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Eingetaucht

Heilkraft für Körper und Seele

Von Annett Zündorf

Am Morgen drehe ich als erstes den Hahn auf. Gedankenlos putze ich Zähne, wasche das Gesicht und genieße das kühle Wasser auf der Haut. Es ist so selbstverständlich. Wasser ist überall. Es kommt sauber und keimfrei aus der Leitung, zischt über den Kaffee am Morgen, tröstet als warmer Tee an einem schlechten Tag.

Der Blick in den Spiegel hat mir Augen und Nase und Mund gezeigt. Die Falten an den Augen, die Wimpern und die widerspenstigen Haare. Wasser hat er nicht gezeigt. Aber Menschen bestehen zu einem großen Teil aus Wasser. Bei Babys sind es zwei Drittel, bei alten Menschen immer noch die Hälfte. Es fließt als Blut durch unsere Adern, rinnt als salzige Tränen aus den Augen, strömt beim Sport als Schweiß aus den Poren der Haut oder befeuchtet als Spucke die Schleimhaut des Mundes. 2,5 Liter gehen jeder Tag in Form von Urin, Schweiß oder Tränen verloren.

Wasser ist die Basis zum Überleben
Ich habe Durst und setze Teewasser auf. Obwohl unser Körper aus dieser riesigen Menge Wasser besteht, kann er eine zusätzliche Menge Wasser nur schwer speichern. Ständig muss das verlorene Wasser ersetzt werden. Anderthalb Liter am Tag empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Ernährung zu trinken. Wer Sport betreibt, an einem heißen Tag viel schwitzt, oder gerade an Brechdurchfall leidet, verliert mehr Wasser und muss es auch wieder auffüllen. Da kommen schnell mehrere Liter zusammen, die ersetzt werden müssen.

Bekommt unser Körper nicht genug Nachschub, zeigt sich das bald – die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit sinkt. Es beginnt mit Mundtrockenheit, zähem Speichel, dunklem Urin und Verstopfung. Dann werden wir müde, das Gehirn lässt in seiner Leistungsfähigkeit nach. Irgendwann ist man verwirrt. Besser, es erst gar nicht so weit kommen zu lassen. Manche klagen, dass sie vergessen, zu trinken. Dann hilft ein Wecker – alle Stunde ein Gläschen – und bald ist das regelmäßige Trinken Gewohnheitssache.

Das beste Getränk weit und breit ist übrigens überall vorhanden. Es muss nicht teures Mineralwasser, Saft oder Tee sein. Nein. Pures Leitungswasser ist das Getränk der Wahl. Die Qualität des Wassers ist in Deutschland fast überall ausgezeichnet. Nur wer alte Bleileitungen im Haus hat, sollte besser Wasser kaufen.

Wasser heilt – Seele und Körper
Vielleicht suchen die Menschen deshalb das Wasser. Wohl jeder genießt den Kontakt. Wer braucht schon einen Fernseher, wenn sie aufs Meer oder einen See blicken kann. Die ewige Wiederkehr der Wellen unterbricht den Strom der Gedanken in unserem Kopf. Das Wasser trägt und streichelt und wispert und nimmt alle Last von uns. Ich liebe es, einfach nur auf die spiegelnde Fläche zu schauen, beobachte, was passiert. Wasserläufer flitzen über die Oberfläche, Enten paddeln mit ihren Jungen im Schlepptau vorbei, Schiffe ziehen am Horizont. Das Draußen ist weit entfernt. Mein Gehirn kommt zur Ruhe. Nach einem Tag auf einem See oder Fluss bin ich tiefenentspannt.

Wenn Meere und Seen weit weg sind oder draußen der Winter durch die Straßen zieht, lohnt ein Gang ins Thermalbad. Viele Bäder bieten Becken mit einem hohen Salzgehalt, in denen man sich einfach wiegen lässt. Floating heißt diese Methode. Ich treibe schwerelos im warmen salzhaltigen Wasser, sanft plätschert unter Wasser Musik ins Ohr, die Farben an der Raumdecke wechseln von Rot zu Gelb zu Grün. Kein Temperaturreiz stört die Ruhe. Kein Geräusch dringt durch. Das wiegende Wasser spült allen psychischen und physischen Ballast davon.

Nach dem Bad fühle ich mich rein und gesund. Und dieses Gefühl trügt nicht. Wer sauberes Wasser hat, spült mit dem Bad auch Keime ab. Spätestens beim Händewaschen. Ohne sauberes Wasser keine Hygiene. Und ohne Hygiene haben Krankheiten wie Cholera und Durch­­fall, aber auch banale Infektionen leichtes Spiel.

Wassergüsse als Therapie
Natürlich hat auch die Medizin das heilende Potenzial des Wassers längst erkannt. Fußbäder, Wassertreten, im Thermalbad entspannen, heiße und kalte Güsse, Eisbaden, Saunagänge oder Thalasso.

Die bekanntesten Wasseranwendungen stammen von Sebastian Kneipp. Er litt schon mit etwa 25 Jahren an Tuberkulose. Ein Buch über die Anwendungen von Wasser inspirierte ihn zu seiner eigenen Therapie. Er badete in der eiskalten Donau, übergoss sich mit Wasser und nahm Halbbäder. Kneipp wurde tatsächlich gesund. Er forschte sein gesamtes Leben über die medizinische Wirkung des Wassers. „Im Wasser liegt Heil; es ist das einfachste, wohlfeilste und – recht angewandt – das sicherste Heilmittel“, sagte der Pfarrer, der noch immer als Wasserdoktor bekannt ist.

Bis heute gibt es Kneipp-Kuren. Die Deutsche UNESCO-Kommission hat „Kneippen als traditionelles Wissen und Praxis nach der Lehre Sebastian Kneipps“ als immaterielles Kulturerbe anerkannt. Bisher existieren aber nur wenige wissenschaftliche Arbeiten, die die Wirksamkeit einer Kneipp-Kur nachweisen. Eine Studie an der Universität Jena zeigte, dass Kneipp-Güsse bei Patienten mit COPD – einer chronischen Lungenerkrankung – einen positiven Einfluss hatten. Die Patientinnen und Patienten waren seltener krank und fühlten sich gut. Eine andere Studie zeigt, dass es Patientinnen und Patienten mit einer Arthrose in Knie oder Hüfte nach regelmäßigen Behandlungen besser geht. Ebenso scheinen Menschen mit Bluthochdruck, Kreislaufproblemen, chronischer Bronchitis und mit Krampfadern zu profitieren.

Die positiven Effekte der Güsse lassen sich auch ohne ärztliche Anleitung nutzen. Am einfachsten ist das Wassertreten. Ob in einem Becken unter freiem Himmel oder in der heimischen Badewanne – Hauptsache das Wasser ist kälter als 18 Grad Celsius und geht nicht übers Knie. Jetzt einen Fuß aus dem Wasser heben, die Fußzehen spitzen und wieder eintauchen. Wer wie ein Storch so lange im kalten Wasser watet, bis es zu kalt wird, stärkt das Immunsystem, die Venenpumpe, den Kreislauf und fördert die Durchblutung. Danach einfach das Wasser mit den Händen abstreifen, warme Strümpfe anziehen und ein bisschen herumlaufen – schon sind die Füße mollig warm.

Ebenso wunderbar und ein Garant für immer warme Füße sind Wechselfußbäder. Dabei werden die Füße abwechselnd für fünf Minuten in warmes, anschließend für 15 Sekunden in kaltes Wasser getaucht. Das Ganze noch einmal und dann abtrocknen. Solch ein Bad erfrischt und wärmt nicht nur die Füße. Auch Kopfschmerzen können verschwinden. Bei Kneipp-Anwendungen wird immer Leitungswasser, das Wasser eines Baches oder einfach der Tau auf der Wiese genutzt. Ganz anders bei der Balneotherapie.

Wasser von innen und von außen
Zur Balneotherapie gehört das Trinken von Heilwässern ebenso wie das Inhalieren salzhaltiger Luft oder das Bad in Moorschlamm oder salzhaltigem Wasser. Das Ganze gibt es warm oder kalt, im Stehen oder Liegen oder Gehen. Doch egal welche Form: Unser Körper profitiert von der Wirkung der hochkonzentrierten Minerale und anderer chemischer Substanzen.

Heilwasser stammen aus einem unterirdischen Wasservorkommen, das bis zu 1000 Meter tief unter der Erde liegen kann. Die reinen Wasser werden direkt an der Quelle abgefüllt, um jede Verunreinigung zu vermeiden. Heilwasser müssen staatlich zugelassen sein und gelten als Arzneimittel. Das liegt am hohen Gehalt der enthaltenen lebenswichtigen Minerale und Spurenelemente wie Kalzium und Magnesium oder Verbindungen wie Sulfat. Wer regelmäßig kalziumreiches Wasser trinkt, beugt Osteoporose vor. Wer magnesiumreiches Wasser schlürft, sorgt dafür, dass der Körper gut arbeitet: Magnesium ist an rund 300 Reaktionen im menschlichen Körper beteiligt. Aus den 35 Heilwässern in Deutschland kann sich jede und jeder das für sie oder ihn geeignete heraussuchen. Und im Gegensatz zu den meisten Arzneimitteln dürfen die meisten Heilwasser täglich getrunken werden.

Eine Kombination verschiedener Methoden der Balneotherapie hilft beispielsweise bei Arthrose, Osteoporose, Bluthochdruck, Neurodermitis und chronischen Entzündungen des Verdauungstraktes. Aber auch bei einer starken Erkältung punktet eine klassische Anwendung. Eine Handvoll Kamilleblüten und etwas Kochsalz werden in einer Schüssel mit kochendem Wasser übergossen. Dann den Kopf darüber beugen, ein Tuch über Kopf und Schüssel ausbreiten und den aufsteigenden Dampf inhalieren. Der befeuchtet die Schleimhaut in Nase und Bronchien, so dass sie besser durchblutet werden und Schleim schneller abtransportiert wird. Als Kind habe ich die Zeit unter dem Tuch in der feuchten Hitze gehasst. Heute genieße ich den wohltuenden Dampf. Wer die klassische Methode nicht mag, kann die Schleimhäute auch mit einem modernen Inhaliergerät befeuchten, in das eine Salzlösung gefüllt wird.

Mein Lieblingsentspannungsort im Winter ist die warme Badewanne. Ich gieße Badeöle mit Düften wie Bergamotte, Granatapfel oder Melisse in die Wanne und lasse mich ins warme Wasser gleiten. Ein Buch dazu, manchmal auch ein Tee oder ein Glas Wein. Hier entspanne ich, verstecke mich ein Stündchen vor der Welt. Das Wasser lässt meine Gedanken ebenso wie meinen Körper schweben, ich spüre, wie verspannte Muskeln im Rücken und Nacken unter der Wärme nachgeben.

Eine besonders beliebte Variante der Balneotherapie ist die Thalassotherapie. Sie vereint Meerwasserbäder, Wassermassagen, Nebelstrahlduschen und Algenpackungen mit Spaziergängen an Nord- und Ostsee. Ein Spaziergang im feinen Sprühnebel der Brandung pustet Salze und schadstoffarme Luft in die Bronchien. Das löst Schleim in den Atemwegen. Durch Bewegung gelangt mehr Sauerstoff in den Körper. Auf der Haut verteilen sich die winzigen Salzkristalle. „Das Salz wirkt entzündungshemmend und lindert den Juckreiz“, sagt Regina Schwanitz, Badeärztin des Hotels Neptun in Rostock-Warnemünde. Zugleich wird Vitamin D gebildet, das der Körper nicht selber herstellen kann. Ein Rundum-Wohlfühl-Paket sozusagen, das auch noch mit dem schönsten aller Ausblicke – dem Blick aufs Meer – punktet.

Wasser hält fit
Bleibt noch ein letzter Grund, warum Wasser so wunderbar für unseren Körper ist. Es hält fit! Keine Angst. Das soll keine Anleitung für langweilige 1.000 Meter Brustschwimmen in einer düsteren 25-Meter-Halle sein. Draußen ist es doch viel schöner.

Haben Sie schon mal in einem Kanu gesessen? Ein Paddel in der Hand? Wenn sanft die Bäume am Flussufer vorbeigleiten, eine Entenfamilie hastig ins Gebüsch schwimmt und ein Eisvogel im glitzernd blauen Federkleid vorbeifliegt? Es fühlt sich vielleicht nicht so an. Aber ja, das ist Sport. Körperliche Bewegung lässt Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes und viele andere Gebrechen gar nicht erst entstehen oder hilft bereits Erkrankten, die Auswirkungen zu mildern. Viele mögen Fitness-Studios oder organisierten Sport nicht. Aber am Abend ein Stündchen im Kanu oder im Ruderboot übers Wasser gleiten? Mal Surfen oder Stand-up-Paddeln ausprobieren? Oder eine Runde im See schwimmen? Das hält fit und jung. Und zwar nicht nur die Muskeln.
Der Kältereiz beim Bad im See wirkt ähnlich wie ein Gang in die Sauna – er trainiert das Immunsystem. Dazu muss man nicht gleich einem Pinguinverein beitreten und im Winter unters Eis tauchen. Auch wer im Mai anbadet, taucht in ziemlich kaltes Wasser. Kleiner Tipp: Nehmen Sie immer einen warmen Pullover oder einen Bademantel mit! Wer sich nach dem Kälteschock schnell wieder aufwärmt, einen Kräutertee trinkt und die Füße zu Hause vielleicht noch in einem Fußbad aufwärmt, hat nicht nur eine schöne Zeit am Wasser verbracht, sondern auch dem Körper eine echte Wellnesskur verpasst. Nach so viel Schreiben übers Wasser muss ich jetzt auch los. Die Badesachen hab ich schon gepackt …

Für die Arbeit in der Gruppe

– Denken Sie gemeinsam nach: Welche Flüssigkeiten gibt es ihrem Körper? (Blut, Galle, Schweiß, Menstruationsblut, Magensaft, Lymphe, Hirnflüssigkeit und Flüssigkeit im Rückenmark, Fruchtwasser bei Schwangeren, Muttermilch, Urin etc.)

– Ein Teil davon geht im Laufe des Tages verloren und muss ersetzt werden. Was eignet sich als Getränk? Was mögen die Teilnehmerinnen am liebsten? Welches Getränk mochten sie als Kind am liebsten?

– Die heilende Wirkung des Wassers lässt sich wunderbar probieren: Bringen Sie verschiedene Kräuter mit und kochen Sie Tee. Besonders geeignet sind Blätter von Brennessel, Pfefferminze, schwarzer Johannesbeere, Salbei und Thymian. Einfach ein paar Blätter mit kochendem Wasser übergießen, zehn Minuten stehen lassen und dann abseihen. Probieren Sie die verschiedenen Geschmacksrichtungen mit geschlossenen Augen, und lassen Sie Ihre Gäste erraten, welche Blätter verwendet wurden. Welche Tee-Sorte kochen sie zu Hause? Wann trinken sie Tee – als Leib- und Magengetränk für jeden Tag, zur Begleitung einer Mußestunde oder als heilendes Mittel bei Erkältungen?

– Erinnern Sie sich gemeinsam: Was war das schönste Erlebnis mit Wasser? Das murmelnde Bächlein hinterm Haus der Großmutter? Das Wasser im Taufbecken? Der See im Gebirge, der unvermutet hinter einer Kurve auftauchte und die müden Wanderer zu einem Bad einlud? Die Urlaube als Kind am Meer? Warum war das so toll?

– Wechselbäder regen die Durchblutung an. Das hilft beispielsweise bei kalten Händen oder Füßen. Dazu gibt man in ein Becken oder eine Schüssel warmes Wasser von etwa 37 oder 38 Grad Celsius, in eine zweite Schüssel kommt kühles Wasser. Dann werden die Hände und die Unterarme bis zu den Ellbogen zuerst in das warme Wasser getaucht. Nach etwa 30 Sekunden wechseln sie für ein paar Sekunden in das kalte Wasser und dann zurück ins warme. Nach drei Durchgängen wird das Wechselbad mit kaltem Wasser beendet.

Annett Zündorf, 43 Jahre, ist freie Journalistin, Mutter eines naseweisen Neunjährigen und einer kleinen Extremsportlerin. Auf ihrem Blog schnippschnapp-kragenab.de zeigt sie, wie man neuen Stil aus alten Sachen kreiert. Außerdem ist sie furchtbar neugierig und schreibt regelmäßig über Medizin, Gesundheit, das Zusammenleben mit Kindern und allerlei andere Themen.

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