Ausgabe 1 / 2018 Artikel von Antje Schrupp

Einfach machen?

Mit dem Internet gegen sexualisierte Gewalt

Von Antje Schrupp

„Der Arzt, der meinen Po tätschelte, nachdem ich wegen eines Selbstmordversuchs im Krankenhaus lag“-  diesen kurzen Halbsatz schrieb Nicole von Horst am 25. Januar 2013 nachts ins Internet. Ihre kleine Botschaft auf Twitter war gedacht als winziger Baustein in einer öffentlichen Diskussion, die damals in Deutschland über Sexismus im Alltag geführt wurde. Anne Wizorek schlug daraufhin vor, solche Geschichten unter dem Hashtag #aufschrei zu verschlagworten. Was daraus entstand, war eine der größten Mediendebatten, die Deutschland je erlebt hat. Zehntausende Frauen beteiligten sich mit Beiträgen, in nur einer Woche warfen alle großen Fernseh-Talkshows ihre Planungen um und diskutierten stattdessen über Alltagssexismus.

Auch zurzeit gibt es wieder einen Hashtag, der von Feministinnen genutzt wird, um ihren Themen öffentliche Aufmerksamkeit zu verschaffen. Unter #metoo zeigen sich international Frauen solidarisch mit anderen, die sexualisierte Belästigung und Gewalt erlebt haben. Auch andere Themen sind mit Hilfe von solchen Schlagworten sichtbar geworden, zum Beispiel unter #blacklivesmatter rassistische Polizeigewalt in den USA oder Alltagsrassismus in Deutschland unter #schauhin.

Aber wie genau funktioniert so etwas? Was ist daraus für Internetkommunikation und politische Debatten zu lernen? Und: Wie nachhaltig sind solche Kampagnen? Ein Hashtag ist bei Twitter so eine Art Verschlagwortung, die es ermöglicht, Tweets zu einem bestimmten Thema zu sammeln. Manchmal entwickeln Hashtags eine Eigendynamik, weil sehr viele Menschen plötzlich über dasselbe Thema diskutieren. Auf diese Weise lassen sich gut Debatten bündeln. Es müssen dabei nicht immer große Aktionen wie #aufschrei sein. Mit Hilfe von Hashtags oder ähnlichen Mechanismen des dezentralen gemeinsamen Protestes können auch sexistische Werbekampagnen angeprangert, Kampagnen gegen frauenfeindliche Kleider- und Körpernormen initiiert oder Veranstalter für ihre männerdominierten Podien kritisiert werden. Welche Hashtags groß werden und welche kaum Zuspruch finden, lässt sich nicht vorhersagen. Solche Kampagnen kann man nicht planen, eher zeigt sich an ihnen, welche Themen unter der Oberfläche schon länger „brodeln“.

Ist das Internet also die Technologie, auf die Feministinnen immer gewartet haben, um ihren Anliegen endlich Gehör zu verschaffen? So einfach ist es natürlich nicht. Tatsächlich haben Debatten im Internet im Vergleich zu früher aber Vorteile: Sie können vor allem auch die „kleinen“ Begebenheiten bündeln, das heißt, sie können den vielen Stimmen einzelner Frauen durch die schiere Masse eine Bedeutung geben, auch wenn die einzelne Geschichte für sich allein nicht „groß“ genug für einen Skandal ist. Im Internet können Debatten außerdem vielschichtig geführt werden, denn gerade sexualisierte Gewalt äußert sich auf sehr unterschiedliche Weise. In der Vielstimmigkeit des Netzes können sie nebeneinander stehen bleiben, auch mit allen Widersprüchen. Ein weiterer Vorteil ist die Möglichkeit zur Anonymität. Man muss nicht mit vollem Namen auftreten, um die eigene Geschichte zu erzählen, was gerade für Minderheiten oder Opfer von Gewalt manchmal wichtig ist.

Was auch interessant ist: Das Internet schafft so genannte „Meme“, die dabei helfen, Debatten einzuordnen und sich darauf zu beziehen. „Aufschrei“ und „Metoo“ sind inzwischen solche Meme geworden. Wenn diese Worte in einem Gespräch fallen, wissen alle, was gemeint ist, ohne dass man alles wieder aufwändig von vorne erklären muss. So konnte etwa jetzt bei den #metoo-Debatten ganz einfach mit dem Verweis auf #aufschrei in Erinnerung gerufen werden, dass viele der geschilderten Situationen eben nicht neu sind und das Phänomen nicht unbekannt ist.

Allerdings gibt es auch Schattenseiten. Zum Beispiel kann man nicht kontrollieren, wer einen Hashtag benutzt. Antifeministen und Trolle haben #aufschrei damals nach kurzer Zeit gekapert und ihre eigenen Inhalte damit verschlagwortet. Das bedeutete, dass der Hashtag als Filter für die Tweets der Betroffenen unbrauchbar wurde, weil man dann jede Menge anderen Müll fand. Menschen, die sich über die Kampagne informieren wollten, wurden zu antifeministischen Seiten geleitet.

Genauso wie Feministinnen sich zusammentun können, um mit Hilfe Mails und Tweets und Facebook-Postings und Blogs sexistische Werbekampagnen zu kritisieren, genauso können eben auch andere diese Mechanismen nutzen und Blogs oder Accounts überschwemmen und zeitweise lahmlegen. Wie jede Technik lässt sich auch das Internet konstruktiv oder destruktiv nutzen. Feministinnen haben schon früh darauf hingewiesen, dass Trolle und Hetz-Kommentatoren schädlich für eine demokratische Debatte sind. Aber solange „nur Frauen“ davon betroffen waren, haben die meisten Medienmacher das Thema vernachlässigt. Große Medienportale schalteten in ihren Kommentarspalten lange alles frei, was nicht geradewegs kriminell war – in der Hoffnung auf mehr Traffic und damit mehr Werbeeinnahmen. Plattformen wie Facebook und Twitter haben sich lange gegen Vorschläge abgeschottet, wie sie gegen sexistischen oder rassistischen Missbrauch ihrer Angebote vorgehen könnten.

Bis vor kurzem hat man Bloggerinnen und Leserinnen, die das kritisierten, Missachtung der Meinungsfreiheit und „Zensur“ vorgeworfen. Erst seit dem Wahlerfolg von Donald Trump und dem Schock über die internetgestützten Wahlerfolge der AfD spricht sich langsam herum, dass diese anfängliche Kommentarpolitik der Medien völlig verfehlt war. Momentan herrscht bei Facebook und Co. diesbezüglich hektischer Aktivismus – mal sehen, ob etwas dabei herauskommt.

Die Meinungsfreiheit ist jedenfalls nicht in Gefahr, wenn nicht jeder Kommentar überall freigeschaltet wird, sondern wenn systematisch bestimmte Menschen aus dem Diskurs ferngehalten werden. Die britische Zeitschrift „Guardian“ hat vor einiger Zeit eine Studie zu Hass-Kommentaren unter ihren Artikeln gemacht. Das Ergebnis: Von den zehn Autorinnen und Autoren, die am häufigsten beschimpft wurden, waren acht Frauen, und die beiden Männer waren Schwarze. Es ist also kein Wunder, wenn vor allem weiße Männer das Internet als gemütlichen und interessanten Ort empfinden: Ihr Erlebnis ist nicht dasselbe, wie das von Frauen oder nicht weißen Männern.

Als Kommunikationsplattform bevorteilt das Internet Menschen, die viel Zeit zuhause verbringen und technisch versiert sind. So genannte „Maskulinisten“ nutzen das Netz für antifeministische Hetze, sie treten aktiv und gut organisiert auf, sodass sie sehr viel lauter und zahlreicher zu sein scheinen als sie in Wirklichkeit sind. Soziologen schätzen den harten Kern der Szene auf einige hundert Männer, aber durch ihr geballtes Auftreten im Netz gelingt es ihnen, den Diskurs unverhältnismäßig stark zu beeinflussen. Hinzu gekommen sind in letzter Zeit auch noch automatisierte Werkzeuge wie Bots, mit deren Hilfe eine Vielzahl von Tweets abgesetzt werden können, die die Stimmung beeinflussen, obwohl dahinter gar keine realen Menschen stehen. Auch sie werden natürlich eher von Menschen mit destruktiven Absichten eingesetzt als von solchen, die an einer konstruktiven Debatte interessiert sind. Aber es ist unter Umständen einem Beitrag eben nicht anzusehen, ob er von einem echten Menschen oder von einem Algorithmus geschrieben wurde.

Für Feministinnen hat sich das Problem in letzter Zeit noch dadurch verschärft, dass AfD und andere Rechtspopulisten den Antifeminismus zum Kern ihrer Identitätsbildung gemacht haben. Das Hetzen gegen angebliche „Genderideologie“ und „Feminazis“ hat die Stimmung noch einmal deutlich angeheizt. Andererseits hat diese klare Position seitens der Rechten auch zur Folge gehabt, dass der links-liberale Mainstream sich ebenfalls positionieren muss. Männer, die das Thema Feminismus bisher für nebensächlich gehalten haben oder die sogar selbst sexistisches Verhalten an den Tag legten, geraten unter Rechtfertigungsdruck. Was ein rechter und reaktionärer Donald Trump „darf“, nämlich sich seiner sexuellen Dominanz gegenüber Frauen rühmen, darf ein links-liberaler Harvey Weinstein noch lange nicht: An der respektvollen oder respektlosen Haltung gegenüber Frauen entscheidet sich heute die Zugehörigkeit zu politischen Lagern.

Ist es also nun ratsam, sich als Frau oder Frauengruppe an diesen Debatten zu beteiligen? Das ist immer auch etwas Geschmackssache. Aber wer darauf Lust hat, muss jedenfalls keine Angst haben, im Sog von Internethetze und Falschmeldungen einfach unterzugehen. Alle Plattformen für soziale Medien können so konfiguriert werden, dass man selbst die Kontrolle darüber behält, mit wem man überhaupt interagiert und wie viel „Außenkontakt“ man zulässt. Zudem richten die Pöbeleien sich seltener auf differenzierte feministische Projekte. Das Internetforum „beziehungsweise weiterdenken“ zum Beispiel, bei dem ich selbst Redakteurin bin und das feministische Texte zu Philosophie und Politik veröffentlicht, hat trotz einer inzwischen recht großen Reichweite fast gar keine Probleme mit destruktiven Kommentatoren. Vielleicht ist das einfach Glück, vielleicht liegt es auch daran, dass dergleichen von Anfang an konsequent gelöscht wurde und die hier behandelten Themen eher komplex und keine tagesaktuellen „Aufreger“ sind. Oder: Viele Maskulinisten verstehen vielleicht gar nicht, worum es hier geht.

Prinzipiell ist das Internet immer nur so gut oder so schlecht wie die Gesellschaft. Es macht allerdings Dinge sichtbar, die ohne Internet eher im Verborgenen bleiben würden. So wie jetzt alle wissen, dass es sehr, sehr viele Frauen sind, die sexualisierte Gewalt erleben, genauso wissen wir jetzt auch, dass sehr, sehr viele Männer immer noch sexistische Ansichten vertreten und sich auch nicht scheuen, die öffentlich auszusprechen. Das Internet schafft solche Ansichten und Trends nicht, es verstärkt sie aber: Gruppenbildung läuft im Internet schneller ab, radikale Rhetorik wird durch die Funktionsweise der sozialen Netzwerke belohnt.

Aber: In einer Gesellschaft, die Frauen tatsächlich achten und als gleichberechtigte und freie Subjekte anerkennen würde, wäre auch das Internet kein Ort, der für Frauen problematisch oder unangenehm sein könnte. Menschen ändern ja nicht ihre Meinung, nur weil sie sich an den Computer setzen. Und vielleicht ist es auch für eine feministische Bewegung besser, zu wissen, mit wem man es zu tun hat und „wes Geistes Kind“ die Leute sind.

Lesetipp
– www.bzw-weiterdenken.de

Dr. Antje Schrupp hat Politologie, Philosophie und Evangelische Theologie studiert. Die Journalistin, Redakteurin, Buchautorin und Bloggerin ist freiberuflich auch als Referentin tätig. Mehr unter www.antjeschrupp.de.

Ausgabenarchiv
Sie suchen eine Ausgabe?
Hier entlang
Suche
Sie suchen einen Artikel?
hier entlang