Ausgabe 1 / 2011 Editorial von Margot Papenheim

Editorial

Gesundheit

Von Margot Papenheim


Alle Wünsche werden klein gegen den gesund zu sein. Vermutlich hängt sie – fein kreuzgestickt – noch immer in abertausenden deutschen Küchen und Wohnzimmern, die Volksfassung des Schopenhauer'schen Aphorismus: Die Gesundheit ist zwar nicht alles, aber ohne Gesundheit ist alles nichts.

Hauptsache gesund! sagen werdende Eltern, gefragt, ob es denn ein Mädchen oder ein Junge werden soll. Hauptsache Gesundheit! wünschen die Gäste ab dem Renteneintrittsalter des Geburtstagskindes. Sprüche. Sprüche, die Wahres enthalten – das Wissen darum, dass Gesundheit nicht käuflich ist, sondern ein Geschenk des Himmels. Sprüche, die zugleich zutiefst fragwürdig sind – gedankenlos, bedenkenlos die Frage umgehend, ob geglücktes Leben nicht auch trotz, mit Krankheit und Behinderung möglich ist.

Umsonst ist die Gesundheit aber auch nicht zu haben. Man bekommt sie nicht im Handel, sondern durch den Lebenswandel, reimt der allzeit aktuelle Gesundheitsratgeber Sebastian Kneipp. Wie immer etwas eleganter als alle anderen formuliert Lichtenberg, dass die Gesundheit es lieber sieht, wenn der Körper tanzt, als wenn er schreibt. Wobei neben der körperlichen Ertüchtigung auch Geist und Seele die Gesundheit beeinflussen. Schon Thomas von Aquin befand, dass Gesundheit weniger ein Zustand denn eine Haltung sei – und mit der Freude am Leben gedeihe. Und natürlich fehlen in der Schar derer, die zu lesen geben, was gesund macht, auch die Maßhalte-Vertreter nicht. Allen voran der Reformator selbst: Gib dem Leibe nicht mehr Futter, denn daß ihm not ist, die Gesundheit zu erhalten, und lasse ihn arbeiten und wachen, daß der alte Esel nicht zu mutwillig werde und aufs Eis tanzen gehe, und breche ein Bein, sondern gehe im Zaum und folge dem Geiste. Also doch nicht tanzen? Wie man/frau es macht, es ist verkehrt, beobachtet Voltaire: In der ersten Hälfte unseres Lebens opfern wir unsere Gesundheit, um Geld zu erwerben, in der zweiten opfern wir unser Geld, um die Gesundheit wiederzuerlangen. Und während dieser Zeit gehen Gesundheit und Leben von dannen …

Leicht amüsiert nehme ich wahr, dass mir bei meiner Suche nach kernigen Gesundheits-Zitaten fast ausschließlich Männer begegnen. Zufall? Oder nahe liegend, weil sie allesamt ein wenig hypochondrisch sind? Zugegeben – ein typisch weibliches Vorurteil, wenn auch durch einiges an Lebenserfahrung gespeist. Was allemal stimmt, ist, dass Frauen und Männer unterschiedlich mit Gesundheit umgehen. Dem trägt diese Ausgabe der ahzw vielfach Rechnung.

Übrigens: Der Einwand, der Seitensprung, das fröhliche Misstrauen, die Spottlust sind Anzeichen der Gesundheit. Alles Unbedingte gehört in die Pathologie. Sagte wer? Friedrich Nietzsche. Der Mann, der mit 34 Jahren seine Professur in Basel niederlegte – wegen Krankheiten, die ihn für den Rest seines Lebens begleiten sollten. Umsorgt und gepflegt von Mutter und Schwester.

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