Mein Sohn schreibt mir so gut wie gar nicht mehr.
Das heißt, zu Ostern hat er mir geschrieben.
Er denke gern an mich zurück, schrieb er,
und würde mich, wie stets, von Herzen lieben.
Das letzte Mal, als wir uns beide sahn,
das war genau vor zweidreiviertel Jahren.
Ich stehe manchmal an der Eisenbahn,
wenn Züge nach Berlin – dort wohnt er – fahren.
Und einmal kaufte ich mir ein Billet
und wäre beinah nach Berlin gekommen!
Doch dann begab ich mich zum Schalterbrett.
Dort hat man das Billett zurückgenommen.
Seit einem Jahr, da hat er eine Braut.
Das Bild von ihr will er schon lange schicken.
Ob er mich kommen läßt, wenn man sie traut?
Ich würde ihnen gern ein Kissen sticken.
Man weiß nur nicht, ob ihr so was gefällt…
Ob sie ihn wohl, wie er's verdiente, liebt?
Mir ist manchmal so einzeln auf der Welt.
Ob es auch zärtlichere Söhne gibt?
Wie war das schön, als wir zusammen waren!
Im gleichen Haus… Und in der gleichen Stadt…
Nachts lieg ich wach und hör die Züge fahren.
Ob er noch immer seinen Husten hat?
Ich hab von ihm noch ein Paar Kinderschuhe.
Nun ist er groß und läßt mich so allein.
Ich sitze still und habe keine Ruhe.
Am besten wär's, die Kinder blieben klein.
aus: Wieso Warum? Ausgewählte Gedichte 1928-1955
Aufbau-Verlag Berlin und Weimar, 2. Auflage 1965
© Thomas Kästner
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