Ausgabe 1 / 2003 Artikel von Christiane Herrlinger

Ein Buch – viele Bibeln

Zum Umgang mit Übersetzungen der Schrift

Von Christiane Herrlinger

(gekürzt)

Vielen Menschen ist nicht bewusst, dass sie nicht einfach „die Bibel“ in ihrem Regal stehen haben, sondern eine von vielen Übersetzungen der biblischen Texte ins Deutsche. Die Texte des Alten Testaments sind in hebräischer und aramäischer Sprache verfasst worden, die des Neuen Testaments in Griechisch. Wer diese alten Sprachen nicht gelernt hat, ist auf eine Übersetzung angewiesen. Aber welche nehmen?

Viele schwören verständlicherweise auf die Bibelübersetzung, mit der sie groß geworden sind. Tatsache ist aber: Es gibt nicht „die“ eine Bibelübersetzung. Generell kann eine Übersetzung das Original nie 1:1 wiedergeben. Bei der Bibel kommt als zusätzliches Problem der große historische und kulturelle Abstand hinzu. Daraus ergeben sich Schwierigkeiten: Die Strukturen unserer Sprache unterscheiden sich stark von denen der originalen Bibelsprachen und ebenso die Denkmuster, in denen wir uns bewegen. Uns fehlt zudem Wissen über die damaligen Lebensverhältnisse, sodass es zu Missverständnissen kommt. Wer sich etwa in der Erzählung von der Gelähmtenheilung, bei der der Kranke durch ein Loch im „Dach“ zu Jesus heruntergelassen wird, ein Giebeldach vorstellt, wird eine sehr waghalsige Aktion vermuten. Tatsächlich handelt es sich um ein begehbares Flachdach, auf dem sich bei entsprechendem Wetter auch sonst das Familienleben abspielte…

Wichtige Bibelübersetzungen im Überblick

Die Lutherbibel (LB) ist „die“ Bibelübersetzung im evangelischen Raum. Zwischen 1521 und 1534 übersetzt Martin Luther zuerst das Neue, dann das Alte Testament aus den Ursprachen und feilt daran bis zu seinem Tod.
Luther übersetzt über weite Strecken nach dem philologischen Prinzip, prägt der Übersetzung aber auch sein eigenes theologisches Verständnis auf. Für ihn steht Gottes Heilstat in Jesus Christus im Zentrum der biblischen Botschaft. Um dies herauszuarbeiten, trägt er Begriffe wie Glaube, Gnade, Trost auch an Stellen ein, an denen der griechische oder hebräische Wortlaut es nicht unbedingt erfordert.
Wo es ihm für das Verständnis wichtig scheint, löst er sich vom Wortlaut und gibt den Sinn frei wieder. Bekannt geworden ist sein Grundsatz, man müsse „dem Volk aufs Maul schauen“. Besonders bei den Psalmen hat Luther sprachliche Bilder aus dem semitischen Raum genial in die deutsche Vorstellungswelt übertragen. Psalm 63,6 z.B. lautet wörtlich: „Wie von Mark und Fett wird meine Seele gesättigt werden“. Luther umschreibt treffend: „Das ist meines Herzens Freude und Wonne“.
Luthers Bibelübersetzung hat die Entwicklung der deutschen Sprache und Literatur nachhaltig beeinflusst. Viele unserer Redewendungen und Sprichwörter stammen aus der LB („Wer andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein.“ Prediger 10,8). Seine kraftvolle und poetische Ausdrucksweise bleibt im Gedächtnis haften. Dennoch ist der gehobene Stil Luthers nicht immer leicht verständlich, wirkt mitunter auch altertümlich. Seit Ende des 19. Jh. wurde der Text mehrfach revidiert, um ihn an modernen Sprachgebrauch anzupassen. Von manchen werden diese Revisionen als Verwässerung der Luthersprache empfunden, doch haben sie dazu beigetragen, die LB lebendig und lesbar zu erhalten. In der Revision von 1984 bildet die LB heute den offiziellen Text der evangelischen Kirchen in Deutschland für Gottesdienst und Unterricht.

Die Einheitsübersetzung (EÜ) ist der offizielle Bibeltext der römisch-katholischen Kirche im deutschsprachigen Raum. Bis zur ersten Hälfte des 20. Jh. benutzte die katholischen Kirche verschiedene Übersetzungen, deren Grundlage nicht immer (oder nicht nur) die hebräischen bzw. griechischen Texte waren, sondern die Vulgata, die große lateinische Bibelübersetzung seit der alten Kirche. Im Geiste des Konzils gaben die deutschen römisch-katholischen Bischöfe Anfang der 60er Jahre eine neue Übersetzung aus den Ursprachen in Auftrag. Sie sollte als einheitlicher Text für alle deutschsprachigen Diözesen gelten (daher der Name „Einheitsübersetzung“). 1978 erschien die Endfassung der vollständigen Bibel. Da die Psalmen und das Neue Testament auch im offiziellen Auftrag der Evangelischen Kirche und unter Mitarbeit evangelischer ÜbersetzerInnen entstanden, bieten diese Teile einen ökumenischen Text.
Auch die EÜ ist dem Typ nach eine philologische Übersetzung mit einigen kommunikativen Einschlägen. Ihre Sprache ist nicht so kraftvoll wie die der LB, dafür aber auch ohne deren Altertümlichkeit. Sie bietet ein gehobenes, aber gut verständliches Gegenwartsdeutsch. Da die Übersetzung bewusst darauf achtet, dass die Texte sich nicht nur zum Lesen sondern auch zum Vortragen und ggf. Singen eignen, lesen sich gerade die Psalmen großenteils kaum weniger eingängig und poetisch als in Luthers Fassung.

Die Gute Nachricht Bibel (GNB) ist vor allem für diejenigen eine wertvolle Hilfe, denen die Kirchensprache fremd ist, aber auch als leicht verständliche Studienbibel. Sie wurde im Auftrag der deutschsprachigen evangelischen Bibelgesellschaften und katholischen Bibelwerke von ÜbersetzerInnen beider Konfessionen erarbeitet und ist damit die erste und einzige vollständig interkonfessionelle deutsche Bibelübersetzung. Auch wenn sie kein kirchenamtlicher Text ist und somit nicht offiziell in Gottesdienst und Unterricht eingesetzt wird, hat die GNB weite Verbreitung gefunden.
Sie ist in einfachem modernem Deutsch verfasst und vermeidet bewusst die vielen Menschen heute nicht mehr vertraute Kirchensprache. Als konsequent kommunikative Übersetzung will die GNB vor allem, dass die Texte heute dieselben Informationen vermitteln und Gefühle wachrufen wie damals. Deshalb löst sie sich wo nötig vom Originalwortlaut und formuliert frei, aber so, dass dadurch der ursprüngliche Sinn unmittelbar verständlich wird. Wo es etwa in der LB heißt, Johannes der Täufer „predigte die Taufe der Buße zur Vergebung der Sünden“ (Mk 1,4), da schreibt die GNB, dass Johannes „den Menschen verkündete: ‚Kehrt um und lasst euch taufen, denn Gott will euch eure Schuld vergeben.'“
Außerdem werden im Text enthaltene Informationen, die wir heute nicht mehr ohne weiteres durchhören können, ausdrücklich mitgeteilt. So wird etwa bei der oben erwähnten Gelähmtenheilung vom „flachen Dach“ gesprochen statt nur vom „Dach“. Dabei werden aber keine textfremden Informationen zugefügt. Wo die Übersetzung stark vom Wortlaut abweicht, ist in der Regel die wörtliche Übersetzung in einer Fußnote angegeben, damit der Übertragungsprozess nachvollziehbar wird.
Hervorgegangen aus der „Bibel in heutigem Deutsch“ von 1982 liegt die GNB seit 1997 in einer überarbeiteten Fassung vor, seit 2000 in einer nochmals durchgesehenen Ausgabe. Seit der Revision von 1997 gilt die GNB als zuverlässigste der kommunikativen deutschen Bibelübersetzungen.

Frauengerechte Sprache?

Zu Recht fordern Frauen heute von einer Bibelübersetzung nicht nur Zuverlässigkeit und Verständlichkeit: Die Frage nach einer frauengerechten Übersetzung ist in den Blickpunkt gerückt. Dabei geht es nicht darum, aus dem „Vaterunser“ ein „Mutterunser“ zu machen oder aus „Gott“ eine „Göttin“. Die Bibel ist in einer patriarchalen Welt entstanden und von ihr auch geprägt. Stellen, an denen dies zum Ausdruck kommt, sollten nicht verwischt oder uminterpretiert werden. Denn nur, wenn sie erkennbar bleiben, ist eine ehrliche Auseinandersetzung mit ihnen möglich.
Aber die Bibel kennt auch ganz andere Töne. Da treten Frauen in dieser von Männern dominierten Welt unerschrocken und selbständig auf und sind wichtige Handlungsträgerinnen. In der urchristlichen Gemeinde waren sie – ganz entgegen der damaligen Gesellschaftsordnung – den Männern in vielen Dingen gleichgestellt. Und Gott, dem „Vater“, werden zuweilen auch sehr mütterliche Eigenschaften zugeschrieben. Solche Impulse dürfen nicht durch eine männerzentrierte Übersetzung verschüttet werden, wie es lange Zeit unbemerkt und unhinterfragt geschehen ist. So wird z.B. traditionell die Anrede der Gemeinde in den Paulusbriefen mit „Brüder“ wiedergegeben, obwohl das griechische Wort adelphoi je nach Zusammenhang auch „Geschwister“ bedeuten kann (im leiblichen und übertragenen Sinn). Die Gemeinden bestanden zweifellos aus Männern und Frauen, sodass eine korrekte Übersetzung eigentlich „Brüder und Schwestern“ lauten müsste.
Musterbeispiel für das Zurückdrängen von Frauen in Bibelübersetzungen ist die in Römer 16,7 genannte Apostelin Junia. Da der Name im Akkusativ steht (Junian), ist grammatisch nicht eindeutig, ob es sich um den damals geläufigen Frauennamen Junia oder um einen Männernamen („Junias“) handelt. Dieser ist allerdings in der außerbiblischen Literatur nicht belegt, und auch der Zusammenhang deutet eher auf eine Frau, die gemeinsam mit ihrem Mann Andronikus genannt wird, so wie an anderer Stelle das Ehepaar Aquila und Priszilla. Zunächst haben sich die Übersetzer denn auch immer für die weibliche Form entschieden. Doch im 13. Jh. wird in den lateinischen Übersetzungen aus Junia plötzlich „Junias“: Eine Apostelin, der Paulus zudem eine herausragende Stellung zuerkennt, konnten die Männer der Kirche sich offenbar nicht mehr vorstellen. Seitdem steht die männliche Namensform in den meisten Bibelausgaben – bis heute.

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