Alle Ausgaben / 2006 Bibelarbeit von Beate Schmidtgen

Ein neuer Anfang

Bibelarbeit zu Jesaja 43,19a

Von Beate Schmidtgen


Jahreswechsel – das ist für viele Menschen immer wieder Anlass für einen neuen Anfang. Gute Vorsätze werden gefasst, Ängste und Erwartungen werden spürbar. „Siehe, ich mache Neues, jetzt sprießt es auf, erkennt ihr es nicht?“ (BigS) Die Jahreslosung für 2007 – ein Satz, der Mut machen soll und Hoffnung wecken. Ein Zuspruch, der gut zu einer Zeit des Wandels passt, wenn Vertrautes sich verändert, wenn Bekanntes ein neues Gesicht bekommt. Ein Wort, das helfen kann, die positiven Seiten der Veränderung zu entdecken.

Etwas Neues beginnt, etwas, das neues Leben möglich macht. Wie ein Samenkorn den Keimling unaufhaltsam durch die dunkle Erde nach oben schiebt, ins Licht, so wächst das Neue aus dem Verborgenen heraus, wird für alle sichtbar. Manchmal erleben wir so etwas: wie eine Entscheidung langsam reift, ohne dass wir es selbst merken, und dann scheinbar plötzlich ausgesprochen wird. Etwas, das einem Leben eine ganz neue Wendung geben kann, neue Räume öffnet.

Im Buch Jesaja, aus dem die Jahreslosung stammt, sind mit der Hoffnung auf etwas Neues ganz konkrete Erwartungen verbunden. Im Hintergrund stehen traumatische Kriegs-Erfahrungen vieler Generationen. Sie belegen die lange Entstehungszeit des Buches über mehrere Jahrhunderte hinweg. Das Nordreich Israel wurde Ende des 8. Jh. v. Chr. von den Assyrern erobert. Ungefähr 150 Jahre später haben die Invasionstruppen des Babylonischen Reiches das Königreich Juda besetzt und die Hauptstadt Jerusalem zerstört. Viele Menschen wurden verschleppt oder sind geflohen. Die Überlebenden haben sich in den Trümmern eine neue Existenz aufgebaut. Aber die Lebensbedingungen sind hart. Viele hoffen nach 50 Jahren babylonischer Herrschaft auf Befreiung, die den Menschen in Israel wieder nationale Unabhängigkeit geben soll. In dieser Situation ergreift eine prophetische Stimme das Wort. Wir wissen nichts über diese Person, es kann ein Mann oder eine Frau sein, auch eine Gruppe von Menschen ist denkbar, die sich den Traditionen des Propheten Jesaja verbunden fühlen. Nicht der Bote oder die Botin ist wichtig, sondern die Botschaft. Zu diesen Texten gehört auch die Jahreslosung 2007.

Es geht um einen Perspektivenwechsel: Das Unheil, das Jesaja vor zwei Jahrhunderten angekündigt hat, ist eingetreten. Ganz in der Tradition des Propheten Jesaja deutet diese jüngere prophetische Gestalt die politische Katastrophe als Gericht Gottes an einer Gesellschaft, die ihre grundlegenden Regeln und so ihre enge Beziehung zu Gott verraten hat. Die Gebote Gottes, die ein gutes Zusammenleben ermöglichen sollen, wurden missachtet. Aber dieses Gericht ist nun Vergangenheit, es soll nicht mehr den Blick in eine neue Zukunft verstellen. Jetzt ist es an der Zeit, dass auch die anderen Seiten der Botschaft des ersten Jesaja Wirklichkeit werden: die Verheißungen. Es zeichnet sich bereits ab, dass Bewegung in das machtpolitische Gefüge kommt: Das persische Reich unter Kyros ist auf dem Weg zur neuen Großmacht im Osten, Babylonien ist nun selbst bedroht.

Diese Entwicklungen werden nun theologisch gedeutet: Was da geschieht, ist kein Zufall, sondern Gottes Handeln, das jetzt für die ganze Welt sichtbar wird. Nun wird erkennbar: Gottes Macht ist so groß, dass sie sogar im fernen Persien wirken kann. Gott handelt jetzt, für Israel, für Jerusalem. Im Mittelpunkt steht die einzigartige Beziehung Gottes zu Volk und Stadt. Sie ist die Grundlage für die Erfüllung der alten Verheißungen. Auf der einen Seite steht die Macht Gottes, sei es als schöpferische Kraft, wie sie sich in der Erschaffung der Welt spiegelt, sei es als lenkende Kraft, die einzelne Personen oder ganze Völker zum Handeln bewegt. Auf der anderen Seite stehen Jakob Israel, das Volk, das Gott sich geschaffen und erwählt hat, und Zion Jerusalem, die Stadt, als Frau personifiziert.


Auszug einst

Im engeren Kontext der Jahreslosung (Jes 43,14-21) geht es um die Rückkehr der Menschen, die nach Babylonien verschleppt wurden. Aus historischen Quellen wissen wir, dass eine ganze Reihe von ihnen dort zu Ansehen und Wohlstand gelangt sind. Sie lebten weitgehend unbehelligt unter der babylonischen Bevölkerung. Wenn also bei Jesaja von Gefängnissen und Fesseln die Rede ist, dann entspricht das nicht unbedingt den realen Lebensumständen. Wichtig ist hier wieder die theologische Deutung der Situation, die Parallelen zu der Sklaverei in Ägypten zieht.

Der Auszug aus Ägypten unter der Führung von Mose, Aaron und Miriam ist das Grunddatum der Identität als erwähltes Volk Israel und der Beginn von einem Leben in Freiheit und Würde im eigenen Land, das dem Volk von Gott als Erbteil zugesagt ist. Genauso soll der Auszug aus der Gefangenschaft in Babylonien zum Grunddatum der erneuerten Geschichte Gottes mit seinem Volk werden: So wie damals, so wird Gott wieder dafür sorgen, dass das Volk in die Freiheit und in das eigene Land ziehen kann. Allerdings ist es diesmal Gott selbst, der diesen Auszug leitet.

Wenige Worte rufen die Erinnerung an wichtige Stationen auf dem Weg in die Freiheit wach: die Rettung am Schilfmeer vor dem ägyptischen Heer (Jes 43,16f und Ex / 2. Mose 14 und 15) und der Weg durch die Wüste, bevor das verheißene Land erreicht wird (Jes 43,19b.20 und Ex / 2. Mose 15,22-24 und 17,1-7). Aber im Gegensatz zur Wüstenwanderung wird dieser neue Weg durch eine blühende Landschaft führen. Kein Wassermangel bedroht die Wandernden. Die Wüste wird verwandelt in einen Garten, durchzogen von Wasser, erfüllt von Leben (so Jes 41,
18ff; 55,12f). Das ist das Neue, das Gott schafft – eine Verwandlung: ein lebensfeindlicher Ort wird zu einem Bereich des Lebens. Der Weg in die Freiheit mag immer noch steinig und gewunden sein, aber es gibt genug Wasser, um diese Durststrecke zu überwinden, es gibt Orte zum Ausruhen, zum Kraft schöpfen.


Auszug heute

Die Jahreslosung ist eine Einladung, auf Gottes schöpferische Kraft zu vertrauen. Das Neue, das Gott ermöglicht, wird sich durchsetzen und groß werden. Immer wieder überrascht es mich im Frühjahr, wie schnell plötzlich die Bäume ihre Blätter entfalten. Am Abend noch wirkt alles braun und kahl – am nächsten Tag schon ist ein grüner Schleier zu sehen. Es ist diese unbändige Kraft in der Natur, die in diesem Text das sprachliche Bild liefert, um die Kraft dieses Neuen, das da wächst, zu beschreiben.

Vor dem Hintergrund der Auszugs-Überlieferung ist die Jahreslosung auch eine Einladung, sich auf den Weg zu machen. In der Regel haben wir uns ganz ordentlich eingerichtet in unserem Leben, kommen mehr oder weniger gut  zurecht. Aber es gibt immer wieder Situationen, in denen uns bewusst wird, wie sehr wir in diesem Alltag gefangen sind. Diese Erkenntnis muss nicht immer die Ausmaße einer Lebenskrise annehmen, kann aber doch zum Nachdenken bringen. Babylon kann ein sehr angenehmer Ort sein, und von allein käme niemand auf die Idee, diesen Ort zu verlassen. Oft sind es dann Anstöße von außen, die uns in Bewegung bringen: Kinder kommen in die Schule oder gehen aus dem Haus, in der Arbeitsstelle gibt es Veränderungen, man muss den Verlust eines lieb gewonnenen Menschen verarbeiten. Solche Veränderungen stellen die eigene Lebensplanung in Frage – und plötzlich ist klar, dass es Zeit ist, aufzubrechen, etwas Neues zu machen.

Auch die Umstrukturierung in der kirchlichen Frauenarbeit, wie sie viele Verbände betrifft, ist für manche eine solche „anstößige“ Veränderung. Auf der Bundesebene sollen die Evangelische Frauenhilfe und die Evangelische Frauenarbeit eine gemeinsame Institution bilden. Beide Organisationen haben bisher sehr gute Arbeit geleistet, haben sich für Frauen auf vielfältige Weise engagiert. Die Hoffnung auf effektivere Arbeit, auf noch bessere Angebote und die Notwendigkeit, finanzielle Ressourcen besser zu nutzen, sprechen für diesen Zusammenschluss. Aber trotzdem ist es noch ein langes Stück Weg, bis dieser neue Verband so gut funktioniert, wie wir uns das wünschen.

Natürlich ist es nicht einfach, das Gewohnte zu verlassen. Veränderungen sind mit Ängsten verbunden, sogar dann, wenn eigentlich eine Verbesserung zu erwarten ist. Als Pfarrerin begegnen mir immer wieder Frauen, die jahrelang unter einem gewalttätigen Partner leiden. Eine Trennung scheint ihnen schlimmer als das, was sie alltäglich erleben. Hier ist Babylon kein schöner Ort – und doch fällt es diesen Frauen sehr schwer, sich auf den Weg zu machen, den Schritt in eine neue Freiheit zu wagen. Die Angst vor dem Weg, die Unsicherheit vor dem, was kommt, ist zu groß. Hier kann der Vers aus Jesaja Mut machen: Wir sind nicht allein, auf uns gestellt, sondern Gott geht mit. Wir werden begleitet von Gottes Segen. Der Weg in ein neues Leben muss nicht so steinig und trocken sein, wie wir ihn in unserer Angst sehen. Die Leben schaffende Kraft Gottes kann uns die Augen dafür öffnen, dass wir die Wasserströme neben diesem Weg finden, die Bäume, die Schatten spenden, wenn wir uns ausruhen müssen. Die Durststrecke ist schon verwandelt in einen Weg des Lebens.


Für die Arbeit in der Gruppe

Ziel: Die TeilnehmerInnen entdecken die Bedeutung der Jahreslosung für ihr eigenes Leben. Sie denken über Lebensumstände nach, bei denen sich eine Veränderung andeutet und formulieren Erwartungen für das, was kommt. Sie legen einen symbolischen Weg zurück und formulieren dabei, was sie als Unterstützung für ihren Weg brauchen.

Zeit: mindestens 90 Min.

Material:
Für die „große“ Variante:
Ortsschilder: Babylon, Ägypten, Neuland
Steine, um einen Weg zu markieren
große Topfpflanzen oder Kübelpflanzen (lassen sich in Gärtnereien mieten)
1 große Schale mit Wasser, Krug und Gläser mit Trinkwasser
2 leere Schalen
Din-A-6 Blätter in weiß, grau, grün, blau und sonnengelbe Blüten

Für die „kleine“ Variante:
gestaltete Mitte auf sandbraunem Stoff mit markiertem Weg
Papierschilder: Babylon, Ägypten, Neuland
1 Stein
1 Topfbaum
1 Schale Wasser
Din-A-4 – Kopien (Kopiervorlage S. 11; für AbonnentInnen Kopiervorlage unter  Service / zum Herunterladen)

Für beide:
Blumentöpfe mit Erde und ausgesäten Samen (z.B. Kresse) entspr. der Zahl der TeilnehmerInnen
Stifte

Vorbereiten:
3-4 Tage vorher Blumentöpfe vorbereiten
Große Variante: Raum richten: je eine Ecke Babylon, Ägypten und Neuland, ein gewundener Weg mit Steinen markiert, eine „Oase“ mit Wasserschale, Pflanzen und Trinkmöglichkeit, Stuhlkreis oder andere Sitzmöglichkeit in Neuland mit den Blumentöpfen in der Mitte

Ablauf:

Meditation

Die Leiterin bittet die Frauen, die Augen zu schließen, und liest dann langsam und mit Pausen:
Das Leben wird oft mit einem Weg verglichen, den wir zurücklegen. Manchmal halten wir uns länger an einem Ort auf. Wenn wir uns dort wohl fühlen, macht uns das nichts aus. Dort bleiben wir gerne. Es gibt aber auch Orte, an denen wir uns nicht wohl fühlen. Wenn wir von dort nicht weg können, dann können wir uns mit der Situation arrangieren, aber oft bleibt die Sehnsucht nach einem neuen, besseren Ort.
Ägypten und Babylon stehen für die Orte, an denen wir festgehalten werden. Mit Babylon haben wir uns arrangiert, von Ägypten wollen wir weg. Wir suchen das neue Land, von dem wir gehört haben, ein Land, in dem alle gut leben können, wir nennen es Neuland. Den Weg dorthin kennen wir nicht, aber wir wissen, dass es ein langer und harter Weg sein kann. Wir haben vielleicht Angst davor. Wir sehen die vielen Steine, die im Weg liegen, wir fürchten die Entbehrungen, den Durst. Wir wissen nicht, ob wir durchhalten.
Gott sagt: „Siehe, ich mache Neues, jetzt sprießt es auf, erkennt ihr es nicht?“
Wir öffnen die Augen und sehen: Neben dem Weg gibt es Wasserstellen, Oasen, an denen wir Wasser bekommen, es wachsen Bäume dort, unter denen wir uns ausruhen können.

Aktion

Große Variante:
Wir suchen uns einen Platz in Babylon oder Ägypten. Dort liegen weiße Zettel. Darauf können wir notieren, wo wir uns festgehalten, gefangen fühlen, oder womit wir uns arrangiert haben, aber nicht glücklich damit sind. Wir können diese Zettel zusammengefaltet in die Schale dort legen.
Dann machen wir uns von dort auf den Weg, allein oder in Gruppen. Welche Steine sehen wir auf unserem Weg? Bei den Steinen liegen graue Zettel, dort können wir unsere Ängste aufschreiben und dann unter einen der Steine legen.
Was kann uns auf unserem Weg helfen? Wodurch bekommen wir neue Kraft? Auf grünen und blauen Zetteln können wir das notieren und mitnehmen.
Wir gelangen nach Neuland. Dort versammeln wir uns im Kreis. Was erwarten wir von diesem Ort? Was wünschen wir uns? Das können wir auf die gelben Blüten schreiben.
Wer mag, kann davon erzählen…

Kleine Variante: Die TeilnehmerInnen erhalten die Kopie. Der Weg wird dann auf dem Papier und im Kopf zurückgelegt. Die Gedanken können auf der Kopie notiert werden.

Abschluss

– Wiederholung der Jahreslosung
– Zusammenfassung von Äußerungen der TeilnehmerInnen
– Ermutigung, etwa mit folgend Worten: Gott nimmt uns nicht den Weg ab, sondern schenkt uns Kraft für diesen Weg, schenkt uns Raum, wo wir uns ausruhen und erfrischen können. Wir können darauf vertrauen, dass sogar in wüstem, trockenem Land neues Leben entstehen und wachsen kann – es ist ein Geschenk. Wir können es sehen, wenn wir darauf achten.

Mitgebsel: Blumentöpfe: sich beschenken lassen mit dem, was schon wächst.

Liedvorschläge: Caminandova, Leben lebt vom Aufbruch; Wo ein Mensch Vertrauen gibt; Freunde, dass der Mandelzweig;  (s.S. 42; für AbonnentInnen Kopiervorlage unter Service / zum Herunterladen)

Dr. Beate Schmidtgen, Jg. 1966, ist Pfarrerin in der Ev. Kirchengemeinde Rötteln (Lörrach). Sie und ihr Mann teilen sich die Gemeindearbeit und die Familienarbeit mit vier Kindern.

Literatur
Klaus Baltzer, Deutero-Jesaja. KAT X,2, Gütersloh, 1999
Peter Höffken, Das Buch Jesaja, Kapitel 40-66 NSKAT 18/2, Stuttgart 1998

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