Ausgabe 1 / 2009 Editorial von Margot Papenheim

Ein gutes Stück Leben

Von Margot Papenheim


„Gut. Alles entspannt. Kein Stress, keine Überstunden.“ Wahrscheinlich wäre ich etwas erstaunt, antwortete mir jemand so auf die Frage, wie's denn in der Arbeit läuft. Eher würde ich erwarten, dass mein Gegenüber mit einem tiefen Seufzer darüber berichtet, wie viel zu tun ist, wie wenig Zeit für die Familie bleibt, von spontanen Treffen mit Freundinnen und Freunden, Engagement in der Kirchengemeinde oder im Sportverein gleich ganz zu schweigen.

Bei Lichte besehen dienen die Klagen über die unerträglich hohe Arbeitsbelastung oft weniger dem Ziel tröstender Zuwendung als vielmehr der Bewunderung. Denn Menschen, die viel arbeiten, genießen in unserer Gesellschaft hohes Ansehen. Je mehr Arbeit, desto höher also auch das Ansehen. Zumal, wenn sie damit viel Geld verdienen.

Ist die schier unauflösliche Verbindung von Arbeit und Ansehen der Grund dafür, dass wir alles, was Menschen in ihrem Leben tun oder tun müssen, mit dem Label „Arbeit“ versehen? Da handle ich mit meinem oder meiner Liebsten -möglichst fair die Aufteilung der am Wochenende anstehenden Besorgungen im Haushalt aus: Beziehungsarbeit. Da halte ich, mit wechselndem Erfolg, meinen Sohn dazu an, seine gebrauchten Gläser nicht auf, sondern in die Spülmaschine zu stellen: Erziehungsarbeit. Da vertrete ich meinen kirchlichen Frauenverband im Frauenforum der Kommune: ehrenamtliche Arbeit. Hausarbeit, Pflegearbeit, Trauer-arbeit. Das ganze Leben – nichts als Arbeit? Tröstlich, dass sich wenigstens einmal täglich Schlafen und ein- bis dreimal jährlich Urlaub bislang dem Sog zum Arbeitwerden erfolgreich entziehen konnten.

„Arbeite ich etwa nicht?“ Wie eng Arbeit und Ansehen miteinander verbunden sind, zeigt auch der stereotype Hinweis von Frauen, die in und für Familie und Ehrenamt leben, aber nicht berufstätig sind. Ob und inwieweit sie diese Lebensform für sich frei gewählt haben, sei dahingestellt. Unüberhörbar ist die Klage, dass ihre Leistung zu wenig Anerkennung finde. Den Protest gegen die untertönige Abwertung von Menschen, die nicht oder nicht mehr erwerbstätig sind, sein wollen oder -können, teile ich. Ich bezweifle allerdings, dass die Etikettierung aller Lebensbereiche und
-äußerungen als „Arbeit“ weiterhilft. Wäre es nicht sinnvoller darauf zu bestehen, dass Arbeit wohl das halbe Leben ist – aber eben nicht das ganze? Und, vor allem, dass gesellschaftliches Ansehen, dass Anerkennung für erbrachte Leistung auch für die anderen guten Teile des Lebens zustehen?

Diese neue Ausgabe der ahzw setzt sich schwerpunktmäßig mit beruflicher Arbeit auseinander. Sie fragt aber auch danach, wie die Arbeit denn mit den anderen guten Teilen des Lebens wieder in ein ausgewogenes Verhältnis zu bringen wäre.

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