Alle Ausgaben / 2017 Material von Susanne Krahe

Durst

Von Susanne Krahe

Gott stellte Wasser bereit und bildete Adams Nieren.
Lange Zeit ging alles gut. Das kunstvolle
Zellengeflecht, das der Schöpfer gewoben hatte, nahm
seinen klaglosen Austausch von Säften und Giften vor.
Der Mensch durfte trinken, solange er durstig war.
Sobald er sich auf den Rand eines Brunnens hockte,
schöpfte Eva ihm einen erfrischenden Schluck aus der
Quelle und lieh ihm ihre Gefäße, damit er sich einen
Wasservorrat anlegen konnte.

Eines Tages besann sich der Schöpfer, erforschte
Adams Eingeweide und fand ihn zu durstig.
Kriegslüstern spannte er seinen Bogen und schoss ihm
seine Pfeile in den Rücken. Unter den
Schulterblättern stak dem Menschen nun ein Reißen
und Pochen im Fleisch. Jetzt spürte er seine Nieren,
und jetzt gaben sie Anlass zur Klage. Sein Blut
verklumpte. Der Stoffwechsel stellte das Ausatmen
ein.

Mit dem Trinken war es vorbei. Obwohl sich jetzt
alles nur noch ums Wasser drehte: Trinkmenge und
Trockengewicht und Ödeme und Durst. Durst und
geschwollene Unterlider und Harnstau und Blutwäsche
und Durst. Schweißperlen, Restausscheidung und
Flüssigkeitsentzug und Brodeln in der Lunge. Und
Punktieren. Gewebewasser, kein Speichel. Und Durst.

Durst. Er wuchs vom Körperzentrum aus in die
äußersten Zellen der Schleimhäute. Spröde Lippen,
trockene Bindehäute und eine klobige, geschwollene
Zunge im verklebten Gaumen waren nur eine
oberflächliche Not gegenüber dem Drängen, der
unersättlichen Gier in der Tiefe. Dort drinnen, ganz
nahe am beschleunigten Herzen wohnte ein Verlangen,
das nicht gestillt werden durfte. Adam lechzte nach
Wasser wie ein ausgedörrter Schwamm. Tropfen auf die
Lippen. Mehr Flüssigkeit bekam er nicht. Zwar
beruhigte er das Kitzeln in der Kehle, wenn er auf
eine bestimmte Weise das Schlucken und Würgen übte.
Den wirklichen Körperdurst aber wurde er nicht mehr
los. Der höhlte sein Inneres vom Bauchnabel bis zum
Scheitel aus. Er dachte an Wasser. Meere, Flüsse,
Brunnen, Krüge, Handmulden und Augenhöhlen voll
Wasser. Er träumte. Von nichts als Wasser. Über
seinem Schlaf lauerte ein riesiger Wassertropfen,
prall und gespannt wie ein Ballon, aber niemand
brachte den Schlauch zum Platzen.

An den Wassern Babylons. Saß ich und hätte geweint,
wenn der Durst mir Tränen übriggelassen hätte. Gott
öffnet Schleusen am Himmel, aber mich, mich tränkt er
nicht. All seine Flüsse haben die Farbe gewechselt.
All seine Ströme sind rot wie mein dickes,
vergiftetes Blut. Der Strom, der alles Fleischliche
heilt, fließt nach Osten, während ich in der falschen
Richtung warte.

Herr, gib mir zu trinken. Auf dem Brunnenrand hockte
ich mich und wartete auf Rebekka. Die reichte mir nur
eine leere Kelle mit Wasserduft. Keine Erlösung. Nie
mehr ein Tropfen Erlösung. Jerusalem wird ein
bewässerter Garten sein in der Dürre. Mich aber
dürstet. Mich dürstet.

gekürzt – vollständige Fassung im anhängenden PDF

© bei der Autorin

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