Ausgabe 2 / 2003 Artikel von Renate Salinger

Ein Paket nach Mosambik

Ost-Erinnerungen

Von Renate Salinger

 

Sofort nach der Bildung der provisorischen Regierung in Mosambik im April 1974 suchte der Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR Kontakt zu den Kirchen in Mosambik. Das ökumenische Konzept einer „Kirche in Solidarität mit den Armen“ wurde auf den Kontext einer „Kirche im Sozialismus“ bezogen. Im Engagement für die Verwirklichung gerechter, sozialer und humanitärer Verhältnisse sollten in Gemeinden Glaubwürdigkeit und ein „menschheitliches Gewissen“ (Christoph Hinz) wachsen.

Hilfsprojekte wurden miteinander abgestimmt und Soforthilfen organisiert. Jugend- und Frauenarbeit waren maßgeblich beteiligt. Ich erinnere an Sendungen von Bettwäsche für eine Entbindungsklinik (Weltgebetstag 1984), Hacken, Mehrzweckspaten, LKWs (Ifa W 50), Zelte, Boote und Sportbekleidung, Kleidersammlungen (1) in Thüringen, Mecklenburg und Sachsen, Soforthilfen mit Medikamenten, Nahrungsmitteln und Fahrrädern aufgrund eines UNO-Appells 1987 über das Solidaritätskomitee der DDR… Die Initiativen der Frauenarbeit waren in das Gesamtkonzept eingebunden und auf die Vermittlung von „Brot für die Welt“ angewiesen. (Für die Einlösung von Brillenrezepten 1986 bedurfte es einer Genehmigung des Rates des Bezirkes!) „Die Kirche“ war in der DDR die fähigste nichtstaatliche Organisation mit einer der besten Infrastrukturen.

Ein Austauschprogramm von Delegationen in den 80er Jahren sollte die Augen füreinander öffnen und die unterschiedlichen Situationen von Minderheitskirchen (in Mosambik 15–20% der Bevölkerung) und Kirchen in sehr verschiedenartigem sozialistischen Umfeld ausloten. 1981 kam die erste Delegation des CCM (Christenrat Mosambiks, in dem sich 14 verschiedene Kirchen zusammengeschlossen hatten) in die DDR. 1986, für die zweite Delegation aus der DDR auf Einladung des CCM und seiner Frauenarbeit, wurden Renate Romberg aus der Studienabteilung des Bundes und ich für die Frauenarbeit auserwählt. Die Reise wurde genehmigt. Mit einer Sonderausfuhrgenehmigung durften wir einen Diaprojektor mitnehmen! Der Flug war nur über Moskau möglich, das Programm vorgegeben, unsere Währung nicht konvertierbar, aufgrund der bürgerkriegsähnlichen Zustände der Aufenthalt auf Maputo beschränkt und durch den Absturz des Flugzeuges mit dem Präsidenten Samora Machel an Bord zusätzlich belastet.
Zwecke der Reise waren z.B. die Teilnahme an eine  Frauenkonferenz des CCM, die Ermittlung von Frauenprojekten und die Vermittlung eines Frauenstudienprojekts in der DDR, aber auch die Erörterung von Personalaustausch auf den Gebieten von Landwirtschaft, Medizin und Psychiatriediakonie oder Fragen der Integration von VertragsarbeiterInnen in der DDR und nach ihrer Rückkehr nach Mosambik.

Für die weiteren Kontakte wurde ein Beschluss der Frauenkonferenz entscheidend. Die Internationale Weltgebetstagskonferenz im Juni 86 in Stony Point/USA hatte bilaterale Gebetsbeziehungen angeregt. Die Frauen Mosambiks entschieden sich für die Kirchen in der DDR, „weil wir Freunde seit langer Zeit“ sind. Dieser Freundschaft versuchten wir Rechnung zu tragen mit Sensibilisierung der Gemeinden, „im ökumenischen Kontext leben zu lernen“, und in der Suche nach immer neuen, z.T. abenteuerlichen Wegen, Gelder und Dankopfer für Ausbildungs- und Frauenprojekte „auszuführen“. Die Aktion „Jede Gemeinde ein Paket nach Mosambik“, jährliche Grußbotschaften zum Weltgebetstag, Kreisfamilientage, Feriengemeinschaften und Rüstzeiten mit Mosambikanerinnen und Mosambikanern stehen für diese Zeit.
Später gab es Gelegenheiten zu vertiefenden Reisen, aber auch Delegierungen des ÖKR zur Wahlbeobachtung bei den ersten allgemeinen Mehrparteien-Wahlen in Mosambik (1994). Mosambikanerinnen kamen zu Besuch und zur Weiterbildung.

1979 wurde das Regierungsabkommen über Freundschaft und Zusammenarbeit mit der DDR abgeschlossen, das ein gemeinsames Wirtschaftsprogramm bis 1990 einschloss. VertragsarbeiterInnen wurden kollektiv angeworben zum Zweck der Produktionssteigerung, der Sicherung des Warenbedarfs und der Exportsituation, als Beitrag zum Schuldenabbau, als Entwicklungshilfe in Form von Qualifizierung, Vermittlung von „Kenntnissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten“.
Am 4.5.89 arbeiteten 16.100 mosambikanische Werktätige in 205 Betrieben der DDR. (2) VertragarbeiterInnen blieben am Arbeitsplatz und in Wohnheimen meist isoliert. Verschwieg und verharmloste die DDR-Presse häufige soziale Ablehnung und vereinzelte Aggressivität, weil sie nicht ins Bild passten, mühten sich Gemeindeglieder und –gruppen, ihnen mit Toleranz und unaufdringlicher Sympathie zu begegnen, in ihren Familien ein Zuhause zu bieten und ein Stück ihres Lebens mit ihnen zu teilen. In Zittau wurde z.B. ein Mosambikaner als Kirchner eingestellt und von Gemeindegliedern finanziert. (3)

Das Antirassismusprogramm des ÖKR und sein 2%-Appell suchten und fanden Verbündete. In der Frauenarbeit stand gezielte Informationsarbeit im Vordergrund und eine Entwicklungshilfe, die die Eigenständigkeit der Partner respektiert und fördert. Der Begriff Rassismus allerdings war, obwohl die „Sache“ – z.T. verdeckt – auch in der DDR vorhanden war, nach übereinstimmendem Urteil vieler Befragter in der Frauenarbeit und den Aktivitäten von Gemeinden und Einzelnen weder im Ansatz auslösend noch bei ihrem Einsatz entscheidend.


Anmerkungen:
(1) AGCJ = Arbeitsgemeinschaft Christlicher Jugend
(2) Dokumentation der Beauftragten der Bundesregierung November 96. Bis zum 31.12.90 verringerte sich ihre Zahl auf 2.800. Sie gehörten im Zuge der Betriebsschließungen und Rationalisierungen nach der Wende zu den ersten, die entlassen wurden.
(3) Waltraut Spill aus Hoyerswerda erhielt 1996 das Bundesverdienstkreuz. Sie baute die Kontakte zu (ehemaligen) Vertragsarbeitern aus, reiste seit 1992 achtmal nach Mosambik und sorgte (mit dem Verein „Projektarbeit Mocambique e.V.“) für einen Schulbau in Manga – Mascarenha am Rande der Hafenstadt Beira. Die Schule, die im Februar 98 eröffnet werden konnte, hat jetzt 230 Schüler in vier Klassen.


Renate Salinger, Jahrgang 1933, wohnt als Pfarrerin i.R. in Zittau. 1975-1993 war sie Provinzialpfarrerin und Leiterin der Frauen- und Familienarbeit der Evangelischen Kirche in der Schlesischen Oberlausitz.

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