Ausgabe 2 / 2022

Du bist Gott und siehst mich.

Andacht mit der Jahreslosungskarte

Lied   Da wohnt ein Sehnen tief in uns
          freiTöne125

Willkommen, Frau.
Du bist eingeladen.
Komm zu uns.
Komm zu dir selbst,
Komm zur Ruhe.
Sei da.
Einfach da.

Stille


Die erste Frau der Bibel, die Gott einen Namen gibt, ist Hagar. Sie war fremd in Israel. Sie war eine Frau, die für ihre Herrin ein Kind zur Welt brachte, das diese selbst nicht bekommen konnte. Sie war die Frau, die in die Wüste geschickt wurde. Hagar. Ihr Name bedeutet „die Fremde“. Der Name ihres Sohnes Ismael zeigt etwas Neues: „Gott hört“. In der Hagargeschichte geht es darum, dass Gott sie sieht. Und doch lautet der Name ihres Sohnes „Gott hört“. Sie wurde gesehen, und ihr Anliegen wurde erhört. In der hebräischen Bibel weisen Namen oft auf die Bedeutung der Geschichten hin. Hagar ist nicht denkbar ohne Sara. Deren Name kann mit Herrin oder Fürstin übersetzt werden. Die Verhältnisse werden schon in den Namen klargestellt. Hören wir ihre Geschichte.

Lesung: Gen 16,1-16 und Gen 21,12-13
Eine Frau geht freiwillig „in die Wüste“, weil ihr ihre Lebenssituation nicht mehr erträglich scheint: „Da demütigte Sarai sie so, dass sie die Flucht ergriff, weg von ihr.“ Gen 16,10 Zwei Frauen werden zu Konkurrentinnen – eine gewohnte Situation von Frauen? Und später: Hagar wird verstoßen, sie sieht keinen Ausweg mehr. Sie ist schwanger, allein, ohne Hilfe. Eine Situation, die Frauen zu allen Zeiten kannten und für die sie Lösungen finden mussten. Hier begegnet Gott Hagar, der Fremden, und sie gibt Gott einen Namen: Du bist die Lebendige, die mich sieht. Oder wie es in der BigS heißt: „Du bist El Roï, ein Gott des Hinschauens.“ Gen 16,13 Hagar gewinnt Ansehen, indem sie gesehen wird. Wirklich gesehen, an-gesehen. Für mich eine der schönsten Stellen der hebräischen Bibel. Maria Magdalena hat Jesus nach der Auferstehung erkannt, als sie beim Namen gerufen wurde. Hier ist es die Frau, die der Gottheit, die ihr Ansehen verschafft hat, einen Na-men gibt. Auch der Brunnen, an dem die Begegnung stattgefunden hat, wird danach benannt. „Daher heißt der Brunnen ‚Brunnen der lebendigen Schau‘.“ Gen 16,14

Lied   Du bist ein Gott, der mich anschaut
         freiTöne 1

Bildbetrachtung: Karte glasklar

Eine nicht mehr ganz junge Frau spiegelt
sich in einem Glas.
Das Bild hat den Titel „glasklar“.
Ein eindeutiger Titel?
Für mich eher zweideutig.
Diese Frau blickt uns nicht an.
Ganz verträumt schaut sie.
In die Ferne?
Nach innen?

Ihr Bild wird vom Glas zurückgeworfen. Unter ihrem Auge – eine Träne, eine Spiegelung?
Wo bist Du Gott?, könnte sie denken.
Oder: Wer bin ich? Oder: Was soll ich tun?
Eine Frau, die wartet.
Eine Frau, die sieht.
Eine Frau, die gesehen wird.
Von uns.
Von Gott.

Ihr könnte zugesprochen werden, was auch Hagar und uns gesagt ist:
Du bist du. Du bist gewollt und gut, wie du bist. Lass dein Eigenes wachsen. Erkenne deine Gaben und mache sie zu Aufgaben. Sei offen dafür, dich zu verändern. Erkenne und anerkenne Veränderungen anderer. Lass dir Zeit für dich selbst, für das, was du liebst, und die, die du liebst. Finde Frieden.

Suche dir Menschen, mit denen du wachsen kannst. Höre auf deine innere Stimme. Fühle dich in dich selbst ein. Liebe dich, so wie du andere liebst.

Freue dich an dir selbst, deinem Körper, deinem Geist, deiner Seele. Gib diese Freude an andere weiter. Liebe dich selbst so, wie du auch andere liebst. Schau auf dein Leben und deine Bedürfnisse. Sei wohlwollend mit dir und anderen. Sieh, was du gut machst, und lobe dich dafür. Mache dich unabhängiger vom Urteil anderer. Lass deine Träume deine Wegweiser sein. Lebe sie. Tu zuerst das, was wenig Mut braucht. Wenn du das geschafft hast, pack an, wovor du Angst hast. Hab Vertrauen. Lass dir Vertrauen schenken.

Sei stolz auf das, was Du kannst.
Sieh jedes Mehr anderer als Geschenk an.
Teile und nehme.
Sei und werde.

Lied   Schweige und höre
          freiTöne 2

Beten wir gemeinsam aus Psalm 34:
Ich will die Ewige segnen die ganze Zeit,
immerfort soll mein Mund ihr zujubeln.
Über die Ewige soll meine Lebenskraft jubeln.
Die gebeugt sind, werden es hören, sie werden sich freuen.
Bewundert die Ewige mit mir,  lasst uns zusammen ihren Namen erheben.
Als ich die Ewige suchte, da antwortete sie mir,
aus meiner ganzen Furcht zog sie mich heraus.
Sie blickten auf zu ihr und strahlten vor Freude,
ihr Angesicht wird nicht beschämt.
Die gebeugt sind, riefen – die Ewige hörte,
und sie befreite sie aus all ihren Bedrängnissen.
Der Engel der Ewigen lagert sich schützend um die,
die sie fürchten, und rettet sie.
Nahe ist die Ewige denen, deren Herz gebrochen ist.
Deren Lebensmut zerschlagen ist, die befreit sie.
Groß ist all das Unglück der Gerechten,
aus all dem errettet sie die Ewige.
Sie bewahrt alle ihre Knochen,
keiner von ihnen wird zerbrochen werden.

Dank- und Fürbittgebet
Gott wir danken dir,
dass du uns die Möglichkeit gegeben hast zu erkennen;
dass du versprochen hast, unsere Gebete zu erhören;
dass du uns – so wie wir sind – als dein Bild geschaffen hast;
dass du uns segnest und unsere Namen groß machst.
Gott, wir bitten dich für alle, die körperlich oder seelisch misshandelt werden: dass ihr Leid nicht ewig dauert;
für alle, die vergessen, dass sie so, wie sie sind, in deinem Ebenbild geschaffen wurden;
für alle, die unsere offenen Augen, Ohren und Münder und unsere Berührungen brauchen;
für uns selbst, dass wir nie vergessen, dass unsere Namen in deine Hand eingeschrieben sind,
und dass wir nie vergessen, dass wir ein Segen sein dürfen.
Amen.


Vater/Mutter unser


Wie ein Brunnen, aus dem wir Kraft schöpfen können, ist Gott für uns alle. Durch Gott wissen wir, dass wir angesehen werden und angesehen sind.

Gott segnet uns.
Gott wendet sich uns zu.
Wir antworten Gott durch unser Leben,
in unserem Leib.
Gott hat uns gefunden.
Bevor wir Gott kannten,
kannte Gott uns.
Wir sind Gottes Ebenbild.
Wir haben Gottes Segen erfahren
und bleiben in Gottes Hand.
Wir schenken Gottes Segen weiter,
sind berührt und berühren.
Amen.


Lied   Du bist ein Gott, der mich anschaut (Hagars Lied)
          freiTöne 1

Irene Löffler hat römisch-katholische Theologie studiert und war als Religionslehrerin sowie in der Frauenseelsorge Bayern tätig. Inzwischen evangelisch-lutherisch, engagiert sie sich im CSD und im Vorstand des LSVD Bayern. Seit 1994 arbeitet sie beim WGT der Frauen mit. Sie engagiert sich für die Sichtbarkeit von Frauen und queeren Menschen in Geschichte und Gegenwart sowie für behindertengerechte Museen und Stadtführungen. Sie ist Mitglied im Redaktionsbeirat leicht & SINN.

Anmerkungen
1)
Lieder aus dem Liederbuch zum Kirchentag in Berlin, freiTöne, 2017

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