Alle Ausgaben / 2012 Andacht von Dagmar Krok

Eine Handbreit Tage gabst du mir

Andacht angesichts der Endlichkeit des Lebens

Von Dagmar Krok


Wir kommen zusammen im Namen der Lebendigen, die da war, die da ist und die da sein wird.

Lied
Hilf, Herr meines Lebens (EG 419)
oder: Ich sing dir mein Lied

Psalm 39,2-8
Ich sagte:
Ich will auf meine Wege achten,
darauf, dass meine Zunge nicht sündigt.
Ich will darauf achten, meinen Mund im Zaum zu halten,
solange die in meiner Gegenwart sind, die Frevel begehen.
Ich verstummte in Schweigen,
gab das Gute auf,
mein Schmerz wurde aufgewühlt.
Heiß wurde mein Herz in meinem
Inneren,
bei meinem Seufzen entbrennt ein
Feuer.
Ich sprach mit meiner Zunge:
Lass mich meine Zeit wissen, Ewiger!
Die Spanne meiner Tage,
wie groß ist sie?
Damit ich erkenne, wie vergänglich
ich bin.
Schau, eine Handbreit Tage gabst
du mir,
meine Lebenszeit ist wie nichts vor dir.
Nur ein Hauch sind die Menschen,
so fest sie stehen.
Nur als Schatten gehen die Menschen umher, nur als Hauch lärmen sie.
Sie häufen auf, ohne zu wissen, wer es einsammeln wird.
Und jetzt, worauf hoffe ich, mein Herrscher über alles?
Meine Hoffnung gilt dir.

Der Psalm in dieser Übersetzung der Bibel in gerechter Sprache und das Bild des Grabsteins sind für AbonnentInnen unter www.ahzw-online.de / Service zum Herunterladen als Kopiervorlage vorbereitet.

Auf die Rückseite des Psalm-Blattes ist das Bild des Grabsteins von Göntje Ketelsen kopiert. Die Leiterin lädt ein, das Bild einen Moment in Stille anzuschauen und dann den Gedanken der Schreiberin dieser Andacht zu folgen.

Kennen Sie Göntje Ketelsen? Nein? Mir war sie bis zum letzten Sommer auch vollkommen unbekannt. Aber dann ist sie mir begegnet, auf einem Friedhof auf der Nordseeinsel Föhr. Ein kleiner Grabstein berichtet von ihrem Leben: geboren am 9. Mai 1779, am 24. Januar 1800 Hochzeit gefeiert, Mutter von vier Söhnen und fünf Töchtern, gestorben am 12. Mai 1857. Neben diesen knappen Lebensdaten ist noch folgender Vers zu lesen:

Sie ging so gläubig und froh durch
dieses Leben,
Ihr edles Herz war jedem Hasse fern,
War ihren Kindern heiß ergeben,
Half jedem Armen und Bedrängten gern.
Das lohnet ihr der Herr mit sel'gem Lohn,
Wenn sie erscheinet vor des Höchsten Thron.

Göntje Ketelsens Grabstein hat mich neugierig gemacht. Was war sie für eine Frau? Wie sah ihr Leben aus? War sie glücklich? Würde sie die Verse mögen, die ihr Leben beschreiben und die uns als Vorbild für ein gutes Leben dienen sollen? Fast sehe ich sie vor mir, in der Föhrer Landschaft, vor ihrem Reetdachhaus im Kreise der Kinder und Enkelkinder. Obwohl ich sie nicht gekannt habe, kann ich mich, dank des Grabsteins, ihrer erinnern. Deshalb besuche ich gerne alte Friedhöfe, hier werden Geschichten erzählt und Erinnerungen an Menschen wach gehalten. Und oft finden sich auf den Grabsteinen auch Hoffnungszeichen des Glaubens.
Göntje Ketelsen bringt mich ins Nachdenken. Ich frage mich: Was wird wohl auf meinem Grabstein stehen? Was ist wichtig von mir zu erzählen? Was möchte ich, dass die Menschen von mir erinnern?

Moment der Stille und kurzer Austausch mit der Nachbarin: Welche meiner Eigenschaften sollten in Erinnerung bleiben?

Was bleibt von mir, wenn ich einmal nicht mehr bin? Wie geht es weiter, wenn ich die Gruppe nicht mehr leite? Kann ich den Arbeitsplatz wechseln oder meinen Ruhestand genießen, wenn doch das Aufgabenfeld mit meinem Ausscheiden aufgegeben wird? Was geschieht mit dem Projekt, wenn ich nicht mehr da bin? Das Leben konfrontiert uns immer wieder aufs Neue mit Veränderungen. Dann werden wir uns unserer eigenen Endlichkeit bewusst. Der Blick in eine ungewisse Zukunft macht Angst. Statt Veränderungen zu gestalten, sehnen wir uns nach Beständigkeit. So singt auch die Gruppe Silbermond: „Gib mir was … irgendwas, das bleibt.“

– eventuell Lied einspielen – Stille

Was bleibt von mir, wenn ich einmal nicht mehr bin? Diese Frage erzählt, angesichts der Endlichkeit des Lebens, vom Sinn und der Sehnsucht nach ewigem Leben. Abschied und Tod unterbrechen den Fluss des Lebens. Aber schon im Loslassen kann erfahrbar, oder wenigstens doch erahnbar werden, dass das Leben neu aufbricht und in veränderter Form Neues entsteht. Im Psalm 39 finde ich einen Schlüssel dazu.

Da ist zunächst der Hinweis auf die Hoffnung. Mit der Hoffnung im Gepäck lässt sich die Endlichkeit aushalten. Hoffnung darauf, dass andere sich an mich erinnern werden, dass mein Leben einen Sinn hat. Hoffnung darauf, dass das Engagement im Projekt Menschen berührt hat und etwas in ihrem Leben bewirkt. Hoffnung als eine zuversichtliche innere Ausrichtung gibt auch ohne wirkliche Gewissheit Kraft, sich für das Erhoffte einzusetzen. Möglich wird das, wenn wir schon erleben konnten, wie Hoffnung sich erfüllt. Solche Erfahrungen dienen als Zeichen und nähren die Hoffnung. Leben, Sterben und Auferstehung Christi sind maßgebliches Zeichen und Zusage, dass nach dem Tod etwas bleibt. – Mit Hoffnung angefüllt, können wir uns der Begrenztheit zuwenden.

„Lass mich meine Zeit wissen, Ewiger! Die Spanne meiner Tage, wie groß ist sie? Damit ich erkenne, wie vergänglich ich bin.“ – Wir alle wissen um unsere Vergänglichkeit, spätestens wenn unser Körper uns erste Grenzen aufzeigt. Es geht hier aber nicht nur um das Wissen, sondern um Erkennen und Anerkennen. Wir sind geschaffene Wesen, Geborenwerden und Sterben gehören gleichermaßen zum Leben dazu.
Wir sind hineingenommen in einen größeren Kreislauf des Lebens. Dies anzuerkennen hilft uns, das kostbare Leben in seiner Schönheit und Vielfalt, in seiner Brüchigkeit und Verletzlichkeit zu achten und zu lieben. Um diese Erkenntnis ringt die Psalmbeterin oder der Psalmbeter im Gebet mit Gott. Genau wie sie können wir darum bitten und unsere Hoffnung auf Gott setzen. Es geht dann nicht mehr um die Sorge und Angst vor der Endlichkeit, nein, die Liebe zum Leben tritt in den Vordergrund. Daraus entsteht ein Wille und Handeln zum guten Leben, ein Wille zur Schönheit, ein Wille zur Wahrheit und Geistlichkeit. Und dann wird es viel über uns und unser Handeln aus Liebe zum Leben zu erzählen geben. Andere werden mit Dankbarkeit auf unser Leben schauen und Geschichten erzählen. Dann kann unser Handeln Ansporn für andere werden, weil sie die menschlichen Möglichkeiten erkennen. Was am Ende der Zeit daraus wird, haben wir nicht in der Hand. Wir schenken Ideen und Anstöße, legen den Samen und dürfen darauf vertrauen, dass Entwicklung möglich ist. Manches wird weiterleben und Neues entsteht.

Hier kann dazu eingeladen werden, einander Geschichten von Frauen zu erzählen: von berühmten Frauen, die mich beeindruckt haben, von Frauen, die für mein Leben wichtig sind. Schön wären auch Geschichten über die Gruppenmitglieder. Was beeindruckt mich am Leben von …? Wichtig bei dieser Variante ist, darauf zu achten, dass von jeder Frau erzählt wird.

Lied
Da wohnt ein Sehnen tief in uns

Gebet
Die Lebendige schenkt uns Lebenszeit.
Endliche Zeit.
Von Anfang bis zum Ende
sammeln wir Erfahrungen.
Wir sind neugierig.
Wir lernen von anderen,
geben Wissen weiter.
Schönes begegnet uns
und zutiefst Trauriges.
Licht und Schatten.

Wir sind aufgerufen, bewusst mit unserer Zeit umzugehen.
Was ist wirklich wichtig in meinem Leben?
Was möchte ich, das andere von mir erinnern?
Was möchte ich unbedingt weitergeben?

Lehre uns, Gott, im Bewusstsein der eigenen Vergänglichkeit das Geschenk des Lebens anzunehmen. Das Leben zu feiern. Jeden Moment. Dankbar für die Möglichkeiten,für die Liebe.

In deiner Ewigkeit sind wir wie ein Hauch,
zärtlich, dem Leben zugewandt.
Schenke uns täglich neu die Möglichkeit,
kraftvoll den Moment liebend zu leben.
Amen

Segen
Die lebendige Geistkraft Gottes
segne dich,
umhauche dich,
wärme dich,
bewege dich,
wecke die Kraft, die in dir schläft.
Blüh, meine Schwester,
entfalte dich und lebe. Amen


Dagmar Krok, Jahrgang 1965, ist Dipl.-Sozialpädagogin und Diakonin. Sie arbeitet als Referentin im Frauenwerk der Nordkirche und ist dort zuständig für die Vernetzung der Frauenarbeit in den Kirchen-kreisen und Konzeptentwicklung sowie für den Arbeitsbereich FrauenReisen Hin und weg. Sie ist Mitglied im Redaktionsbeirat ahzw.

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