„Warum ist hier jeder glücklich außer mir?“, fragte ein Schüler. „Weil sie gelernt haben, überall Güte und Schönheit zu sehen“, sagte der Meister.
„Warum sehe ich nicht überall Güte und Schönheit?“
„Weil du draußen nicht etwas sehen kannst, was du in deinem Inneren nicht siehst.“
Anthony de Mello(1)
Materialien:
eine Glasmurmel und eine Holzschale
Vorbemerkungen:
Die Kreisform wäre gut gewählt bei dieser Andacht – aber auch, wenn der Raum einen Stuhlkreis nicht möglich macht, sollte man so beieinander sein, dass man den Blick gut auf ein „Zentrum“ richten kann.
In die Mitte lege ich eine Holzschale mit einer größeren Glasmurmel.
Die Murmel wirft man in der Holzschale und wartet, bis sie ihre Kreise beendet. Das erzeugt für den Moment eine gewisse Spannung, ist aber auch eine gute Übung zur Ruhe zu kommen. Wir nehmen die Kugel wahr, wie hören sie, wir sehen sie, wir nehmen die Bewegung wahr, die schließlich zur Ruhe findet. Jetzt kann man das Ritual noch einmal wiederholen.
Andacht
Wir sind zusammen. Wir kommen aus unserem Alltag. Alles dreht sich:
um die Familie, um die Kinder, die Enkelkinder, um die Sorgen, um die Freuden.
Wir sind zusammen und spüren, wir sind da, es gibt uns, es gibt unser Miteinander.
Langsam kommen wir zur Ruhe.
KugelWir hören die Kugel, wir sehen sie. Bewegung, aber auch Stillstand.
Wenn wir Gott suchen, sehen wir tiefer, in die Tiefe eines Sees sehen wir nur, wenn das Wasser still ist und keine Kreise mehr zieht.
KugelWir wollen uns inspirieren lassen von einer mutigen Frau, die Gott gesehen hat, Gott in dem anderen Menschen.
Von einer, die mehr gesehen hat als das Alltägliche, einer, die segnen konnte – Abigail.
Lied:Okuli nostri ad Dominum Deum (Taizé) oder: Unsere Augen sehn stets auf den Herren (EG, Ausgabe für die Ev. Luth Kirchen in Bayern und Thüringen, S.699)
MeditationSchau,
Schau, da kommt sie.
Sie ist schön, weil sie klug ist.
Sie ist schön, weil sie um die Schönheit weiß
außen in der Welt und innen im Herzen.
Sie kommt über den langen Weg,
sie ist weit gelaufen,
sie trägt ihre Geschichte in sich.
Die Geschichte ihres Mannes Nabal,
übersetzt heißt das Tor,
er ist grob und roh,
das Leben
an seiner Seite ist schwer.
Und doch, so schwer es auch war und ist,
dieses Leben,
die Welt innen
ist schön,
es ist ihre Welt.
Schau, da kommt sie.
„Sei selbst das Gute, das du in der Welt zu sehen wünschst“, sagt Mahatma Gandhi. Oder, in einer anderen Übersetzung: Sei du selbst die Veränderung, die du dir wünschst für diese Welt.
(2)Abigail kommt David entgegen.
Ihr Mann, Nabal, der Tor, hatte Davids Knechte grob abgewiesen –
zu Unrecht, sehr zu Unrecht.
Denn David hatte ihnen und ihrem Vieh freie Hand gelassen.
Schau, da kommt Abigail.
Sie kommt David entgegen.
Sie wird das Unrecht verwandeln,
sie wird Steine zu Brot werden lassen.
Sie kommt mit 100 Broten
und 5 Maß geröstetem Korn,
sie kommt mit 100 Traubenkuchen
und zwei Schläuchen Wein.
Abigail sieht David
und David sieht sie.
Sie ist schön und klug,
weitherzig und warm,
und sie gibt, was sie in sich trägt,
Brot und Schutz für die Seele:
„Möge die Seele meines Herrn
eingebunden sein in den Beutel des Lebens
bei Jahwe deinem Gott.“
So übersetzt die Jerusalemer Bibel. Luther übersetzt: „eingebunden sein im Bündlein der Lebendigen bei dem Herrn deinem Gott“.
Sie kommt und schenkt, schön und klug.
Da bleiben Fragen.
So viel Vertrauen?
– Ich sehe was, was du auch siehst –
Die kleine Blume zwischen zwei Steinen
dunkelblau und zart in ihrem Dennoch …
Die Falten, die um das Lächeln wissen,
um die müden Augen des alten Mannes …
Der blaue Himmel über den blauen Kornblumen bei dem unversehrten Feld…
Die ungemein schöpferische Kraft
in der gelebten Wut eines Kindes…
Die Kunst, die Schönste zu sein,
im Tanz einer behinderten jungen Frau …
– Ich sehe was, was du auch siehst –
Abigail sieht mit uns die Welt,
mutig und hell.
Und Gott wohnt in dieser Welt
des anderen Herzens, des anderen Sehens.
Abigail wird David segnen.
David wird Abigails Segen annehmen,
er kann gar nicht anders.
– Ich sehe was, was Du auch siehst –
Es ist der Blick, in dem der Segen ruht.
Lied:„Vertraut den neuen Wegen“ (EG 395) oder: „Ubi caritas et amor“ (Taizé, EG 651)
Gestaltetes SegensgebetIn die Holzschale könnten jetzt verschiedene kleine Dinge gelegt werden, die wir nehmen und weitergeben können. Ziel ist es, in den Symbolen die verborgenen „Möglichkeiten“ zu entdecken.
– Stein – in seinen Furchen Gewachsenes entdecken
– Feder – schützend, leicht, losgelassen
– Holz – im Wald gewachsen, Brennholz, Holz zum Verarbeiten
– Blume – Dasein zur Freude, Duft, Farbe
– Gras – wächst immer wieder, auch wenn abgeschnitten; Wiese, die einlädt
– Glasmurmel – die Murmel vom Beginn der Andacht, rund, glatt, Symbol für das Auge …
Die Frauen könnten sich einen kleinen Gegenstand nehmen, ihn beschreiben, der Nachbarin weitergeben, dabei kann man über das Symbol kurz im Gespräch sein oder (besser) mit dem Symbol der Nachbarin etwas Wertschätzendes sagen.
Gesegnet sind Wir
Die Sonne sagt es dem Stein,
der Stein sagt es mir:
gerade in deinen Kanten bist du schön
Gesegnet sind Wir
Der Wind sagt es der Feder,
die Feder sagt es mir:
deine Seele ist leicht und wird vom Wind getragen
Gesegnet sind Wir
Der Wald sagt es dem Baum,
der Baum sagt es mir:
deine Wurzeln halten dich
Gesegnet sind Wir
Der Garten sagt es der Blume,
die Blume sagt es mir:
lebe und blühe
Gesegnet sind Wir
Die Wiese sagt es dem Gras,
der Grashalm sagt es mir:
leben heißt wachsen, dennoch wachsen
Gesegnet sind Wir
Das Kind sagt es der Glasmurmel,
die Murmel sagt es mir:
komm zur Ruhe, ruhe in Gott und Gott ruht in dir
Gesegnet sind Wir – Amen
Beate Schelmat v. Kirchbach, 52 Jahre, ist Pfarrerin im Leipziger Land. Sie ist verheiratet und hat fünf erwachsene Kinder und ein zehnjähriges, behindertes Kind.
Anmerkungen:1 Anthony de Mello, „Warum ist hier jeder glücklich außer mir?“, aus: Ders., Mit allen Sinnen meditieren. Anstöße und Übungen, S. 38; © Verlag Herder GmbH, Freiburg i. Breisgau 1977
2 Mahatma Gandhi: Mein Leben, Suhrkamp 2007