Ein wunderschöner Anfang und dann dieser Bruch: Eine Gruppe von Frauen und Männern, die alle in der Nachfolge Jesu stehen, beginnen mit dem gemeinsamen Leben und Arbeiten. Die heilige, göttliche Geistkraft hat sie erfüllt, begeistert und mit außergewöhnlichen Fähigkeiten ausgestattet. Manche können sogar Schwerkranke heilen.
Beständig sind sie im Gebet zusammen, einmütig. Sie teilen alles miteinander. Die herrschenden Autoritäten verfolgen sie und bringen manche von ihnen ins Gefängnis. Doch ihre Begeisterung und Ausstrahlung sind so groß, dass sie bald wieder frei kommen. Täglich wollen neue Menschen Mitglieder in der jungen Gemeinde werden.
Doch plötzlich hält die Sünde Einzug in der Gemeinde. Zwei von ihnen, Hananias und Saphira, täuschen die Gemeinschaft und sterben.
Es geht um eine abschreckende Geschichte aus der Zeit der Apostelinnen und Apostel (Apg). Nach der Beschreibung der idealen urchristlichen Gemeinde und ihrem großartigen Beginn folgt in Apg 5,1-11 die Erzählung von Hananias und Saphira.
Beim ersten Lesen entstehen bei mir verschiedene Fragen an den Text:
– Mit welchem Recht klagt Petrus die beiden an? Er hat doch auch Dreck am Stecken und im entscheidenden Moment Jesus verraten.
– Geht es darum, Petrus als Gerechten bzw. Richter mit wunderbaren Kräften ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu rücken?
– Der sofortige Tod als Strafe für unrechtes Handeln oder als Folge dessen erscheint mir viel zu hart. Wer kann dann bestehen? Immerhin haben die beiden überhaupt etwas von ihrem Geld abgegeben.
– Welches Verhältnis hatten die beiden Eheleute? Waren sie gleichberechtigt? Hätte Saphira sich den Plänen ihres Mannes verweigern können?
– Wieso warnt niemand Saphira? Hat sie noch eine Chance, als Petrus sie fragt? Warum antwortet sie ihm nicht wahrheitsgemäß?
– Diese Geschichte macht Angst (vgl. V. 11). Ist das die Absicht des Autors / der Autorin?
Außerdem fällt mir auf, dass ich kaum eine Auslegung dieser Geschichte erinnere – sei es in der Kirche, in kirchlichen Frauengruppen oder auf Tagungen. Ich vermute, dass dieser Text für uns heute, vielleicht auch für viele vor uns, zu sperrig war und ist. Er wirkt moralisch und spricht heikle Themen an: den Umgang mit Geld und Privateigentum in der Gemeinschaft und für Frauen das eher unangenehme Thema der Mittäterinnenschaft.
Hintergrund des Bibeltextes
Die brasilianische Theologin und Neutestamentlerin Ivoni Richter Reimer hat den Text eingehend untersucht(1) und gelangt zu folgenden Erkenntnissen: Wahrscheinlich wurde die Apg Ende des 1. Jahrhunderts verfasst. Der Autor, in der altkirchlichen Tradition ‚Lukas', identifiziert sich mit dem Judentum und scheint über eine griechisch-hellenistische Bildung zu verfügen. ‚Lukas' schreibt über die Vergangenheit, zum Beispiel über die wunderbaren Anfänge der urchristlichen Gemeinde, um Antworten und Leitlinien für die schwierige Gegenwart zu geben. Die jungen Gemeinden leiden unter Verfolgungen. Daneben gibt es erschwerend auch interne Konflikte. Das lässt sich aus Apg 5 schließen.
Die Geschichte verdeutlicht drastisch, dass die Zugehörigkeit zur Gemeinschaft der Heiligen keine Garantie dafür ist, von Sünde befreit zu sein. „Auch ChristInnen unterstehen alltäglich den Versuchungen des Pleonezía, des Mehr-Haben-Wollens und des Sich-die-Zukunft-Sichern-Wollens.“(2)
Die Erzählung will gegen die Sünde angehen, indem sie Furcht (VV. 5 und 11) vor ihrer Macht erzeugt. Denn die Sünde droht, die einzelne Person zu zerstören und, wenn sie mehr Raum gewinnt, auch die Gemeinschaft. Die Folgen des unrechten Tuns, des Lügens und Unterschlagens in Apg 5, führen zum „Tod“. Dieser wird nicht von einem autoritären und strafenden Gott bzw. einem richtenden Petrus herbeigeführt. Nein, es ist die Macht der Sünde, die den sozialen Tod bewirkt.
Exegetische Ergebnisse
Hananias und Saphira verkaufen ihren Grundbesitz, wie schon andere
Gemeindemitglieder vor ihnen. Die Übereinkunft der Gemeinde scheint zu sein, dass alle alles miteinander teilen und keinen Privatbesitz mehr haben (Apg 4,32). „Die Erwähnung der Saphira in diesem Zusammenhang kann nur darauf hindeuten, dass Hananias der Einwilligung der Saphira für den Verkauf bedurfte, da der Acker offensichtlich der Haftung der Kethuba diente.“(3) Kethuba ist eine finanzielle Entschädigung, die nach dem jüdischen Eherecht jeder Frau bei Auflösung der Ehe ausgezahlt werden sollte. Saphira ist mit Hananias' Plan einverstanden und protestiert nicht gegen die Unterschlagung eines Teiles des Verkaufserlöses.
Der Text verurteilt das Handeln der beiden als Sünde gegen die heilige Geistkraft (VV.3 und 9). „Der Betrug an der Gemeinschaft entspricht dem Belügen des Heiligen Geistes bzw. Gottes“, so interpretiert es Ivoni Richter Reimer.(4) Sie haben sich von dem Ideal der Gemeinde, nämlich Gott mit ganzer Seele und all ihrer Kraft zu dienen, entfernt.
Der „Satan“ hat Raum im Herzen des Hananias genommen (V.3). Doch wenn wir genau hinsehen, auch in Saphiras Herz. Immerhin hat sie die Chance, auf Petrus' Frage mit der Wahrheit zu antworten. Im Unterschied zu Hananias kommt sie persönlich zu Wort und entscheidet sich für die Lüge (V.8). Auch wenn angenommen werden kann, dass die beiden in einer patriarchalen Ehe lebten, in der er die Tat plante und sie nur die „Mitwisserin“ war – der griechische Ausdruck dafür suneiduíes(5) wird nur im Zusammenhang mit Saphira gebraucht (V.2 u. 9) – macht sie sich schuldig.
Der Text liefert keine Erklärungen dafür, warum Saphira mitmacht. Will sie auch einen Rest materieller Sicherheit in der Hinterhand haben? Oder vermeidet sie „um des lieben Friedens willen“ in ihrer Ehe Auseinandersetzungen? Fühlt sie sich ohnmächtig gegenüber ihrem Mann und lässt einfach alles laufen, weil Widerstand zwecklos ist? Jedenfalls verurteilt der Text ihr passives Mit-Tun und ihre „aktive“ Lüge genauso wie Hananias' strategisches Planen. Die beiden verletzen die Gemeinschaft, die von der Heiligen Geistkraft bewegt und getragen ist, in zweierlei Hinsicht: Auf ökonomischer Ebene tun sie nicht das, was notwendig ist für das Überleben der Gemeinschaft. Auf geistlicher, spiritueller Ebene vertrauen sie nicht mehr der gemeinsamen Idee und Überzeugung, setzen nicht alles auf das Solidaritätssystem der Gemeinschaft. Durch ihr Gespalten-Sein katapultieren sie sich aus der einmütigen Gemeinschaft (Apg 4,32) heraus.
Die Folge ist der Tod, so wie es schon in Röm 6,23 heißt. Dabei muss dieser Tod nicht unbedingt physisch verstanden werden. Es kann sich auch um den sozialen Tod handeln: Durch ihr Handeln haben Hananias und Saphira sich von der Gemeinschaft der Heiligen isoliert, sie gehören nicht mehr dazu. Immerhin begräbt die Gemeinde die beiden noch und erweist ihnen somit eine letzte Geste der Zuneigung.
Petrus ist derjenige, der die Sünde beim Namen nennt. Er ist nicht der Richter, der schadenfroh die ertappten SünderInnen an den Pranger stellt und ein „Strafwunder“ ausübt, wie es in traditionellen Auslegungen heißt. Vielmehr kann er als Anwalt der Gemeinschaft der Heiligen verstanden werden, der traurig darüber ist, dass die Sünde Raum gefunden hat. „Nicht die Worte des Petrus töten, sondern die eigentliche sündige Tat, die vor der Gemeinschaft entlarvt wird. Sie hat einen totalen, radikalen Ausschluss aus der Gemeinschaft zur Folge. Die Entlarvung der Sünde bringt nur die in ihr enthaltene Selbstzerstörung zum Abschluss.“(6)
Die Macht und der Schrecken der Sünde werden in dieser Geschichte ganz plastisch vor Augen geführt. Damit möchte der Autor erreichen, dass die AdressatInnen, die die junge ekklesia(7) – die Kirche – bilden und somit der Leib Gottes sind, die Sünde ernst nehmen. Der Text warnt und weist darauf hin, dass immer die Gefahr lauert, dass Menschen ihr Herz nicht ganz, sondern nur geteilt auf die Sache Gottes richten. Bei manchen äußert sich dies, indem sie wie Hananias unrechte Taten planen und umsetzen. Andere wie Saphira versäumen es, der Macht der Sünde aktiv etwas entgegenzusetzen. Sie werden zu MittäterInnen.
Übertragen auf unsere Situation heute fällt mir die Wirtschaftskrise 2009 ein mit dem Zusammenbruch internationaler Banken und den existentiellen Folgen für unzählige Menschen in südlichen, armen Ländern. Es ist billig, auf die unverantwortlichen Banker und Manager zu schimpfen, deren Gier ein zentraler Grund für den Zusammenbruch ist. Doch sind wir christlichen Frauen so anders, zum Beispiel in unserem Umgang mit Geld? Bei welchen Banken legen wir unser Geld an, bei Oikocredit oder einer der üblichen Großbanken, weil es dort mehr Zinsen gibt? Wo kaufen wir ein – in einem Bioladen, der natur- und tierfreundlicher wirtschaftet und höhere Preise hat als ein Lebensmitteldiscounter? Und außerdem: Sind wir nicht, schon allein, weil wir hier in Deutschland leben, auch – ohne eigenes Zutun – Profiteurinnen eines ungerechten internationalen Wirtschaftssystems?
Dorothee Sölle unterscheidet zwischen zwei Elementen, in denen die Schreckensherrschaft der Sünde deutlich wird.(8) Sie spricht zum einen von dem „Zustand“ der Sünde, in den wir hinein geboren werden. Unabhängig von unseren Entscheidungen leben wir in ungerechten Strukturen. Diesen Aspekt der Sünde nennt sie „Schicksal, Erbe, Verflochtenheit, gesellschaftlicher Zwang“. Zum anderen gibt es das subjektive -Element, den eigenen Wille darin, „mein eigenes Handeln, meine Freiheit, meine Entscheidung mitzumachen“ beziehungsweise geschehen zu lassen.
Die Rede über „Sünde“ und angesichts dieses Bibeltextes über „Mittäterinnenschaft“ kann dazu benutzt werden, Frauen klein, schuldbewusst und ohnmächtig zu halten. Sie kann aber auch als Instrument gedacht werden, um die Situation zu analysieren, und Frauen ermutigen, sich für Schritte der Befreiung aus der Sündenherrschaft einzusetzen. Die noch so kleinen Bemühungen und Wiederholungen auf dem Weg sind wichtig und unverzichtbar.
Der Bibeltext zeigt, dass selbst die Gemeinschaft der Heiligen kein Ort ist, der von der Sündenherrschaft frei ist. Damals wie heute ist es ein langwieriger und ständiger Prozess, ein von der Sündenherrschaft befreites Leben zu führen. Dabei sind wir auf Vergebung und Gnade aufgrund unserer Mittelmäßigkeit und Schwachheit angewiesen. Aber gerade in uns, diesen nichtperfekten und normalen Frauen, wirkt Gott. Uns ruft SIE zur Freiheit von inneren und äußeren Zwängen und zum Widerstand gegen ungerechte Strukturen (vgl. Gal 5,1 u. 13). Dafür ist es grundlegend, dass Frauen die eigene Gottebenbildlichkeit täglich ernst nehmen, die eigenen Kräfte nicht als zu klein einschätzen, um eine andere Welt mitzugestalten.
Hören des Textes Apg 5,1-11
– Der Text wird laut von der Leiterin aus der Bibel in gerechter Sprache (BigS) vorgelesen (evtl. zwei Mal). Die Teilnehmerinnen werden aufgefordert, genau zuzuhören und sich zu merken, an welcher Stelle, welchem Satz oder Wort sie in Gedanken hängen bleiben. Diese Worte oder (Halb-)Sätze schreiben sie nach dem Hören des Textes – in Stille – auf ein DinA 4 Blatt.
– Alle sind eingeladen, ihr Blatt mit einer kurzen Erläuterung in die Mitte zu geben.
Gespräch über den Text
– Anschließend moderiert die Leiterin den Austausch über den Text. Alle Teilnehmenden erhalten den Text in Kopie. Im Gespräch geht es darum, möglichst frei und ohne zu viel Respekt vor dem Bibeltext eigene Kritik am und Fragen an den Text zu formulieren und auch erste Einsichten mitzuteilen.
Folgende Fragen können helfen das Gespräch zu führen: Was irritiert im Text? Wie passt das Bild von der idealen Urgemeinde (Apg 1-4) zusammen mit diesem Konflikt? Was ist Petrus' -Rolle? Was für eine Beziehung hatten womöglich Hananias und Saphira?
– Die Leiterin trägt die „exegetischen Ergebnisse“ (s.o., S. 13-15) vor und -diskutiert mit der Gruppe darüber.
Vertiefung des Textes
– Kleingruppen werden gebildet, die sich ein fiktives Gespräch zwischen Saphira und den anwesenden Frauen ausdenken. Einige Frauen schlüpfen in die Rolle von Saphira und lassen sich von den anderen, die die Rolle der „Frauen heute in Deutschland“ haben, befragen, warum sie damals so gehandelt hat bzw. haben. Wichtig ist, dass im Lauf des Gesprächs die „Saphiras“ auch die „Frauen heute“ darauf ansprechen, inwieweit diese nicht auch schwache Christinnen und in bestimmten Situationen Mittäterinnen sind.
– Die „Rollenspiele“ werden danach im Plenum vorgetragen.
– Im anschließenden Gespräch wird der Schwerpunkt auf „die Saphira in uns“ gelegt (siehe dazu die Ausführungen zu „Unsere Mittäterinnenschaft“)
Ermutigung
– Im letzten Gesprächsgang fragt die Leiterin: Inwieweit hilft Apg 5,1-11 den Anwesenden dazu, sich gegen die „Schreckensherrschaft der Sünde“ in ihrem Alltag einzusetzen? Welche (anderen) Worte, welche Botschaft brauchen sie, um ermutigt zu werden, sich den Strukturen dieser Welt nicht anzupassen?
– Die Teilnehmenden sammeln Worte der Ermutigung für sich und die anderen.
– Zum Abschluss liest die Leiterin folgendes Gebet:(9)
Unser gefängnis ist mit dem teuersten
design tapeziert
unsere wächter betreuen uns
mit immer neuen programmen
wir werden gut unterhalten
mach uns leer GOTT
für die andere freiheit
hilf uns heraus freundin aller geschöpfe
an unserem haben stirbt das sein der anderen
am luxus hängt vergiftung und ersticken
an unsrer art zu leben klebt gewalt
Du hast uns geträumt GOTT
wie wir den aufrechten gang üben
und niederknien lernen
schöner als wir jetzt sind
glücklicher als wir uns trauen
freudiger als bei uns erlabt
lass uns fortgehn mit dir
hilf uns heraus
mach uns leer
dass DU uns füllen kannst
Mögliche Lieder:
Wo Menschen sich vergessen, die Wege verlassen / Meine engen Grenzen, meine kurze Sicht
Bärbel Fünfsinn, geb. 1962, ist Theologin und hat verschiedene international/ökumenisch-feministische Bücher herausgegeben. Sie arbeitet als Lateinamerikareferentin im Nordelbischen Missionszentrum in Hamburg.
Anmerkungen
1 Ivoni Richter Reimer: Frauen in der Apostelgeschichte des Lukas, Eine feministisch-theologische Exegese, Gütersloh 1992, S. 27 – 54
2 ebd., S. 29
3 ebd., S. 34
4 ebd., S. 39
5 he suneídesis (gr.) – das Gewissen
6 Ivoni Richter Reimer, a.a.O., S. 47
7 Ekklesia (griech.) = Kirche, dieser Begriff taucht hier zum ersten Mal im Neuen Testament auf
8 Zitate in diesem Abschnitt aus: Dorothee Sölle, Gott denken, Einführung in die Theologie, Stuttgart 1990, S. 77 – 79
9 Nach Versen aus zwei Gedichten von Dorothee Sölle formuliert; Dorothee Sölle: Wo wir wohnen, in: loben ohne lügen, Gedichte, Berlin/Kleinmachnow 2000, S. 85 und dies., Ich dein baum, ebd., S. 9
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