nichts verkaufen. Ist die Kundschaft mit einem Produkt zufrieden, braucht sie kein neues mehr – es sei denn, dass durch Vergleichen bestimmte Eigenschaften des alten Produkts als Mängel in Erscheinung treten. Dann wird das bessere gekauft und der Kreislauf beginnt von neuem – der verdauerte Konjunktiv: Es könnte noch was Besseres geben, man sollte noch mal prüfen. Michael Nast resümiert: „Es lässt sich letztlich alles darauf herunterbrechen, wie die Wirtschaft funktioniert. Die ist auf Wachstum ausgelegt, man muss sich immer weiter verbessern. Dieses Prinzip haben wir so verinnerlicht, dass wir es auch auf den zwischenmenschlichen Bereich anwenden. Und das braucht die Gesellschaft: unzufriedene Leute, die immer das Gefühl haben, es fehlt noch was.“ (HAZ 2/2016)
Ist die Beziehung gefunden, geht es erst richtig los. Sie ist nicht einfach „da“, sondern muss ständig optimiert werden. „Beziehungsarbeit“ ist das Zauberwort. Wir arbeiten nicht nur, um Geld zu verdienen, wir arbeiten an unserem Körper, wir arbeiten an unserer Beziehung. Der Markt mahnt uns, in unsere Beziehung zu investieren: Wer „ein Geschäft aufbauen will, wird sich die Bedürfnisse seiner Kunden anhören und sie mit all seinen Anstrengungen erfüllen wollen. Denn sonst hat sein Geschäft keinen Erfolg und ist zum Scheitern verurteilt. Er wird darin viel Geld, Zeit und Energie investieren. Warum sollte man das mit seinem Herzensprojekt – der eigenen Beziehung – anders handhaben?“ So ein Online-Beziehungsberatungsunternehmen. Die Beziehung wird zu einem Geschäft, in das man investiert. Firmen bieten – natürlich gegen Gebühr – ein EPL (Partnerschaftliches Lernprogramm) zur Ehevorbereitung und KEK (Konstruktive Ehe und Kommunikation) für Ehepaare an. Besonders wichtig ist dabei das Beziehungskonto: Es ist darauf zu achten, dass beide regelmäßig einzahlen, sodass sie in anderen Situationen auch wieder etwas abheben können. Einzahlen erfolgt beispielsweise, wenn man ihm Blumen mitbringt oder sie zum Essen ausführt.
Die Einpassung von Beziehung in die Logik des Marktes vermittelt: Um deine Beziehung zu finden und dann gut zu führen, brauchst du neoliberales Denken – investieren, Einzahlungen vergleichen, bewerten, optimieren. Der Neoliberalismus hat nie genug – es gibt keine Grenze. Ein regelmäßiger Beziehungscheck sagt mir, ob es noch Sinn hat, weiter in diese Beziehung zu investieren; lohnt es sich nicht mehr, wird sie beendet und expertenunterstützt jemand Neues gesucht. Die Beziehung wird so zur Tauschbeziehung. Unter den Bedingungen des Marktes und auf der Basis des Ideals der Selbstverwirklichung ist sie zu einem Instrument der eigenen Wohlfühloptimierung geworden. Die Beziehung soll mich weiterbringen, mir einen Kick geben, mein Lebensgefühl verbessern. In einer Gesellschaft, in der die „Fähigkeit, die eigenen Interessen zu wahren, zum Synonym für geistige Gesundheit geworden ist“ (EI, 296), hat die Beziehung ihren Nutzen für die Beteiligten zu erweisen. Was hat das mit Liebe zu tun?
„Ich will alles / Ich will alles / Sperr' mich nicht ein / Ich will nie mehr / Zu früh zufrieden sein“, sang Gitte in den 1980er Jahren. Es war das Aufbegehren gegen weibliches Aushalten, Mitmachen, Stillhalten. Von Frauen wurde erwartet, dass sie sich bescheiden, nicht aufrechnen, Kompromisse machen aus Liebe. Dagegen ist es nun nur richtig, Ansprüche an den Partner/die Partnerin zu stellen und genau hinzuschauen und zu vergleichen, wer wie viel auf das Beziehungskonto einzahlt. Hilft die neoliberale Logik Frauen aus der Bescheidenheitsfalle?
Eva Illouz kritisiert jenen Feminismus, der dazu tendiert, jede selbstvergessene Leidenschaft, jedes selbstlose Verhalten und Risiko, sich selbst zu verschwenden, als falsche Form der Anhänglichkeit versteht. Dabei steht außer Frage, dass in Beziehungen Gerechtigkeit gelebt werden muss und gegenseitige Achtsamkeit – gerade mit Blick auf die Gefahr der Wiederholung alter Rollenmuster – bedeutsam ist. Aber muss dies in einen Tauschhandel münden, in eine Logik von Investition und Rendite? Leidenschaft und Vernunft müssen sich ja nicht ausschließen. „Ich bin ganz für Vernunft, aber ganz gegen Berechnung. Leidenschaft darf nicht von der Vernunft getrennt sein. Es ist grundfalsch, jemanden zu lieben, der einen nicht zurückliebt.“ (in einem Interview) Zugleich basiert Liebe auch auf der Bereitschaft zum Verzicht. „Sich zu binden bedeutet, eine Wahl zu treffen, mit der man auf die Möglichkeit verzichtet, sein künftiges Wohl um jeden Preis zu steigern.“ (EI, 187) Das heißt: Da, wo das Tauschbeziehungspaar sich trennt, weil das Gegenüber das eigene Wohl nicht mehr in ausreichendem Maß zu steigern vermag, hat die Liebe ihren Ort.
Der Bestseller von Michael Nast heißt „Generation Beziehungsunfähig“. Nast beschreibt Leute seiner Generation zwischen 20 und 35, denen es schwer fällt sich zu binden, die nicht kompromissbereit sind und Konflikten mit einer hohen Trennungsbereitschaft begegnen. Aber lässt sich das von einer ganzen Generation behaupten? Sind das nicht eher Tendenzen in der Gesellschaft? Einmal angenommen, es handelt sich um eine Tendenz neben anderen, wäre das schon Grund genug zur Sorge. Die vielen Kund_innen von Online-Kontaktbörsen lassen nicht darauf schließen, dass wir es mit einem Randphänomen zu tun haben. Vielleicht ist es jetzt Zeit, sich mit Leidenschaft für leidenschaftliche geschlechtergerechte Beziehungen stark zu machen.
Dr. Eske Wollrad, geb. 1962, ist Theologin und Geschäftsführerin des Evangelischen Zentrums Frauen und Männer gGmbH.
Anmerkungen
1) Michael Nast: Generation Beziehungsunfähig, Duisburg 2016, S. 56
2) Isolde Karle: Liebe in der Moderne. Körperlichkeit, Sexualität und Ehe, Gütersloh 2014, S. 177
3) Eva Ilouz: Warum Liebe weh tut, Berlin 2012, S. 119
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