Ausgabe 1 / 2010 Artikel von Johannes Küstner

Eine Frage des Überlebens

Suche nach dem Kurswechsel

Von Johannes Küstner


Ob die Menschheit das 21. Jahrhundert in Würde übersteht, hängt davon ab, welche Antworten sie für die großen Fragen der Gegenwart findet. Die Wirtschaftskrise ist dabei nur eines von vielen Symptomen dafür, dass wir mit unserer Art zu Wirtschaften auf dem falschen Weg sind.

Und daraus resultieren viel schwerer wiegende Krisen: Die Krise der globalen Gerechtigkeit zählt schon jetzt weit über eine Milliarde Menschen, die Hunger leiden. Die Klimakrise droht gewaltige Zerstörungen und Entwicklungsrückschläge zu verursachen. Die Übernutzung von Ressourcen und der Verschleiß der Naturräume gefährden langfristig unsere Existenzgrundlage.

Welzer und Leggewie beschreiben das „Ende der Welt, wie wir sie kannten“.(1) Die entscheidende Frage ist: Welchen Weg geht die „neue Welt“? Gelingt es uns, Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung umzusetzen, oder wird es eine friedlose Welt im Kampf um die letzten Ressourcen?


Zukunftsfähig werden

Der große Nachhaltigkeitsbericht „Zukunftsfähiges Deutschland in einer globalisierten Welt“ (ZD) wurde von Brot für die Welt, dem Evangelischen Entwicklungsdienst und dem Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland herausgegeben. Erstellt wurde er vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie.

Die Studie geht davon aus, dass Frieden und die Bewahrung der Schöpfung möglich sind, wenn wir die globale Umweltbelastung stark beschränken. Daraus folgt, dass der Übergang zu einer post-fossilen Zivilisation das bestimmende Vorhaben dieses Jahrhunderts ist. Dabei ist eine Gleichverteilung der verfügbaren Umweltressourcen anzustreben. Denn globale Umweltkrisen können nur friedlich gelöst werden, wenn es dabei gerecht zugeht. Abgrenzungsstrategien, um Wohlstandsinseln zu retten, sind mit einem christlichen Weltbild unvereinbar und können langfristig nicht erfolgreich sein: Umweltschutz und Gerechtigkeit gehören zusammen. Ohne internationale Gerechtigkeit sind globale Umweltkrisen wie der Klimawandel nicht zu bewältigen. Und ohne konsequenten Umweltschutz werden die Entwicklungsrückschläge für die Benachteiligten gewaltig sein und die Ungerechtigkeit noch größer.


Kollektive Schizophrenie

Doch trotz eines gesteigerten öffentlichen Bewusstseins für Umweltfragen steht der notwendige Kurswechsel noch aus. „Nachhaltigkeit“ ist gesellschaftlich gewünscht, aber nur, solange sie niemanden stört. Wir wissen, was zu tun wäre – allein, es fehlt am Handeln. Diese Schizophrenie zeigt sich im Verhalten von BürgerInnen, die unter Heizpilzen Bio-Gerichte verzehren. Und sie zeigt sich in Politik und Wirtschaft, die viel in Nachhaltigkeitsrhetorik investieren und gleichzeitig schuldenfinanzierte Steuermilliarden in nicht-nachhaltige Wirtschaftsbereiche lenken.

Die trügerische Hoffnung setzt auf eine ökologische Modernisierung der Industriegesellschaft, ohne das Dogma des Wirtschaftswachstums und die
kulturelle Verengung auf materiellen Reichtum kritisch zu hinterfragen. Dieser Weg führt in die ökologische Sackgasse und geht auf Kosten der berechtigten Entwicklungsansprüche der armen Länder.


Auf zu großem Fuße

Die Studie untersucht genau, welche Rolle Deutschland im globalen Umweltraum spielt. Die Bilanz ist ernüchternd. Energie- und Materialverbrauch sind ebenso viel zu hoch wie die Treibhausgase, die auf deutsche Rechnung gehen.
– Anstatt der maximal verantwortbaren 2 Tonnen CO2-Ausstoß pro Jahr ist jede/r Deutsche im Durchschnitt für fast 11 Tonnen verantwortlich.
– Der Energieverbrauch ist in Deutschland pro Kopf 8 mal so hoch wie in Indien und 15 mal so hoch wie in Myanmar.
– Jeden Tag werden in Deutschland 114 Hektar Naturraum durch Verkehrs- und Siedlungsbau neubelegt.

Kurzum: Unser „ökologischer Fußabdruck“ ist viel zu groß. Warum sieht die Bilanz so schlecht aus, obwohl doch so viele Fortschritte bei Ressourceneffizienz und naturverträglichen Produktionsmethoden zu verzeichnen sind?


Wachstum um jeden Preis?

Wir produzieren immer sparsamer. Aber da wir gleichzeitig immer mehr produzieren und konsumieren, wird die Umweltzerstörung unter dem Strich nicht weniger. Das in Geldwerten gemessene Wachstum wäre automatisch niedriger, wenn wir die tatsächlich entstehenden Kosten berücksichtigen würden. Doch sowohl ökologische als auch soziale Kosten werden auf die Gesellschaft abgewälzt. So müssen UnternehmerInnen und VerbraucherInnen für die Umweltschäden, die sie verursachen, nicht aufkommen. Auch, wenn ein Unternehmen Beschäftigte „freisetzt“, um die eigene Rendite zu maximieren, müssen die Sozialkosten von der Allgemeinheit getragen werden. Die sozialen und ökologischen Kosten, die wir in Kauf nehmen, sind schon lange so hoch, dass es eigentlich unangemessen ist, von wirtschaftlichem Wachstum zu sprechen. Verteidiger des Wachstumspfades argumentieren zwar, wirtschaftliches Wachstum sei notwendig, um Umweltschutz und soziale Ausgaben finanzieren zu können. Doch wenn der Schaden in der Summe höher ist als der Nutzen, dann haben wir es in Wirklichkeit mit einem unwirtschaftlichen Wachstum zu tun.


Weiter, schneller, mehr?

Die meisten unserer PolitikerInnen propagieren „Wachstum schafft Arbeit“. Doch um zusätzliche Arbeitsplätze zu schaffen, müsste das Wirtschaftswachstum über längere Zeit deutlich höher sein als die Steigerung der Arbeitsproduktivität je Arbeitskraft. Weil das aber im Trend der letzten 40 Jahre nicht der Fall war, ist es eine höchst fragwürdige Zukunftsstrategie.

Der zweite gesellschaftliche Irrtum ist die Annahme, dass die kontinuierliche Steigerung materiellen Wohlstandes uns glücklicher macht. Nachweislich hat das aber ab einem bestimmten Niveau keine Auswirkungen mehr auf die Lebenszufriedenheit der Menschen. In der Konsumgesellschaft vermittelt die Werbung den KonsumentInnen gleichwohl hartnäckig, man könne fast alle Bedürfnisse durch Konsum befriedigen. Die Studie spitzt den Konflikt so zu: „Das Warenglück ist dem wahren Glück geradezu entgegengesetzt. Während Ersteres von seinem Zuschnitt her außengesteuert und mit schnellem Verfallsdatum versehen ist, beruht Letzteres auf Innensteuerung und Langfristigkeit.“ (ZD, S. 236)

Die Hauptaufgabe besteht also darin, unsere Gesellschaft so umzubauen, dass ein gutes Leben für alle möglich wird, ohne dass Sozialsysteme und Schuldenabbau vom Wachstum unserer Wirtschaft abhängen.


Kurswechsel

Ein ökologischer Wohlstand kann mit der Bewahrung der Schöpfung im Einklang stehen. Die Faustformel dafür lautet: „besser, anders, weniger“.
– besser: Durch höhere Effizienz und veränderte Organisation sind Einsparungen im Naturverbrauch möglich. Dinge werden dann nicht nur mit weniger Ressourcenverbrauch hergestellt, sie sind auch langlebiger.
– anders: Mit der Nutzung natürlicher Rohstoffe und der Entwicklung von Stoffkreisläufen, bei denen es keine Abfälle, sondern immer nur Ausgangsmaterialien für die nächste Verwertungsmöglichkeit gibt, kann der schädigende Eingriff in die Natur weiter verringert werden. Das passiert zum Beispiel in der ökologischen Landwirtschaft.
– weniger: Auch ein Windrad braucht eine Menge Metall. Keine Produktion ist ganz ohne Energie- und Materialverbrauch möglich.

Mit sparsamen und naturverträglichen Methoden können wir sicher sein: Es ist genug für alle da. Aber nur, wenn wir auch bereit sind zu fragen, wie viel „genug“ eigentlich ist.

Ein Kurswechsel auf Zukunftsfähigkeit kann nur gelingen, wenn sich die Konsum- und Produktionsmuster in den Industrieländern wesentlich ändern. Sie müssen ihren Ressourcen- und Energieverbrauch drastisch reduzieren und gleichzeitig Entwicklungs- und Schwellenländer dabei unterstützen, selbst nachhaltige Entwicklungspfade einzuschlagen. Die Weichen müssen auf verschiedenen Handlungsebenen gestellt werden: AkteurInnen in Politik und Wirtschaft müssen einen Kurswechsel in Deutschland und Europa vollziehen. Und globale Übereinkünfte sind ebenso notwendig wie Engagement der einzelnen BürgerInnen vor Ort.


Weltinnenpolitik

Die Klimakrise ist bei weitem nicht das einzige, aber das erste Handlungsfeld, auf dem die internationale Staatengemeinschaft beweisen muss, dass sie den Planeten kooperativ, also friedlich regieren kann. Dafür ist vor allem Klimagerechtigkeit notwendig.

Die UN-Konferenz in Kopenhagen im Dezember 2009 war nur eine Station auf dem Weg zu verbindlichen Emissionsbegrenzungen. Vor allem bezüglich der Anpassungsmaßnahmen in Entwicklungs- und Schwellenländern müssen die Industrieländer sich schnell und verbindlich auf eine ausreichende Unterstützung einigen. Denn Industrie- wie Entwicklungsländer sind in der Lage, durch eine Fortführung der fossilen Energiesysteme die Erde unbewohnbar zu machen. Während es im Kalten Krieg des 20. Jahrhunderts genügte, nicht zu handeln, also auf den atomaren Schlagabtausch zu verzichten, ist beim neuen „Gleichgewicht des Schreckens“ entschiedenes, gemeinsames Handeln zwingend erforderlich. Viel Zeit bleibt nicht mehr.


Engagement vor Ort

„Global denken, lokal handeln.“ Das ist seit Jahren das Motto der Lokale-Agenda-Initiativen. In der Tat sind die direkten Einfluss- und Mitgestaltungsmöglichkeiten auf lokaler Ebene am größten. BürgerInnen können sich in der Kommune für intelligente, öffentliche Mobilitätskonzepte einsetzen, den Umstieg auf erneuerbare Energiequellen vorantreiben und Platz für Natur- und Lebensräume schaffen. Und sie können zerstörerische Projekte verhindern. Atommeiler, die nie gebaut wurden und Dörfer, die nicht dem Kohlebagger weichen mussten, beweisen, dass gesellschaftlicher Widerstand vor Ort erfolgreich sein kann.

Und auch das private Verhalten ist letztlich politisch. Durch achtsames Leben können BürgerInnen selbst Wegweiser für den richtigen Weg aufstellen. Mit strategischem Konsum können wir ökologisch, fair und regional produzierte Waren wählen und langlebige Qualitätsprodukte Billig- und Wegwerfartikeln vorziehen. Dabei ist es nicht immer mit höheren Kosten verbunden, als KonsumentIn wieder wählerischer zu werden.

Beim Engagement vor Ort gilt es, Mitmenschen über konkrete Möglichkeiten für die Bewahrung der Schöpfung zu informieren und sie dafür zu begeistern. Warum nicht einmal in Gemeinde oder Freundeskreis zu einem „Sonnenfest“ einladen, bei dem die Gäste mit bereitgestellten Formularen zu einem Öko-Stromanbieter wechseln können? Oder sich zum Kochen verabreden, um gemeinsam neue Rezepte von leckeren, gesunden, fleischarmen und umweltfreundlichen Gerichten auszuprobieren?

Bei der Gelegenheit ließe sich zugleich überlegen, welche notwendigen Dinge wie Autos, Staubsauger, Waschmaschinen und Werkzeug sich gemeinsam nutzen lassen statt sie allein zu besitzen. NutzerInnengemeinschaften, Nachbarschaftshilfe und Tauschringe können Geld sparen, Umwelt schonen und dazu beitragen, dass die Empfindung von Wohlstand in unserer Gesellschaft sich wieder mehr auf Menschen als auf Gegenstände gründet.

Die derzeit amtierenden Politikerinnen und Politiker kämpfen verbissen um die Fortsetzung des Modells Wachstum. Die als „Umweltprämie“ deklarierte Prämie für Verschrottung und Neukauf von Autos im Jahr 2009 zeigte, wie verzweifelt und ökonomisch unsinnig dieser Kampf inzwischen geworden ist. Es gilt, in persönlicher Verantwortung nach individuellen Antworten zu suchen und PolitikerInnen zum ernsthaften Umsteuern zu drängen. Denn solange großzügig Steuergelder darauf verwendet werden, um die Verluste der Automobilindustrie abzufedern oder die Profite der Atomindustrie zu erhöhen, kann auch persönlicher Umweltschutz keinen grundlegenden gesellschaftlichen Kurswechsel bewirken.


Leben in Fülle

Die Notwendigkeit Maß zu halten führt nicht zu Lebensfeindlichkeit oder zu Freudlosigkeit. Im Gegenteil: Auf dem Weg der Gerechtigkeit ist Leben! Jesus sagt: Ich bin gekommen, damit sie das Leben in Fülle haben. (Joh 10,10). Was aber bedeutet Leben in Fülle? Ein möglichst großes Haus zu haben, eine schicke Limousine zu fahren, jeden Tag ein Schnitzel zu essen, jedes Jahr in den Urlaub zu fliegen und regelmäßig einen neuen Fernseher zu kaufen?

„Alles ist mir erlaubt, aber es soll mich nichts gefangen nehmen“, heißt es bei Paulus. „Maß halten“ bietet auch die Chance, sich von Dingen oder Gewohnheiten zu befreien, die gefangen nehmen. Gemeinschaft, Essen, Trinken, Zärtlichkeit, Natur, Musik, Licht, Bewegung – das alles dankbar zu genießen und als Geschenk Gottes zu begreifen, ist ein wichtiger Schritt hin zu einem Leben in Fülle. „Sparsam im Haben, aber großzügig im Sein, so lautet die Devise der Zukunftsfähigkeit für einen selbst wie für die Gesellschaft.“ (ZD, S. 570)


Für die Arbeit in der Gruppe:

Der folgende Vorschlag setzt am Gedanken Leben in Fülle – Leben mit Maß an. Eine weitere Arbeitseinheit zum Thema „Gerechte Verteilung“ ist für AbonnentInnen unter www.ahzw.de / Service zum Herunterladen vorbereitet.


Bäume des Glücks
Die Teilnehmenden machen sich ihre Wünsche für ein gelingendes Leben bewusst. Neue Gewinnauffassungen werden erarbeitet, wenn eine Steigerung der Lebensqualität mit Verhalten verbunden werden kann, das auf Nachhaltigkeit zielt.

Material für das Gestalten der Bäume: z.B. eine Tapetenrolle oder mehrere Pappen und Scheren, genügend Stifte, v.a. braun, grün und schwarz; Hintergrundmusik für eine angenehme Atmosphäre.

Die Teilnehmenden gestalten jeweils ihren persönlichen „Baum des Glücks“: Der Stamm symbolisiert das Glück. Die Wurzeln stehen für das, worauf mein Glück aufbaut. Die Äste symbolisieren, was ich brauche, um ein Leben in Fülle zu leben – also die konkreten Schritte, die ich dafür tun kann. Ein starker Ast soll der erste Schritt sein, den ich angehen werde.

Zum Abschluss können Sie mit den Bäumen eine „Allee der Glücksbäume“ gestalten und sich über die Wünsche und Vorhaben austauschen.

Tipp zur Weiterarbeit:
Den Text des Beitrages in Kopie verteilen und die Frauen zum Austausch darüber anregen. Ziel sollte die Entwicklung gemeinsamer Möglichkeiten für „lokales Handeln“ sein.


Johannes Küstner ist Erziehungswissenschaftler und Psychologe und arbeitet als Bildungsreferent bei „Brot für die Welt“, der Hilfsaktion der evangelischen Kirchen und Freikirchen in Deutschland.


Zum Weiterlesen

BUND, Brot für die Welt, EED (Hg.): Zukunftsfähiges Deutschland in einer globalisierten Welt – Ein Anstoß zur gesellschaftlichen Debatte. Frankfurt/M. 2008 (14,95 Euro im Buchhandel oder bei „Brot für die Welt“: vertrieb@diakonie.de, Art.Nr. 117302010)
Brot für die Welt, EED (2009): Den Kurs wechseln – neue Wege gehen – Zukunft fair teilen. Eine Arbeitshilfe zur Studie „Zukunftsfähiges Deutschland in einer globalisierten Welt“. (kostenlos beziehbar bei „Brot für die Welt“:
vertrieb@diakonie.de, Art.Nr. 117110050)


Anmerkungen

1 Claus Leggewie, Harald Welzer: Das Ende der Welt, wie wir sie kannten. Klima, Zukunft und die Chancen der Demokratie, S. Fischer, 288 S., 19,95 Euro.

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