Alle Ausgaben / 2010 Material von unbekannt

Eine nette Liste

Von unbekannt


Eine Lehrerin bat ihre Schülerinnen und Schüler, die Namen aller anderen der Klasse auf ein Blatt zu schreiben. Neben jeden Namen sollten sie das Netteste schreiben, was sie über diese Klassenkameradin oder diesen Klassenkameraden sagen könnten. Am Ende der Stunde gaben alle ihre Blätter ab. Am Wochenende schrieb die Lehrerin jeden Namen auf ein Blatt Papier – und daneben die Liste der netten Bemerkungen, die die Mitschülerinnen und Mitschüler aufgeschrieben hatten. Am Montag erhielt jede Schülerin ihre, jeder Schüler seine Liste. Kurz darauf lächelten alle. „Wirklich?“, flüsterte es. „Ich wusste gar nicht, dass mich andere so mögen!“ Niemand erwähnte je wieder die Listen…

Jahre später starb einer der Schüler. Nach dem Begräbnis hatten sich Marks alte Schulfreundinnen und –freunde versammelt, auch die Eltern standen dort. Als die Lehrerin dazukam, zog Marks Vater eine Geldbörse aus der Tasche. „Wir wollen Ihnen etwas zeigen“, sagte er. „Das wurde gefunden, als Mark verunglückt war. Wir dachten, Sie würden es erkennen.“ Aus der Geldbörse zog er ein stark abgenutztes Blatt, das offensichtlich unzählige Male auseinander- und wieder zusammengefaltet worden war. Die Lehrerin wusste sofort, dass dies eins der Blätter war, auf denen die netten Dinge standen, die seine Klassenkameradinnen und Klassenkameraden über Mark geschrieben hatten.

„Wir möchten Ihnen so sehr dafür danken, dass Sie das gemacht haben“, sagte Marks Mutter. „Wie Sie sehen, hat Mark das sehr geschätzt.“ All die früheren Schülerinnen und Schüler versammelten sich um die Lehrerin. Charlie lächelte und sagte: „Ich habe meine Liste auch noch. Sie ist in der obersten Schublade in meinem Schreibtisch.“ Die Frau von Heinz sagte: „Heinz bat mich, die Liste in unser Hochzeitsalbum zu kleben.“ „Ich habe meine auch noch“, sagte Monika. „Sie liegt in meinem Tagebuch.“ Irene griff in ihren Taschenkalender und zeigte ihre abgegriffene, ausgefranste Liste. „Ich trage sie immer bei mir“, sagte sie. „Ich glaube, wir alle haben die Listen aufbewahrt.“ Die Lehrerin weinte. Sie weinte um Mark – und für alle seine Freundinnen und Freunde, die ihn nie mehr sehen würden.

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